Nach Auffassung der Bertelsmann Stiftung gibt es in Deutschland zu viele Krankenhäuser. Statt aktuell knapp 1.400 sollen es zukünftig nur noch 600 Häuser sein, so die selbsternannte Statistik- und Polit-Gouvernante aus Gütersloh. Dadurch würden angeblich die Qualität der Patientenversorgung verbessert und Engpässe beim Ärzte- und Pflegepersonal gemildert.
Das jedenfalls wollen führende Krankenhausexperten des „Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES)“ im Auftrag der Bertelsmann Stiftung herausgefunden haben. Viele Krankenhäuser, so die „Experten“, seien zu klein, und sie verfügten oftmals nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung, um lebensbedrohliche Notfälle wie einen Herzinfarkt oder Schlaganfall angemessen zu behandeln. Viele Komplikationen und Todesfälle ließen sich durch eine Konzentration „auf deutlich unter 600 statt heute knapp 1.400 Kliniken“ vermeiden.
Die „führenden deutschen Krankenhausexperten“ haben ein „Zielbild“ für Deutschland. In einer „Simulation“ etwa meinen sie beweisen zu können, dass die Region Köln/Leverkusen mit 14 statt den aktuell 38 Akutkrankenhäusern auskommen könne. Siehe hier.
Man reibt sich die Augen. Da haben wir ohnehin einen eklatanten Mangel an Ärzten vor allem auf dem flachen Land. Viele Praxen sind verwaist, Nachfolger für Ärzte, die mit 70 oder 75 Jahren in Rente gehen, sind nicht in Sicht – und dann soll auch noch die Krankenhausdichte massiv ausgedünnt werden. An die Patienten dürfte die Bertelsmann Stiftung nicht gedacht haben. Aber um die Bürger geht es den Bertelsmännern ohnehin selten, ihnen geht es um politischen Einfluss, um Profit und trotz all des neoliberalen Anstrichs um Planwirtschaft. Die berechtigte Kritik an der Bertelsmann-„Studie“ ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Siehe hier.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, erinnerte an die von der Bundesregierung eingesetzte „Kommission gleichwertige Lebensverhältnisse“. Dort hatte man sich für eine „gut erreichbare, wohnortnahe Gesundheitsinfrastruktur“ ausgesprochen. Reinhardt wörtlich: „Da ist es schon mehr als befremdlich, wenn die Bertelsmann-Stiftung jetzt pauschal die Schließung von 800 Krankenhäusern fordert“, sagte er. Massive Kritik übte auch der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß. Wer vorschlage, zahlreiche Krankenhäuser „platt zu machen“ und die verbleibenden Kliniken zu Großkliniken auszubauen, propagiere „die Zerstörung von sozialer Infrastruktur in einem geradezu abenteuerlichen Ausmaß, ohne die medizinische Versorgung zu verbessern“, so Gaß. Der Vorsitzende der Ärztevereinigung Marburger Bund, Rudolf Henke, ließ sich wie folgt vernehmen: „Krankenhäuser sind keine Profitcenter, sondern Teil der staatlichen Daseinsfürsorge.“ Planungsentscheidungen würden in den Ländern getroffen und nicht bei der Bertelsmann-Stiftung. Gerade die Bedürfnisse älterer, immobiler Menschen würden zu wenig beachtet.
Geht es Bertelsmann „gemeinnützig“ um Patienten? Oder ums „Big-Data“-Geschäft mit Patienten?
Bertelsmann und die Krankenhäuser – das hat noch einen anderen interessanten Aspekt. Denn Bertelsmann ist über seine „Tochter“ ARVATO voll im Geschäft mit medizinischen IT-Systemen und elektronischen Gesundheitskarten. „Gematik“ heißt dieses System: „Gematik“ = Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH. Auf ihrer Netzseite tritt „Gematik“ in „schwarz-rot-gold“ fast schon wie eine staatliche Einrichtung auf. Sie versteht sich als Schaltglied zwischen den elektronischen Gesundheitskarten (eGK) der Versicherten und den IT-Strukturen der gesetzlichen Krankenkassen. Der erste Vertrag zwischen „Gematik“ und ARVATO fällt in die Monate Ende 2017 – also kurz vor der Bundestagswahl und damit in die Zeit der letzten Amtshandlungen des damaligen Gesundheitsministers Hermann Gröhe (CDU). Nun wurde die Sache richtig festgeklopft: „ARVATO Systems GmbH“ hat am 21. Juni 2019 den Zuschlag erhalten und bleibt damit für die kommenden acht Jahre Anbieter für den Betrieb der zentralen TI (= Telematik-Infrastruktur). TI umfasst alle Dienste, die zur Prüfung der Identität der TI-Nutzer und für den sicheren Datenaustausch benötigt werden sowie die erforderlichen Infrastrukturdienste. Damit ist übrigens auch ein Stammdaten-Abgleich der Versichertendaten möglich. Big Data eben!
Ein Schelm, der Schlimmes dabei denkt? Nein, man ist kein Schelm bei solchen Gedanken. Denn Bertelsmann bzw. die Familie Mohn hat mit dem Bertelsmann-Medienkonzern und deren schier endlosen finanziellen, medialen und politischen Möglichkeiten gewaltigen Einfluss. Man spricht gar von einer Drehtür zwischen Politik und Bertelsmann. Das hat mit der Größe des Medienkonzerns Bertelsmann SE & Co. KGaA mit seinen rund 80.000 Beschäftigten in rund 50 Ländern der Welt zu tun. Das hat damit zu tun, dass zum Konzernverbund die Fernsehgruppe RTL Group samt RTL, RTL 2, Super RTL, Vox, n-tv, ferner die Verlagsgruppe Penguin Random House mit mehr als 120 Einzelverlagen gehören, die jährlich rund 11.000 Neuerscheinungen veröffentlichen und jährlich mehr als 500 Millionen Bücher verkaufen – zum Beispiel die Deutsche Verlags-Anstalt, der Heyne Verlag, Kösel, der Luchterhand Literaturverlag, Goldmann, Kösel, Siedler, ferner der Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr mit rund 300 Magazintiteln, „art“, Brigitte, Capital, Eltern, Gala, die Geo-Magazine, PM, Schöner wohnen, Stern u.v.a.m. Zu Gruner + Jahr gehört auch der Vertrieb der Wochenzeitung „Die Zeit“. Ferner gehören zu Bertelsmann das Musikunternehmen BMG, die Bertelsmann Printing Group, die Bertelsmann Education Group sowie das internationale Fonds-Netzwerk Bertelsmann Investments. Dr. Brigitte Mohn gehört nicht nur dem Vorstand der Bertelsmann Stiftung an, sondern sie ist zugleich Aufsichtsratsmitglied der Rhön-Privatkliniken AG. Das ist eine Aktionengesellschaft, die großes finanzielles Interesse an der Schließung öffentlicher Krankenhäuser haben wird. Die Rhön-Kliniken AG erwirtschaftete 2018 einen Gewinn von rund 51,2 Millionen Euro.
Die Bertelsmann Stiftung weiß sich als selbsternannte „Reformwerkstatt“ und „Denkfabrik“ zu inszenieren. 1977 gegründet, hält sie seit 1993 rund 77 Prozent der Aktien der Bertelsmann SE & Co. KGa. Das erlaubt ihr nicht nur die Beschäftigung von hunderten Mitarbeitern, sondern größte mediale Verbreitung über die in der Hand der Mohn-Familie befindlichen Sender und Printmedien. Mit der Übertragung von mehr als Dreivierteln der Konzernaktien sparte man obendrein vermutlich gut zwei Milliarden Erbschafts- und Schenkungssteuer. Die Bertelsmann Stiftung mit ihrem Jahresetat von rund – so die Jahre 2015 und 2016 – 70 Millionen Euro und mit einem Gesamtvolumen aller ihrer Projekte von 1977 bis 2015 in der Höhe von 1,27 Mrd. Euro arbeitet also de facto mit öffentlichem Geld. Dabei vergibt die Stiftung keine Fördergelder, sondern ist nur selbst operativ tätig. Die Grenzen zwischen Gemeinwohlorientierung und Profitinteressen erscheinen hier als fließend.
Thomas Schuler sagt dazu bei „Telepolis“ am 30.08.2010 zu Recht: „So gesehen, stehen sie immer noch in der Schuld der Allgemeinheit.“ Anders ausgedrückt: Verlöre die Stiftung die Gemeinnützigkeit, könnte die öffentliche Hand mit den Steuermehreinnahmen die Wohltaten der Stiftung selbst finanzieren. Und noch einmal nur am Rande: In den USA wäre eine solche Bündelung von Konzern- und Stiftungsmacht nicht möglich. Dort dürfen steuerbegünstigte Stiftungen nur 20 Prozent Anteile an einem Unternehmen haben. Bei der Bertelsmann Stiftung sind es 77 Prozent.
Und schließlich nur gänzlich am Rande: Von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat man zu der aktuellen Studie noch nichts vernommen. Wiewohl er vor kurzem gesagt hatte: „Ein Krankenhaus vor Ort ist für viele Bürger ein Stück Heimat.“