Die Verheißungen von Werbung und PR scheinen in Zeiten der Haltlosigkeit die letzte Bastion großer Wertvorstellungen zu sein. Das kann traurig machen … oder glücklich. Ein tiefer, kurzer Blick lohnt, um dann – ganz beruhigt – in die Kleinheit unser aller Leben zurückzusinken.
Der Sinn des Lebens: ALDI
Wir haben uns schon an so vieles gewöhnt: An einen Heino, der Hartrock singt, an Deutsche Post-Filialen in Döner-Imbissen und Kleinstwagen von Mercedes-Benz. Selbst Tagesthemensprecher duzen sich euphorisch, grüßen den chilligen Zeitgeist und versenken begeistert ihre Glaubwürdigkeit. Vor diesem Hintergrund ist nur konsequent, wenn auch die Sinngebung des Lebens nicht nur einem Dienstleister überlassen wird. Die Warenmärkte haben längst die Pole-Position übernommen
Ausgerechnet weiland Karl Marx erweist sich als der erste Marketingspezi, als er vor mehr als 150 Jahren vor sich hin sinnierte: „Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, dass sie ein sehr vertracktes Ding ist, voller metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken.“
Da mögen die großen Werbe- und Marketingexperten bitte das Feld räumen, die erst vor Hundert Jahren ihre Ratlosigkeit über die soziale Wirkkraft von Waren in dem modischen Begriff des „Images“ zu Papier brachten, um darüber hinweg zu täuschen, dass sie selbst nicht wussten, was in den Köpfen der Menschen eigentlich geschah, wenn ihnen die drei Streifen auf dem Sportschuh näher waren als ihre Gattin.
Nun sollte man meinen, dass der Mensch des 21. Jahrhunderts selbstbestimmter und aufgeklärter sei als alle seine unterjochten und versklavten Ahnen der grauen Vorzeit: Kein Gott, kein Staat, keine Arbeit, sang vor einigen Jahren eine jugendbewegte Band im kehligen Laut der Verkündigung. Und so darf es niemanden erstaunen, wenn uns ALDI in seiner Werbekampagne die essentiellen Dinge der Existenz anmahnt und Kinder fragen lässt:
- Warum müssen wir uns beeilen?
- Warum hast Du keine Zeit zum Spielen?
Am Ende der Werbung heißt es: „Einfach ist mehr“.
Was uns hier als postmoderne Variante der Bergpredigt begegnet, zeigt, dass sich zwar die gelernten Zugehörigkeiten zu sozialen Milieus, Familien und Religion auflösen, das eigentliche Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Sinn nicht verschwunden ist. Im Gegenteil: Indem sich der Einkauf bei ALDI zu einem eindeutigen Statement verstanden wissen will, ist jeder Gang zwischen Baldo, Markus-Kaffee und Tandil ein Jakobsweg hermetischer Vernunft. Kaufen ist bei ALDI nicht kaufen, sondern sinnhaftes Tun. Denn für den Philosophen sind die Himmel niemals leer.