Wolfgang Schäuble tritt ab. Der ehemalige Bundestagspräsident durfte die heutige konstituierende Sitzung des Bundestages noch als Alterspräsident eröffnen. Danach wird der dienstälteste Bundestagsabgeordnete zum Hinterbänkler. Dort wird der Mann, der auf eine lange politische Karriere zurückblickt – vom CDU-Parteivorsitz über diverse Ministerien bis zuletzt zum zweithöchsten Amt im Staate – sein politisches Ende als einfacher Abgeordneter erleben. Schäuble hatte darauf gepokert, noch einmal Bundestagspräsident werden zu können – doch das historisch schlechte Abschneiden seiner CDU verbaute den erneuten Weg ins Präsidium für den Christdemokraten. Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ es sich nicht nehmen, gegen ihren Parteifreundfeind noch eine Spitze zu setzen. „Ich habe von ihm einiges gelernt, unter anderem den Spruch: respice finem – bedenke das Ende“, sagte Merkel der Süddeutschen Zeitung.
Angesichts eines gesellschaftlichen Konformitätsdrangs mahnte Schäuble an, dass man auch Widerspruch zulassen müsse. Dem identitätspolitischen Narrativ, dass der Bundestag die Demographie der Bevölkerung prozentual genauestens abbilden müsse, widersprach der 79-Jährige. Auch gegen „Fridays for Future“ positionierte sich der Alterspräsident überraschend. In Richtung der Organisation sagte Schäuble: „Wer Ziele und Mittel absolut setzt, bringt sie gegen das demokratische Prinzip in Stellung.“ Auch Wissenschaft sei nicht absolut und vor allem noch keine demokratische Mehrheit. Nur einzelner, verhaltener Applaus aus der Grünen-Fraktion, in der nun auch führende Köpfe von „Fridays for Future“ sitzen, folgt.
Doch die Klimaradikalen waren nicht die Einzigen, die Schäuble in seiner Rede offen kritisierte. Auch die Gerichtsbarkeit geriet ins Visier des Alterspräsidenten, der mehr Selbstbewusstsein des Parlamentes anmahnte. Die Rechtsprechung gehe „teilweise bis an die Grenzen ihres Mandats“. Ein kaum verhohlener Seitenhieb nach Karlsruhe, wo man sich mit Klimaurteil und Co. als politische Gestaltungsmacht geriert.
Die AfD treibe „die braune Widerlichkeitsskala“ nach oben
Dass Schäuble der Sitzung als Alterspräsident vorsaß, war alles andere als unumstritten: Immerhin ist die Regelung, dass der dienstälteste Abgeordnete diese Rolle einnimmt, erst 2017 eingeführt worden. Damals wollten die etablierten Fraktionen verhindern, dass die AfD den Alterspräsidenten stellt. Denn nach Hunderte Jahren alter parlamentarischer Tradition war es immer der an Lebensjahren älteste Abgeordnete, der die Konstituierung des Bundestages leitete – und dieser kam 2017 aus den Reihen der Alternative für Deutschland.
Diesen politisch motivierten Traditionsbruch kritisierte der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion scharf. In der Begründung eines Geschäftsordnungsantrags warf Bernd Baumann den restlichen Fraktionen politische Diskriminierung der Opposition vor. Der älteste Abgeordnete des Parlaments sei Alexander Gauland, den die restlichen Fraktionen bewusst verhindern wollten. In der deutschen Geschichte habe bis 2017 nur der Reichstag unter Hermann Göring gewagt, diese Regel zu brechen. Der Bezug sorgte für wütende Gegenrufe aus dem Parlament. In seiner Gegenrede erklärte der Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, die AfD erst sinnlos zum Wahlverlierer – um den Bezug auf 1933 dann als „Frechheit“ zu bezeichnen. Die Weimarer Republik sei durch „Ihre Truppe“ zugrunde gegangen, pöbelte Schneider in Richtung der AfD. Auch Schneiders Amtskollege aus der Linksfraktion, Jan Korte, bezeichnete die Fraktion hinter Alice Weidel als Nazis. Die AfD treibe „die braune Widerlichkeitsskala“ nach oben, stehe in der Tradition der NSDAP und sei „parlamentarisch verblödet“. Dank der vor Hass triefenden Reden und Pöbeleien startete der neue Bundestag mit dem alten Debattenniveau – und den gleichen, rituellen Brandmauerreden „gegen Rechts“.
Nachdem die restlichen Fraktionen ihre Anti-AfD-Auftritte durchexerziert hatten, fuhr man in der Tagesordnung fort. Zur Bundestagspräsidentin wurde die SPD-Gesundheitspolitikerin Bärbel Bas gewählt. Ihre Antrittsrede drehte sich vor allem um ihr Geschlecht. Dass sie erst die dritte Frau im Amt des Bundestagspräsidenten sei, sei „nicht ruhmreich“. Verantwortung sei noch lange nicht „gerecht verteilt“, daran zu arbeiten sehe sie als ihre besondere Aufgabe im Amt. Erkennbar will sie Schäubles Ermahnung, dass Quoten nicht demokratisch sind, nicht verstehen. Sie wolle die Präsidentin aller Abgeordneten sein, erklärte Bas, und das Parlament selbstbewusst repräsentieren. Glaubwürdigkeit ist etwas anderes nach dieser Quoten-Vorrede. Das Parlament sei so jung, so divers und vielfältig wie nie, so die Bundestagspräsidentin. Man wolle eine neue Bürgernähe entwickeln. „Wir können zeigen, dass wir Abgeordnete sind, die zuhören.“ Das Parlament solle auch die Sprache der Bürger sprechen. Man müsse Meinungen abbilden – aber „Hass und Hetze“ seien keine Meinung. Bas bezog sich auch positiv auf das Klimaurteil des Verfassungsgerichts, welches ein „Auftrag“ sei. Auch der Schaffung einer „inklusiven“ Gesellschaft müsse sich der Bundestag verschreiben.
Das fragwürdige Bundestagspräsidium
Bas mahnte wie Schäuble eine Wahlrechtsreform an. Dass es mit dem Demokratieverständnis von Bas nicht weit her ist, machte ihre Bemerkung um 13.57 Uhr zu Wolfgang Kubicki deutlich, nachdem dieser als Kandidat aufgestellt wurde: „Sie sind der einzige Mann, wenn das Ergebnis so kommt.“ Das Ergebnis kam, wie es „so kommt“: Der Kandidat der AfD fiel programmgemäß durch; gelenkte Demokratie hat auch ihre Vorteile: 5 Frauen und ein Mann, aber keiner von der AfD.
Damit ist klar: Der Kandidat Michael Kaufmann der AfD war bereits vor der Wahl abgeschossen. Erneut ist die AfD die einzige Partei, die im Bundestagspräsidium nicht vertreten ist. Halt – auch die CSU ist leer ausgegangen, allerdings ist sie in Fraktionsgemeinschaft mit der CDU und kann sich insofern vertreten fühlen. Der bisherige CSU-Vizepräsident Hans-Peter Friedrich verzichtete leider auf die Kampfkandidatur gegen Yvonne Magwas, was bedauerlich ist: Denn neben Wolfgang Kubicki wäre er der einzige halbwegs solide Politiker in diesem Kreis der Sechs. So wurde die CDU-Hinterbänklerin und Merkel-Vertraute Yvonne Magwas an Friedrichs Stelle gewählt, die mit dem fragwürdigen CDU-Ostbeauftragten Marco Wanderwitz liiert ist – das Parlament als Family-Business. Dazu die Linksradikale Petra Pau, ehemalige hauptamtliche Mitarbeiterin des Zentralrates der #FDJ; und für die SPD Aydan Özoğuz, die keinerlei gemeinsame deutsche Kultur entdecken kann außer der Sprache weswegen sie tiefe, familiäre Verbindungen in islamische Millieus pflegt. Und natürlich die Grüne Claudia Roth; über diese Dame wäre zu viel zu sagen. Vielfalt, demokratische Kultur sind damit weitgehend Fehlanzeige im monochrom eingefärbten Bundestagspräsidium, das die Bevölkerung nicht repräsentiert, sondern allenfalls für politische Sekten wie die der „Anti-Deutschen“ steht und sich nicht zu schade für Nepotismus ist.
Das Corona-Regiment – wenig Neues zu erwarten
Als neue Bundestagspräsidentin steht Bärbel Bas nun vor einer Entscheidung mit Tragweite – sie wird das Corona-Regime im Parlament gestalten können. In der konstituierenden Sitzung galt bereits das 3G-Konzept: Abgeordnete, die ihren Gesundheitsstatus nicht offenbaren wollten, wurden auf die Tribüne verbannt. Unter ihnen war auch der AfD-Abgeordnete Thomas Seitz, dessen vergangene schwere Corona-Erkrankung durch mediale Berichterstattung weitgehend bekannt ist. Alle anderen Abgeordneten wurden mit schwarz-rot-goldenen Armbändchen gekennzeichnet (über die sich die Linken-Abgeordnete Domscheit-Berg übrigens gleich öffentlichkeitswirksam mokierte). Ob die Mandatsausübung vom Gesundheitsstatus beeinflusst wird und wann Sonderregelungen endlich wegfallen, wird die ehemalige Gesundheitspolitikerin federführend bestimmen.