Tichys Einblick
Das Problem, das keiner sehen will

Hanau, Kongsberg & jetzt die ICE-Attacke: vordergründig ideologiegetriebene Psychotiker und das Versagen des Staates

Die Linke deutet sich die Welt zurecht: Alle muslimischen Täter sind bloß "irre", alle anderen ideologische Rechtsradikale. Dabei bedrohen Psychotiker uns alle – mit verschiedenen ideologischen Masken. Daran trägt die Politik eine erhebliche Mitschuld. Auch Migration spielt eine Rolle.

IMAGO / TT

In Bayern kommt es zu einer Messerattacke im Zug – der Täter ist Syrer, die Linke ruft gebetsmühlenartig, das wäre ja nur ein Psychotiker, will heißen: Nur ein „Irrer“, die Politik trägt keine Schuld. Das ist schon allein deshalb so fadenscheinig, weil das die selben rufen, die Attacken wie Hanau ansonsten direkt auf einen geheimen Plan der Rechten zurückführen und finden, die AfD habe quasi mitgeschossen. Die Wahrheit ist aber: Genau wie der Täter jetzt aus dem Zug in Bayern, war der Täter von Hanau auch ein nur vordergründig ideologischer Psychotiker, der in keiner Weise mehr Realitätsbezug hat. Die Ursache dieses Realitätsverlustes ist nicht diese oder jene Ideologie, sie sitzt tiefer. An der zunehmenden Gewalt sind der Staat und die Linke aber keinesfalls unschuldig: Seit Jahren läuft eine Psychiatrie-Politik, die genau auf solche Katastrophen hinausläuft. Und das Problem ist auch nicht völlig von der Migrationsfrage zu trennen.

Norwegen: Zwei Fälle, zwei Deutungen 

Zehn Jahre nachdem Anders Breivik in Oslo und auf der Insel Utoya ein Massaker an 77 mehrheitlich jungen Menschen anrichtete, wurde Norwegen erneut der schreckliche Schauplatz eines mutmaßlich extremistischen und ideologiegetriebenen Attentates. In Kongsberg schoss vor Kurzem der 37-jährige Espen B. mit Pfeil und Bogen um sich und tötete anschließend völlig willkürlich fünf Menschen mit einer Stichwaffe. Nachdem die Ermittler zunächst von einem islamistischen Tatmotiv ausgegangen sind, verdichten sich inzwischen die Hinweise darauf, dass der dänische Staatsbürger nicht radikalisiert, sondern in erster Linie psychotisch war. Auch wenn bislang keine Details zu seiner Krankheit veröffentlicht wurden, deutet alles darauf hin, dass der Mann an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis litt – einer psychischen Krankheit, die mit einer deutlich erhöhten Kriminalitäts-, Gewalt- und sogar Mordrate einher geht. Ideologie und Fanatismus, ob rassistisch oder islamistisch, sind dabei kein Ausdruck von Radikalisierung, sondern die Wahninhalte eines von jeglichem Realitätssinn verlassenen Menschen.

Pandemie verstärkt psychische Krankheiten
Weltweit stirbt alle 11 Minuten ein junger Mensch durch Suizid
Nach Berichten verschiedener Zeitungen war Espen Anders Bråthen bereits lange vor seiner Bluttat bei der Polizei bekannt. Laut der norwegischen Nachrichtenagentur NTB wurde Bråthen zweimal verurteilt, wegen Einbruchdiebstahl und Drogenbesitz (Besitz und Gebrauch von Haschisch) und weil er Familienmitgliedern gedroht habe, sie umzubringen – der arbeitslose und sozial völlig isolierte Mann war 2020 in die Wohnung seiner Eltern eingebrochen und drohte, seinen Vater zu töten, das Gericht verhängte deshalb ein Kontaktverbot. Das deckt sich mit der Aussage eines Jugendfreundes, der sich nach Angaben der Zeitung VG bereits 2017 besorgt an die Polizei gewendet hatte, nachdem auf Youtube ein „ominöses“ Video von Bråthen auftauchte. In dem Video sieht man den kahl geschorenen Mann mit starrem Blick, während er verkündet, ein Bote zu sein, der mit einer Warnung komme. Mit relativ monotoner Stimme fragt er: „Ist das wirklich, was ihr wollt? Für alle die, die etwas wiedergutzumachen haben, ist die Zeit gekommen. Bezeuge, dass ich ein Moslem bin.“ – Er liest die Worte dabei von einem Papier in seiner Hand ab.
In beiden Fällen hätten die Behörden es wissen können

Der befreundete Mann, der Bråthen nach eigenen Angaben seit seiner Kindheit kenne, schrieb daraufhin eine E-Mail an die Polizei, in der er mitteilte, dass der Inhalt zwar nicht illegal sei, Bråthen aber fachliche Hilfe bekommen solle, „bevor es zu spät sei“. Er glaube, dass sein Freund seit mehreren Jahren psychisch krank ist und beschrieb den 37-Jährigen als „einsamen Wolf“, der isoliert lebe und wahrscheinlich zu „fast allem“ bereit sei. Zuletzt schrieb er, dass er hoffe, dass die Polizei sein Anliegen ernst nehme und Espen B. nicht die Möglichkeit habe, etwas „absolut Schreckliches“ zu tun – sein Hoffen wurde aber anscheinend nicht erhört. Nach der Tat sagte der Mann gegenüber der VT, er musste sofort an Bråthen denken, als er von dem Anschlag hörte. Es „sei ein Kollektivversagen“, dass dieser nun eine solche Bluttat verübt habe.

Das vergessene Problem unserer Zeit
Hanau, Würzburg & Co. – Psychotiker bedrohen uns alle
Der Sachverhalt erinnert schwer an die Geschehnisse in Hanau, wo Tobias Rathjen am 19. Februar 2020 neun Menschen aus einem vordergründig rechtsextremistischen Motiv tötete und danach nach Hause fuhr, um seine Mutter und anschließend sich selbst zu erschießen. Auch Rathjen veröffentlichte vor seiner Tat ein „Bekenner-Video“, in dem er die Menschen „warnte“. Rathjen sprach ebenfalls mit einem sehr starren Blick und absoluter Ruhe über seine abstrusen Wahninhalte: von einer Geheimverschwörung und unterirdischen militärischen Anlagen, in denen der Satan selbst herrscht und Kinder gefoltert und ermordet werden. Beide Täter zeigen außerdem narzisstische bzw. von Größenwahn geprägte Elemente, wie sie bei schizophrenen Erkrankungen häufig vorkommen: Dass sie selbst ein Bote sind – jemand, der andere aufklären muss, und dem unwissenden Volk die Augen öffnet. Die Ruhe und der starre Blick mit der sowohl Rathjen als auch Bråthen über ihre „Mission“ sprachen, könnte ein Anzeichen für die sogenannte Affektverflachung sein, eine Störung der emotionalen Regungen, bei der die Gefühlslage gleichgültig wird und sich die Betroffenen innerlich leer fühlen – der Gesichtsausdruck wird starr, Gestik und Mimik verarmen. Die gestörte Affektivität drückt sich häufig auch im sozialen Rückzug aus – Rathjen und Bråthen galten als Einzelgänger.

Wie Bråthen war außerdem auch Tobias Rathjen lange vor seiner schrecklichen Tat bei den deutschen Behörden bekannt, war 2002 kurzzeitig wegen einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis untergebracht und veröffentlichte nur wenige Monate vor der Tat ein Manifest – die Behörden sahen sich aber nicht genötigt zu handeln und arbeiteten unter anderem aus Datenschutzgründen nicht zusammen, wodurch man den Mann weder unterbringen noch ihm seine Waffenlizenz entziehen konnte. Rathjen besaß seine Schusswaffen legal. Und auch Bråthen war im Besitz von Waffen: Neben dem legalen Besitz von Pfeil und Bogen soll der Mann nach Aussagen eines Nachbarn bei gutem Wetter in seinem Garten mit Schlagstöcken und Knüppeln das Kämpfen geübt haben.

Die neue Psychiatrie-Politik: Eingreifen, wenn es zu spät ist

Trotzdem geschah offenbar nichts. Die Untätigkeit der Behörden und Justiz in Bezug auf gewaltaffine Psychotiker ist zumindest in Deutschland leider kein Ausnahmefall. Das zeigte sich auch in Würzburg, bevor der 25-jährige Somalier Jibril Abdirahman mit einem Messer brutal und wahllos drei Frauen aus dem Leben riss und fünf weitere Menschen lebensgefährlich verletzte. Der wohl ebenfalls an einer Schizophrenie erkrankte Mann wurde seit seiner Ankunft in Deutschland 2015 immer wieder auffällig und stationär in die Psychiatrie eingewiesen, weil er andere Menschen mit einem Messer bedroht oder verletzt hatte. Er wurde nur kurz vor der Tat erneut in die Psychiatrie eingewiesen, weil er sich völlig lethargisch in das Auto eines fremden Mannes gesetzt hatte und sich weigerte, wieder zu gehen. Trotzdem wurde der Mann wieder entlassen. Am Tattag redete er laut Zeugen mit Vögeln, bevor er seinen „Dschihad“ beging – oder besser gesagt, seinem religiösen Wahn und den Stimmen in seinem Kopf nachgab.

In allen drei Fällen handelt es sich um die Taten psychisch schwer kranker Männer, die Realität und Wahn nicht mehr voneinander trennen konnten. Im Rahmen einer solchen Erkrankung begegnet man häufig Betroffenen mit religiösen oder ideologisierten Wahninhalten, sie glauben aber genauso an eine Verschwörung der CIA, der Stasi oder an Außerirdische. Bei meiner Arbeit für ein Berliner Betreuungsbüro habe ich schon Menschen gesehen, die sich selbst für Hitler hielten, andere, die von der Ermordung ihrer Angehörigen durch die Nazis berichteten, einer wurde von Allah persönlich zum Propheten auserkoren, wieder ein anderer von der Stasi abgehört, manche glaubten an Reptiloiden und wieder andere an Hexen und Vodoo-Zauber. Die Wahninhalte schizophrener Menschen sind sehr verschieden, es geht aber immer um Themen mit Bedrohungspotenzial. Gewalttätige Psychotiker eint außerdem zumeist der Gedanke, verfolgt, bedroht, gekränkt, verhöhnt und beeinflusst zu werden.

Migration spielt eine Rolle

Von der wahren Instrumentalisierung
Würzburg und Hanau - zwei Psychotiker und zwei Maßstäbe
Laut Prof. Dr. Wolfgang Meins gilt der paranoide oder Verfolgungswahn – wie etwa bei Rathjen, der dachte durch die Steckdose abgehört, belauscht und gefilmt zu werden – neben dem Auftreten starker Erregungszustände als recht gesicherter Risikofaktor für Gewalttaten schizophren erkrankter Menschen – bei Alkohol- und Drogenkonsum (wie etwa bei Abdirahman im Falle Würzburg und eventuell auch bei Bråthen in Kongsberg) erhöht sich das Risiko zusätzlich, im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um das 19,5-Fache. Der Psychiater stellt außerdem die interessante These auf, dass Flüchtlinge oder Migranten aus Regionen, in denen ein dogmatischer Islam vorherrscht, wahrscheinlich eine besondere Risikogruppe für ihre Umwelt sind – dort kommt der Verfolgungswahn im interkulturellen Vergleich am häufigsten vor. Es ist zudem wissenschaftlicher Konsens, dass Migranten und Flüchtlinge generell ein erhöhtes Risiko haben, an einer Schizophrenie zu erkranken.

Doch egal ob Migrant, Flüchtling oder Einheimischer: Die meisten psychisch kranken Menschen sind harmlos; es gibt aber trotzdem eine nicht unerhebliche Zahl schwerer, oft chronifizierter Psychotiker die im erheblichen Maß eigen- und fremdgefährdend sind – so wie Espen Bråthen, Tobias Rathjen und Jibril Abdirahman. Diese Menschen müssten zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz der Allgemeinheit in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht und wenn nötig, auch gegen ihren Willen medikamentös behandelt werden. Nur so können die Betroffenen vor Verwahrlosung, Eigengefährdung, selbstverletzendem Verhalten und Suizid bewahrt werden. Und nur so können so schreckliche Geschehnisse wie in Hanau, Würzburg, Frankfurt und Kongsberg verhindert werden.

Doch das ist politisch nicht gewollt. Im Zuge der Anti-Psychiatrie-Politik greift man in Deutschland – und anscheinend auch in Norwegen – erst ein, wenn es schon zu spät ist. Hätte man konsequent gehandelt, als das Bedrohungspotenzial der späteren Täter sichtbar wurde, könnten viele unschuldige Menschen heute noch leben.

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