Tichys Einblick
Friedhofsruhe

Konformität: Alles ist gesagt – nichts ist erreicht

Eine deutsche Journalistin fragt, ob es in Polen noch eine lebendige Demokratie gebe. Ja, lautet die Antwort von dort: Warum ist eure in Deutschland so schweigsam und weshalb seid ihr so konform?

Momentan deutet vieles erneut auf eine Große Koalition ohne nennenswerte Opposition hin. Vergeben wir auch noch diese letzte Chance auf eine Veränderung? Jeder hat heute die Möglichkeit, sich umfassend zu informieren. Die Leser von TE sind gut informiert. Die Leserbriefe weisen es aus; auch die in vielen Mainstream-Medien abgedruckten Kommentare. Die Fakten liegen auf dem Tisch. Alles ist gesagt. Doch Konformität ist taub.

Konformitätsdruck

Dass unsere bürgerlichen Freiheiten immer mehr eingeschränkt werden, liegt für jeden auf der Hand, der es wissen will. Durch politische Korrektheit (Selbstzensur) und Gesinnungspolizei (NetzDG), durch Merkels verordnetes „Nudging“ und andere Manipulationstechniken soll die Kluft zwischen dem, wie der Staat mich haben will – und dem, wie ich eigentlich fühle und leben möchte, unsichtbar gemacht werden. Bücher werden politisch korrekt auf Linie gebracht, von Bestsellerlisten gestrichen, aus den Regalen genommen und können in Buchhandlungen nicht mehr bestellt werden. Ein jüdischer Buchladen in Berlin musste wegen Druck durch die Antifa schließen. Jan Fleischhauer schildert in seiner Spiegel-Kolumne einen Fall aus München, bei dem der Wirt eines italienischen Restaurants seine Existenz verlor, weil er dem Gebot von offizieller Stelle, Gäste von der Pegida-Bewegung nicht mehr zu bedienen, nicht Folge leisten wollte. Der Beispiele gibt es viele. Mich wundert, dass Herr Fleischhauser so etwas überhaupt noch schreiben und kritisieren darf. Pegida auch nur zu erwähnen, ist ja schon eine Verfehlung.

Ost-EU formiert sich
Wie verrückt ist die EU?
Der menschliche Herdentrieb ist stark ausgeprägt und tief verwurzelt; das wissen und nutzen auch die Etablierten. Man will „dazu gehören“, nicht ausgegrenzt werden. Nicht allein gegen die anderen stehen. Sich anpassen, wenn Jobverlust, soziale Ächtung oder sogar Gewalt drohen. Und wenn sich alle gängigen Medien – um nur ein Beispiel zu nennen – einig darin sind, dass Russland und Assad „schlechte“ Bomben werfen und die USA und die NATO „gute“ Bomben, dann muss doch stimmen, was sie uns täglich vorgeben. Dass wir das als gefährliches Mitläufertum aus der Geschichte kennen, mag nicht jeder so sehen. Entmutigend auch, dass Institutionen wie die Kirchen und Gewerkschaften, viele Künstler und Intellektuelle, die früher ihre mahnende Stimme erhoben haben, heute zu den bedingungslosen Konformisten gehören und mit CDU & Co. eine Partei unterstützen, die man in diesen Kreisen in meiner Jugendzeit niemals gewählt hätte, die als ultra-spießig, lächerlich und reaktionär galt. Warum gibt es nicht wenigstens einige wenige, die mal den Mund aufmachen Klartext reden und dazu stehen?
Die narzisstische Gesellschaft

Nun ist Angela Merkel schon so lange an der Spitze, dass viele junge Menschen nur sie als Kanzlerin kennen. Man muss schon einen besonderen inneren (narzisstischen) Antriebsstachel haben, um immer wieder „auf die Bühne“ – auf die Bretter, die die Welt bedeuten -, ins Kanzleramt, auf einen Chefsessel oder auf die Kirchenkanzel zu streben.

Siebzig Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs sind wir „wieder wer“, zeigen militärische Präsenz rund um den Globus. Seit den Rettungspaketen für Griechenland erlebt der „hässliche Deutsche“ ein Comeback. Doch niemand will es hier wahr haben. Man sieht sich im Gegenteil als „das beste Deutschland, das wir jemals hatten.“ (Joachim Gauck) Ein Schwanken zwischen Zerknirschung und Größenwahn. Es ist viel von „Führung“ die Rede. Dass Deutschland wieder eine Führungsrolle übernehmen soll, darin scheinen sich fast alle Parteien einig zu sein. „Deutschland ist die natürliche Führungsmacht in Europa“, so Polens Außenminister Waszczykowski. Dass die deutsche Politik auch viel Kopfschütteln erntet, wird einfach nicht wahrgenommen. Nach Jahren der Demut wieder die alte blinde Selbstüberschätzung: Der 100%-Schulz inmitten seiner sich selbst beweihräuchernden Parteigenossen. Das minutenlange Beklatschen der „Retterin der freien Welt“. Die „Weltkanzlerin“ und offene Befürworterin einer globalen, von den Mächtigsten der Welt ausgerufenen, den Bürger entmündigenden globalen Neuen Weltordnung. Die von ihr ständig im Mund geführten „westlichen Werte“ klingen immer hohler. Helmut Schmidt hat die richtigen Worte dafür gefunden: „Das propagandistische Beharren auf der Theorie der Menschenrechte und zugleich in der Praxis oft das Gegenteil tun, das verurteile ich.

Das falsche Leben

Jeder, der Ohren hat zu hören und Augen, um zu sehen, bekommt das alles nicht mehr auf einen Nenner. Der Psychologe Hans-Joachim Maaz nennt sein neues Buch „Das falsche Leben“. Schon der Titel macht neugierig, denn spüren nicht viele Bürger schon lange, dass etwas nicht stimmt in einem Leben, in dem unsere alltägliche Wirklichkeit mit den Vorstellungen und Entscheidungen von Politik und Wirtschaft nicht mehr kompatibel ist und viele dennoch so tun, als wären sie es? Zitat; „So können Störung, Abnormität und Destruktivität als normal, richtig und notwendig erscheinen, wie wir dies etwa im Nationalsozialismus und Sozialismus zur Kenntnis nehmen mussten und heute in einer narzisstischen Gesellschaft als Gefahr einer bedrohlichen Fehlentwicklung erkennen sollten.“ Eine gesellschaftliche Fehlentwicklung, die von einer Mehrheit mit getragen wird, wird oft nicht mehr als pathologisch wahrgenommen. Wer etwas ahnt, wehrt nach bewährter Manier lieber ab – wir erleben es täglich, wenn aggressiv reagiert wird oder Gespräche verweigert werden. Warum kommen sie damit immer wieder durch?

Schweigen oder protestieren

Der „Presseclub“ vom 30.7.: „Polen und die EU: Ja zum Geld, nein zum Rechtsstaat?“ Mit drei deutschen Journalisten, die sich detailliert und mehr oder weniger „unter sich“ über Polen auslassen. Eine Polin: Aleksandra Rybinska. Schon ein eklatantes Missverhältnis, denn zu diesem Thema wären zumindest zwei polnische Positionen wichtig und interessant gewesen. Die Überheblichkeit der Deutschen muss man sich live anhören. Zitat Ruth Berschens (Handelsblatt): „Die Demokratien in Mittel- und Osteuropa sind vielleicht noch nicht so gefestigt wie bei uns.[…] Ich habe in Brüssel auch schon mal gehört, dass manche Diplomaten, die sich damit befassen, von Kinderkrankheiten sprechen.“

Schlechter Rollentausch
"Wie die Medien zu Parteien wurden"
„Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken in deinem Auge aber bemerkst du nicht?“ fragt die Bibel und ist schon lange eine Grunderkenntnis der Psychologie: Projektion. Wer die dunklen Seiten in sich selber nicht wahrnehmen will, lenkt den Blick lieber permanent nach außen: z.B. auf die eklatanten Rechtsbrüche in der Türkei oder die geplante Justizreform in Polen. Was dabei nicht erwähnt wird: In der Türkei sind im Juli Hunderttausende für Gerechtigkeit tagelang von Ankara nach Istanbul gelaufen. In Polen demonstrierten Zehntausende friedlich auf der Straße für ein Veto von Staatspräsident Duda. „Die Jungen sind aufgewacht“ schreibt die Tagesschau. Warum wacht bei uns niemand auf, reagiert spontan und nimmt sich ein Beispiel an den Polen?

Aleksandra Rybinska wird gefragt, ob es in Polen noch eine lebendige Demokratie gebe. Man sehe ja angesichts dieser Justizreform, antwortet sie, dass sich in Polen die Menschen wirklich engagierten. Im Gegensatz zu den westeuropäischen Ländern, wo man kaum noch Interesse sehe und niemand protestiere, selbst wenn es vernünftig wäre, auf die Straße zu gehen. „Es gibt in Polen noch lebendige Demokratie. Ich hätte zum Beispiel gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz von Herrn Maas demonstriert.“

Noch einmal Hans-Joachim Maaz: Protestbewegungen aller Art seien wichtige Symptomträger, die man zu Wort kommen lassen müsse. In der Gesellschaft werde es immer die Alphas (Anführer) und die Omegas (die Gegenspieler, die andere Positionen vertreten) geben. Die Omegas haben eine wichtige Funktion in der Gesellschaft, weil sie verdrängte Perspektiven vertreten, die andere nicht sehen wollen.

Aber da hören wir mal lieber gar nicht hin, denn die Kanzlerin hat gesagt, dass wir „denen“ nicht folgen sollten, weil die so kalt und hasserfüllt sind.

„Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen hat, dennoch gern zeitlebens unmündig bleiben, und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. „(Immanuel Kant)

Die mobile Version verlassen