Wer in den letzten Tagen und Wochen die Nachrichten verfolgt hat, wird abseits des anhaltenden „Kampfes gegen Rechts™“ ein beunruhigendes Grundrauschen vernommen haben. Der Reihe nach dringen in Abständen weniger Tage Variationen der gleichbleibenden Warnungen an die Öffentlichkeit, in denen Geheimdienste oder anverwandte Organisationen diverser europäischer Staaten vor einem direkten Krieg der NATO mit Russland warnen. Oder, genauer gesagt, diesen ankündigen.
Daran knüpfen sich unweigerlich eine Reihe von Fragen: Befinden sich die NATO-Staaten nicht de facto – wenn schon nicht de jure – bereits in einem Stellvertreterkrieg mit Russland in der Ukraine? Geld und Waffen liefert der Westen ohnehin unverblümt an die Ukraine, aber in geringerem Ausmaße ist auch immer wieder von westlichen Todesopfern an der Front zu lesen. Was nun einen direkten, offenen Konflikt mit Russland anginge, wäre ebenfalls die Frage zu stellen, welche konkreten Hinweise es auf solch eine Eskalation gibt, oder ob hier ein Konflikt herbeigeschrieben werden soll. Oder gilt es nur Ängste zu schüren, die eine willkommene Ablenkung von real existierenden Problemen innerhalb der europäischen Staaten bieten sollen?
Geheimdienstliches Munkeln oder konkrete Warnungen?
Wirklich konkrete Beweise beinhalten diese Berichte meist nicht. Das ließe sich zwar über Geheimhaltungsgründe erklären, wirft aber die Frage auf, wieso man dann mit Warnungen an die Öffentlichkeit geht, die vielmehr wie beunruhigende Pressemitteilungen zur Formung öffentlichen Bewusstseins wirken, denn als konkrete Hinweise und Informationen. Entweder die Sache muss geheim gehalten werden, oder man hat den Punkt erreicht, die Bevölkerung warnen zu müssen. Stattdessen nehmen sich die Meldungen wie Getuschel in der Kaffeeküche des BND zur Mittagspause aus.
Damit soll nicht behauptet werden, dass es keine Bedrohung gäbe. Allerdings wäre es dabei auch angemessen darauf hinzuweisen, dass die größte Truppenübung der NATO nach Ende des Kalten Kriegs vor der Haustür Russlands auch in Moskau wenig zur Entspannung der Nervenkostüme beiträgt. Bei genauerem Hinsehen entspinnt sich das Bild einer verfahrenen Situation – nicht unähnlich derer vor der Eskalation des Ukrainekonflikts – in der die Frage nach dem Huhn und dem Ei wohl kaum entscheidend geklärt wird, da die Ursachenforschung auf allen Seiten meist an einem ihr genehmen Punkt endet.
Ein Krieg mit mehr Vätern als eine moderne LGBT-Familie
Blickt man auf die Entstehungsgeschichte des Kriegs in der Ukraine zurück, so ist es mit ein wenig Distanz demoralisierend die fast schon schicksalhafte Verkettung von Ereignissen bis zur Eskalation zu verfolgen. Angesichts dessen, dass bis heute keine der Möglichkeiten zur Deeskalation genutzt wurden, es im Gegenteil eine Reihe von Kräften gibt, die selbst den Aufruf zur Deeskalation als Verrat ansehen, verbreitet sich wenig Optimismus was die Verhinderung eines bewaffneten Konflikts zwischen der NATO und Russland angeht. Gleich dem Fatalismus einer eddischen Sage scheint die schicksalhafte Aneinanderreihung erbarmungsloser Blutrache beider Seiten bis zur totalen Ausrottung aller unser Los zu sein.
Wer hierfür die Schuld bei Putin sieht, hat meist eine einfache Antwort zur Hand: Putin müsste doch einfach nur einsehen, dass die an Russland grenzenden Völker keine Lust auf eine Aufnahme in sein erträumtes Großrussland haben. Auf der anderen Seite vertreten Politikwissenschaftler wie John Mearsheimer die Ansicht, dass der Westen mit seinen Expansionsbestrebungen der NATO bis vor die Haustür Russlands die eigentliche Schuld an diesem Konflikt trägt.
Diese Frage zu beantworten soll aber gar nicht das Ziel dieses Beitrags sein, vielmehr soll die Interessensfrage gestellt werden. Denn ohne in moralischen Relativismus zu verfallen, kann festgehalten werden, dass es zwar in allen Fragen eine letztendliche Wahrheit gibt, die Tatsache aber, dass eine Partei die „Böse“ ist, nicht zwingend bedeutet, dass die andere Partei die „Gute“ ist.
Selbst wenn also Putin in sowjetisch-imperialen Großmachtphantasien von einer Eroberung des Baltikums träumen sollte, ist für uns in Europa die Frage entscheidend, welche Absichten die westlichen Führungseliten in dieser Frage verfolgen. Denn selbst wenn es einen in der öffentlichen Wahrnehmung klar definierten Aggressor gibt, heißt dies noch lange nicht, dass nicht auch die Gegenseite Ziele jenseits der Selbstverteidigung verfolgt.
Die Verteidigung westlicher Werte und deren gleichzeitige Abschaffung
Die Verteidigung der sogenannten „Unabhängigkeit“, „Freiheit“ und der „westlichen Werte“ – wie geschehen in der Ukraine – erweist sich nicht nur als bemerkenswert altmodischer Kniff der Rhetorik, der Begriffe nutzt, die ansonsten schon längst aus dem Sprachgebrauch westlicher Politiker verschwunden sind, sondern entpuppt sich auch als bemerkenswerte Perversion dieser Begriffe. Und womöglich liegt genau in diesem Prozess ein Hinweis darauf begraben, welche Interessen der Westen im Falle eines solchen Konflikts verfolgen könnte.
Denn ein Blick auf die Ukraine offenbart einige auffallende Widersprüchlichkeiten. Dass eines der korruptesten Länder Europas, dessen Präsident selbst kurz vor dem Einmarsch der russischen Truppen in den Skandal der Panama-Papers verwickelt war, von einem Tag auf den anderen zum Bollwerk von Freiheit und westlichen Werten umgedeutet wurde, mag der pragmatische Beobachter noch als einfache Loyalitätsgeste des Westens zum Underdog interpretieren. Aber der seit Kriegsbeginn andauernde Abbau der Demokratie in der Ukraine, vom Verbot von Oppositionsparteien, über die Einschränkung der Pressefreiheit, bis hin zur Absage der anstehenden Wahlen, die durch das andauernde Kriegsrecht gerechtfertigt wird, wirft zumindest die Frage auf, wie nach Ende des Krieges der Übergang zur hochgelobten Demokratie – die auch vor diesen Maßnahmen alles andere als vorbildlich funktionierte – denn eigentlich gelingen soll.
Oder soll er überhaupt gelingen? Ist der eingefrorene Kriegszustand – so makaber das auch klingen mag – nicht ein ideales Mittel um die Macht auf eine Art und Weise zu konzentrieren, wie es zu Friedenszeiten kaum möglich wäre? Für den ukrainischen Präsidenten Selenski ist jedenfalls schwer vorstellbar, wie der keineswegs unumstrittene Präsident nach Ende des Krieges zum Alltagsgeschehen übergehen kann. Der permanente Ausnahmezustand – so lehrte auch die Corona-Pandemie – ist das ideale Mittel um politische Tatsachen zu schaffen, die ansonsten nur schwer zu rechtfertigen wären.
Auch von Seiten des Westens stellt sich die Frage, wie die Unterstützer aus den USA und Europa sich vorstellen, dass die Eingliederung der Ukraine in die westliche Wertegemeinschaft nach überstandenem Krieg vonstattengehen soll. Natürlich, die Verträge mit Blackrock um das gesamte Land wieder aufzubauen sind bereits unterzeichnet, doch muss Otto Normaldemokrat doch sehr hoffen, dass abseits dieses industriellen Ausverkaufs auch weitere Pläne bestehen um den „failed state“ Ukraine auf ein demokratisch zumindest annehmbares Niveau zu hieven.
Die Verlockungen der Autokratie
Kein politischer Führer in der EU, mit Ausnahme vielleicht von Viktor Orban, weiß einen Plan vorzulegen, wie dieser Krieg zu einem Ende kommen soll, das nicht mit einem Märchen vom Sturz Wladimir Putins und einem neuen westlich-orientierten Russland endet. Was, wenn das nicht bloße Ohnmacht, sondern Absicht ist? Was, wenn die Aushebung der letzten Reste der ohnehin schwachen Demokratie in der Ukraine nicht ein notwendiges Übel, sondern eine erstrebenswerte Ermächtigung ist? Ist Selenski tatsächlich ein Volksvertreter, ein Präsident, oder ist er nicht vielmehr bereits ein Spengler’scher Warlord (als der er sich in Tarngrün auch gerne kleidet), der als charismatische Figur ein ganzes Volk in Abstimmung mit der westlichen Wertegemeinschaft führen soll?
Die Bewunderung, die manche westliche Politiker für die Effizienz autokratischer Herrschaftssysteme wie in China hegen, ist nichts Neues. Warum sollte man also davon ausgehen, dass sie den Abbau der Demokratie in der Ukraine gegenwärtig als bedauernswert ansehen? Kaum ein westlicher Spitzenpolitiker würde gegenwärtig wohl für Wahlen in der Ukraine plädieren, denn ein Führungswechsel könnte beim falschen Ergebnis den Todesstoß für den Freiheitskampf der Ukrainer bedeuten. Wenn dem so ist, dann stellt sich die Frage, ob der Abschied von den Resten der Demokratie in der Ukraine nur eine Übergangserscheinung ist, oder ob hier nicht vielmehr eine Blaupause für ähnliche Vorgänge innerhalb der gesamten EU vorliegt.
Denn ob nun auf nationaler Ebene, wo die letzten Wochen offenbarten wie offensiv mittlerweile gegen jegliche tatsächliche Opposition vorgegangen wird, oder auf europäischer Ebene, wo gefühlt alle paar Monate neue Gesetze in Kraft treten, die die Meinungs- und Pressefreiheit weiter beschränken – der Trend weg von der Demokratie ist, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz, offensichtlich erkennbar.
Gelegenheit schafft Kriege
All das aber sind nur Wegbereiter, die den Abschied von der Last des demokratischen Prozesses schmackhaft machen sollen. Die endgültige Abschaffung der Meinungspluralität und der Demokratie braucht einen Anlass, einen Ausnahmezustand. Und der Krieg – vor allem jener gegen das vermeintlich absolut Böse – ist der wohl beste Anlass, der diesen letzten Schritt ermöglichen kann. Ein Krieg der NATO mit Russland würde es nach ukrainischem Vorbild ermöglichen, mit unliebsamer Opposition und Presse kurzen Prozess zu machen, denn in Zeiten der Verteidigung gegen den Feind ist kein Platz für Verräter. Ulrike Herrmann, die bereits seit langem von der britischen Kriegswirtschaft für ihr „grünes Schrumpfen“ schwärmt, würde Freudensprünge vollführen ob der tatsächlichen Ausrufung der Kriegswirtschaft. All diese Pläne, die im Kriegsfall umzusetzen ein Leichtes wäre, liegen vor und sind hinlänglich bekannt. Welchen Grund gäbe es anzunehmen, dass die selben Macher der Politik, die seit Jahren genau diese Veränderungen vorantreiben, die Gunst der Stunde eines Krieges nicht nutzen würden, um endlich vollendete Tatsachen zu schaffen?
Vladimir Putin mag womöglich tatsächlich imperiale Ambitionen haben. John Mearsheimer sieht dafür zwar keinerlei Belege, doch lassen wir diese Vermutung der Einfachheit halber stehen. Aber nur die Tatsache, dass Putin solche Interessen verfolgt, bedeutet eben nicht, dass nicht auch der Westen ein Interesse an einem offenen Konflikt mit Russland haben könnte, denn nichts ermächtigt eine nach Befugnissen strebende Bürokratie mehr als ein Krieg.
Die Tatsache, dass der Krieg in der Ukraine bereits seit geraumer Zeit zu einem relativ statischen Stellungskrieg geworden ist, kann ein Indikator für eine Veränderung in der Kriegsführung sein, könnte aber auch politische Motive haben. Der Erhalt der Pattsituation ermöglicht beiden Parteien (wobei man bei der Ukraine eben auch den unterstützenden Westen hinzudenken muss) eine dauerhafte Ausnahmesituation zu erzeugen, die vieles möglich macht, das ansonsten undenkbar wäre. Eine ähnliche Konstellation wäre auch in einem offenen Konflikt des Westens mit Russland denkbar.
Eine eingefrorene Front im Baltikum oder im Norden Finnlands, an der zwar regelmäßig junge Männer ihr Leben lassen (ein Verlust, den man zumindest im Westen gerne durch weitere Migration auszugleichen bereit wäre), würde wohl nur einen überschaubaren strukturellen Schaden für die europäische Infrastruktur bedeuten. Zumindest im Vergleich zum Schaden, den diverse grüne Bewegungen ohnehin in Europa anrichten. Garniert mit der omnipräsenten Drohung eines nuklearen Holocausts, ließe sich die kontrollierte Pattsituation über Jahre hinweg dazu nutzen, auch die letzten Reste der Demokratie zu verbannen, damit man rechtzeitig bis 2030 die schwarz auf weiß niedergeschriebenen Pläne zum gesellschaftlichen Umbau auch tatsächlich umsetzen kann.