Tichys Einblick

Konferenz zur EU-Migrationspolitik – Monolog der Mächtigen

Die Herausforderungen auf dem „Weg zu einer neuen EU-Migrationspolitik“ will eine Konferenz in Berlin aufzeigen. Als größte Herausforderung erweist sich dabei, jene mitzudenken, die diese Politik tragen sollen: die Bürger.

John MacDougall/AFP/Getty Images

Das Allianz-Forum ist eine der wertvollsten Immobilien Berlins. Es liegt maximal edel, direkt vor dem Brandenburger Tor, am edlen Pariser Platz: außen ein edler, futuristischer Bau aus Glas und Beton – innen mit edlen Holzvertäfelungen. Hier treffen sich am Freitag etwa 120 Teilnehmer, um „Wege zu einer neuen EU-Migrationspolitik“ zu diskutieren: einige auf dem edel hergerichteten Podium, der Rest im Publikum auf edlen Konferenzstühlen. Vor der Veranstaltung gibt es – kostenfrei – Kaffee, Tee, Fruchtsäfte, Croissants und belegte Brötchen. In der Mittagspause gibt es – kostenfrei – ein edles Buffet.

Das ist die „Zivilgesellschaft” – jedenfalls, wenn man den Rednern auf dem Podium glaubt:

„Wir wollen raus aus den Echokammern und freuen uns deshalb, gemeinsam mit dem Europäischen Parlament die Zivilgesellschaft mit einzubeziehen.“
(Sascha Wenzel, Geschäftsführer der Freudenberg-Stiftung)

„Das Europäische Parlament, das Auswärtige Amt, zwei Stiftungen – es ist gut, dass das breit und in der Zivilgesellschaft diskutiert wird.“
(Anke Plättner, Moderatorin)

„Es ist wichtig, dass hier, in der Zivilgesellschaft, diskutiert wird.“
(Michelle Müntefering, SPD – Staatsministerin im Auswärtigen Amt)

Wer sind eigentlich diejenigen, die sich an einem ganz normalen Werktag von 10.00 Uhr vormittags bis halb vier Uhr nachmittags die Zeit nehmen können, um sich drei Begrüßungsreden, ein Grußwort, zwei „Impulsreferate“, drei Podiumsdiskussionen und zwei weitere Vorträge anzuhören?

Kommen wir gleich darauf zurück.

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Eingeladen haben das EU-Parlament und das deutsche Auswärtige Amt, also die üblichen Verdächtigen für jede Veranstaltung zum Thema Migration. Die Freudenberg-Stiftung tritt als Mitveranstalter auf: Sie ist ebenfalls standardmäßig dabei, wenn das gute Deutschland ein Selbstgespräch führt. Nicht ganz so evident ist die Beteiligung der Allianz-Kulturstiftung. Es zeigt sich, dass es selbst in der Privatwirtschaft Nischen gibt, die von den Mühen der Wertschöpfung befreit sind – vorzugsweise wohl in Großunternehmen, vermutlich weniger in Familienbetrieben. Ob die Allianz-Aktionäre wissen, was so angestellt wird mit den Zinsen des Stiftungsvermögens – das aus Unternehmenskapital, also Aktionärseigentum gebildet wurde?

Sei’s drum. Das Spannende an der Konferenz ist einerseits, dass sie mit jeder im Brustton der felsenfesten Gewissheit vorgetragenen Aussage immer mindestens eine Frage mehr aufwirft, als sie beantwortet.

  • „Deutschland ist Einwanderungsland,“ proklamiert Staatsministerin Müntefering. Ist eigentlich jedes Land, in das Leute von anderswo ziehen, ein Einwanderungsland? Ab wann – ab wie vielen Einwanderern, absolut oder relativ zur Bevölkerungsgröße – ist ein Land „Einwanderungsland“? Und wer legt das fest?
  • Die Grundannahme der Konferenz ist im Tagungsprogramm ausgedruckt: „Europäerinnen und Europäer wünschen sich mehrheitlich gemeinsame Antworten.“ Wem und wie haben die Europäerinnen und Europäer das mitgeteilt? Was ist mit den Staaten, in denen sich die jeweilige Bevölkerungsmehrheit nationale Antworten wünscht?
  • Diskutiert werden „Chancen der legalen Migration“. Gibt es auch Risiken der legalen Migration? Oder Chancen der illegalen Migration? Und wenn ja, warum wird das nicht besprochen?
  • Diskutiert wird „die Überarbeitung des an seine Grenzen gestoßenen Dublin-Systems“. Warum stößt es an seine Grenzen? Kann es überhaupt überarbeitet werden? Und gibt es auch Alternativen zu diesem System?
  • Diskutiert wird, wie Europa Migration verarbeiten kann. Aber kann Europa Migration auch eindämmen? Wenn ja: wie?

Keine dieser Fragen wird beantwortet.

Das liegt höchstwahrscheinlich vor allem daran, dass sie erst gar nicht gestellt werden.

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Das Spannende an der Konferenz ist andererseits, dass die in diesem edlen Ambiente Versammelten auch noch so abenteuerlich hanebüchene Aussagen machen können, ohne dass auch nur eine Nachfrage auftaucht – geschweige denn Widerspruch.

„Eine Zuflucht suchende Person muss erst nachweisen, dass sie einen Grund hat, Zuflucht zu suchen, bevor ihr Zuflucht gewährt wird. Das ist absurd.“
(Manuela Bojadžijev,
„Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung)

Nein, möchte man da losschreien, im Gegenteil: Das ist so fundamental selbstverständlich, dass man sich fragt, wie jemand in Deutschland eine Professur bekommen kann, der das ernsthaft in Zweifel zieht. (Nun gut: An der Humboldt-Universität – wie in Berlin insgesamt – ist vieles möglich, was anderswo als unvorstellbar gilt.)

„90 Prozent der Integrationsarbeit in Deutschland ist ehrenamtlich. Das geht nicht. Darüber wird viel zu wenig geredet.“
(Ferda Ataman, Neue Deutsche Organisationen)

Das innere Schreien wird lauter. Offenbar geht es um die Bildung eines neuen Bereichs der öffentlichen Alimentierung: hauptberufliche Integrationshelfer. Dabei wäre es durchaus auch lohnend, Integration einmal als Aufgabe der Migranten zu betrachten, sich zu integrieren – und nicht nur als Aufgabe der Gesellschaft, ihren Gästen einen schönen Platz in dieser Gesellschaft bereitzustellen.

„Deutschsein in Deutschland sollte man nicht mehr als Nationalität betrachten, sondern als republikanischen Ansatz. Wer hier ist, ist Deutsch.“
(Ferda Ataman, Neue Deutsche Organisationen)

Die Stimme versagt. Jetzt wird der Nationalstaat zum Siedlungsgebiet umgedeutet. Dass der Nationalstaat Träger aller kollektiven sozialen Sicherungssysteme ist und Bürgerrechte aus guten Gründen systematisch an Staatsbürgerschaft gebunden sind, kommt hier nicht mehr vor.

„Post-nationale Bürgerschaft: Es ist diese Politik, die wir weiter betreiben müssen.“
(Manuela Bojadžijev,
„Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung)

Da ist nur noch Schweigen. Es wäre sicher spannend, einmal eine Volksbefragung durchzuführen, ob die Bürger in Deutschland den Nationalstaat auflösen und Staatsbürgerrechte an etwas anderes als den Nationalstaat binden wollen. Ob es dann dabei bleibt, dass wir „diese Politik weiter betreiben müssen“?

Vielleicht, wenn man Politik so versteht wie der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok:

„Die Bevölkerung zieht nicht immer mit – teils aus Unkenntnis, teils aus Angst. Es gibt ein Gefühl mangelnder Sicherheit. Aber die Gefühlswelt stimmt nicht mit den Tatsachen überein.“

Die ängstlichen Wähler mit den falschen Gefühlen werden das sicher gerne hören.

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Aber sie hören es ja nicht, jedenfalls nicht an diesem Tag in Berlin. Sie können es nicht hören, denn sie sind gar nicht da.

„Politik, Kultur, Zivilgesellschaft und Wissenschaft“ sollen zusammengebracht werden, freut sich das Programm. Aber am volkswirtschaftlichen Wohlstand ernsthaft mitarbeitende Bürger kommen hier nicht vor. Zivilgesellschaft ist auf dem Podium das wichtigste Wort. Aber diese viel beschworene „Zivilgesellschaft“ gibt es hier gar nicht.

Müntefering begrüßt „Minister, Abgeordnete, Exzellenzen“. Sie sagt nicht: „Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger“. Die sind auch nicht da. Die im Allianz-Forum angeblich versammelte „Zivilgesellschaft“ ist ein Etikettenschwindel. Tatsächlich versammelt sich da eine ganz spezifische (und in Wahrheit recht kleine) Teilmenge der Gesellschaft. „Die Teilnehmerliste können wir nicht herausgeben,“ sagt die freundliche Dame am Presseschalter. Dann begrüßt sie Gesine Schwan und Rita Süßmuth.

Es ist offenkundig eine Herausforderung für das EU-Parlament, für das deutsche Auswärtige Amt und sogar für die zwei privaten Stiftungen, Migration und Integration mit denen zu besprechen, die diese Migration bewältigen und die diese Integration leisten sollen: mit den eigenen Bürgern.

Es ist eine Herausforderung, die nicht angenommen wird.

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