„Und wenn Ihr die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt,
bis Ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt; dann schnüret die Bande.“
(Koran – Sure 47,4; Übersetzung nach Projekt Gutenberg)
Sie sind Flüchtlinge – aber ganz andere als die, die wir in Deutschland zu kennen meinen. Sie haben bewegende Geschichten. Und jeder von ihnen hat ein Schlüsselerlebnis, das ihn vom Islam entfremdete.
Mimzy Vidz kommt aus Nordafrika und ist Tochter eines muslimischen Religionslehrers. Seit ihrem fünften Lebensjahr musste sie Kopftuch tragen. „Uns wurde erzählt, das würde uns vor den sexuellen Nachstellungen der bösen Jungs und Männer schützen,“ sagt sie. An einem Strand sah sie dann Frauen aus anderen Kulturkreisen im Bikini – aber die wurden besser behandelt als sie selbst. „In arabischen Ländern werden Frauen sexuell belästigt oder beleidigt – ganz egal, wie verhüllt sie sind.“ Sie wandte sich vom Islam ab, heute lebt sie in London.
Veedu Vidz (Mimzys Ehemann) stammt ursprünglich aus Pakistan und war praktizierender Muslim. An der Universität faszinierte ihn die rationale Methodik der Wissenschaft – und er suchte nach Wegen, wissenschaftliche und muslimische Konzepte miteinander in Einklang zu bringen. Das blieb einerseits erfolglos – und andererseits warfen ihm muslimische Mit-Studenten plötzlich vor, „wie ein Atheist“ zu reden, erzählt er. „Das war es dann mit dem Islam für mich.“ Auch er lebt heute in London.
Harris Sultan kommt auch aus Pakistan. Mit seiner Familie zog er nach Australien. Er war nach eigener Aussage ein „religiöser Heuchler“ – für ihn ein positives Konzept: „Ein guter Muslim ist ein Dschihadist, also ein Terrorist und ein schlechter Mensch. Ein schlechter Muslim ist frauenfreundlich und nicht-homophob, also ein guter Mensch.“ Einseitige Medienattacken auf den bekannten Biologen und Religionsgegner Richard Dawkins brachten ihn mit dessen Schriften in Kontakt. „Das machte aus mir einen überzeugten Atheisten.“ Er lebt heute in Australien.
Mohamed Hisham kommt aus Ägypten. Als muslimischem Jungen wurde ihm beigebracht, dass Homosexualität eine Perversion sei. Selbst homosexuell, führte das bei ihm die ganze Jugend hindurch zu Angst vor Bestrafung in der Hölle und vor dem Jüngsten Gericht. Der Englisch-Unterricht an der Universität eröffnete ihm den Zugang zu anderen Kulturen. Er bezeichnet das als „Ausgang aus dem religiösen Gefängnis“. Er lebt heute in Deutschland.
Armin Navabi ist gebürtiger Iraner. Als Kind sprang er aus dem Fenster seiner Schule, um der Hölle zu entgehen – durch Selbstmord. Denn ein Knabe, so hatte er gelernt, könne noch gar keine Sünde begehen und komme deshalb immer unbefleckt in den Himmel. Er überlebte und wandte sich der Religion umso heftiger zu, um in den Himmel zu kommen – diesmal auf die fromme Art. An der Universität befasste er sich mit Religionsgeschichte – und entdeckte, wie durch alle Zeitalter hindurch angeblich göttliche Regeln von den jeweils politisch Mächtigen zur Herrschaftssicherung instrumentalisiert wurden. Daraus folgerte er: „Gott ist eine Einbildung.“ Er lebt heute in Kanada.
Kian Kermanshahi ist Flüchtling im eigenen Land: Er wurde in Deutschland als Sohn kurdischer Eltern geboren. Mehr als zwei Jahrzehnte lang war er ein glühender Aktivist des Schiismus, unterhielt enge Kontakte zur iranischen Botschaft und war Mitorganisator der Israel-feindlichen „Al-Quds“-Demonstration in Berlin (warum wir uns über jeden AfD-Aufmarsch empören, aber diesen antisemitischen, von Ayatollah Khomeini erfundenen Marsch bei uns Jahr für Jahr zulassen, ist auch so eine ungeklärte Frage). Im Bemühen, breitere Kreise zu missionieren, befasste er sich eingehend mit islamischen Originalquellen. Das, so sagt er, habe ihm die „unsäglichen Glaubensdogmen des Koran“ offenbart. Heute vertritt er den Standpunkt: „Der Islam ist nicht reformierbar.“
Dieses Sextett stellt sich nun in einem brechend vollen Berliner Veranstaltungssaal den Fragen des (überraschend jungen) Publikums. Eingeladen hatte die „Initiative an der Basis“ – das ist ein Aktionsbündnis von Menschen, die in ihrer haupt- und ehrenamtlichen Arbeit täglich mit Migranten zu tun haben: Lehrer, Erzieher, Sozialarbeiter, Justizangestellte, Polizisten, Flüchtlingshelfer.
Es ist ein denkwürdiger, verstörender Abend.
Der Islam und die Frauen
Das Wort, das am häufigsten fällt, ist: Selbstbetrug.
„Das muslimische Kopftuch als Zeichen meiner Emanzipation zu sehen, war mein größter Selbstbetrug,“ sagt Mimzy Vidz. Tatsächlich sei die weibliche Verhüllung weder ein Akt der individuellen Selbstbestimmung noch der Religionsfreiheit – und erst recht nicht lediglich Ausdruck eines bestimmten Modegeschmacks. „Mädchen tragen das Kopftuch nicht, weil sie eine Wahl hätten, sondern wegen des kulturellen Drucks.“
Aber das Kopftuch schützte nicht, weder zuhause noch auf der Straße. Mimzy erlebte, wie sie selbst und andere muslimische Mädchen und Frauen auf der Straße fortwährend belästigt und hinter verschlossenen Türen unaufhörlich bedroht und misshandelt wurden. Weil das verhüllte fromme Leben so sehr aus Unterdrückung bestand, sagt sie, verlor das kopftuch-freie Fegefeuer allmählich seinen Schrecken.
Für sie ist der Islam eine systematisch frauenfeindliche Ideologie: „Nach der Scharia, dem orthodoxen islamischen Recht, sind Frauen grundsätzlich unvollkommen – intellektuell wie religiös.“
Es ist eine der bedrückenden Erkenntnisse des Abends: „Im Islam sind Frauen prinzipiell nur Menschen zweiter Klasse.“
Der Islam und der Widerspruch
Ausgrenzung bis hin zur realen physischen Bedrohung kennt auch Mohamed Hisham. Als Student in Kairo hatte er sich in einer Fernsehsendung zum Atheismus bekannt. Ein ebenfalls anwesender Imam erklärte ihn daraufhin für geisteskrank, und der Moderator warf ihn aus dem Studio. Dann kamen Morddrohungen. Der Gewalt seines Umfeldes entzog er sich dadurch, dass er sich wieder zum Islam bekannte – für ihn als Homosexuellen aber keine Lösung von Dauer. Schließlich flüchtete er aus seiner Heimat nach Europa.
Auch dies ist eine Erkenntnis des Abends: Man kann den Islam nicht verlassen – man kann nur vor ihm flüchten.
Der Islam und die Redefreiheit
„Das Recht auf freie Rede ist die größte Errungenschaft der Menschheit.“
Veedu Vidz kommt erkennbar ins Schwärmen, wenn er über die europäische Tradition der Aufklärung spricht und über die Werte, die sie hervorgebracht hat. Und er verteidigt diese Werte in einem kämpferischen Ton, den man bei Europäern nur noch selten hört. „Genauso, wie Christen und ihre Kirchen kritisiert werden können, muss man auch Muslime und ihre Moscheegemeinden kritisieren dürfen.“ Das sei aber nicht der Fall. Vor allem Linke, sagt Vidz, seien zwar offen für Kritik am Christentum – würden aber gleichzeitig Kritik am Islam ablehnen. Dabei sei die westliche Welt der einzige Ort, an dem Muslime frei sprechen dürften. Der Islam fühle sich überlegen, ergänzt Harris Sultan, er fordere Respekt ein, sei selbst aber respektlos und erkläre sich für unantastbar. Veedu Vidz stimmt zu und fragt:
„Warum immer dieser Respekt vor den Religiösen, die ihrerseits völlig respektlos über Homosexuelle, Frauen und Andersdenkende herziehen?“
Der Westen stelle den für die Demokratie wichtigsten Wert zur Disposition: die Meinungsfreiheit. Für den Satz “Ich glaube nicht an Allah“ könne man in vielen islamischen Ländern gehängt werden, ruft Harris Sultan dem Publikum ins Gedächtnis. Und Veedu Vidz ruft den Appell des Abends hinterher:
„Der Kampf um die Redefreiheit darf nicht verloren gehen.“
Der Islam und die Reformen
Das Podium beantwortet diese Frage übereinstimmend mit einem ernüchternden „Nein“.
Armin Navabi hat hier die strikteste Position. Für ihn ist der Islam ein „archaisches Gefängnis, in dem Menschen gezwungen werden, ihren Alltag unmenschlichen Regeln zu unterwerfen“. In seiner Verneinung der Reformfähigkeit des Islam ist er unversöhnlich: „Viele Muslime sind nette Menschen und tun anständige Dinge und sind tolerant. Sie sind es aber nicht wegen, sondern trotz des Islam.“
In muslimischen Ländern habe es immer auch eine Tradition gegeben, die sich der Wissenschaft, der Toleranz und der Freiheit zugewendet habe. Möglich sei das dadurch geworden, dass die Religion nicht so streng gelebt worden sei. „Wenn jetzt Europäer nach einer Reformation des Islam rufen, muss ich ihnen leider sagen: Sie hat bereits stattgefundenen, und sie nennt sich Wahabismus.“ (Das ist die orthodoxe, saudische Auslegung des Koran.)
Wer an diesem Abend in dieser Sache irgendeine hoffnungsvolle Äußerung erwartet, wird enttäuscht. Die Podiumsteilnehmer sind sich einig: Der europäische Wunsch nach einem „Reform-Islam“ sei naiv. Es könne keine Variante des Islam geben, die mit den Werten der Aufklärung vereinbar sei – ohne entweder die Quellen des Islam zu leugnen oder umzuinterpretieren (oder beides). Kermanshahi sagt einen Satz, der lange nachhallt: „Es gibt da draußen nicht den eigentlich tollen Islam, der nur von Extremisten missbraucht wird. Der Islam IST extremistisch.“
Die Idee vom „Reform-Islam“ sei im Gegenteil sogar zum Schutzschild für Islamisten zur Abwehr jeglicher Kritik geworden. Absolut eindeutige Koran-Verse würden uminterpretiert oder in ihrer apologetischen Schärfe verharmlost: als „Täuschungsversuch gegenüber dem Westen“. In der muslimischen Welt aber werde nirgendwo ein „Reform-Islam“ gelebt oder auch nur akzeptiert. Das Ganze sei eine westliche Erfindung – ein christlicher Wunschtraum.
Vor allem in Deutschland.
Der Islam und Deutschland
„Deutschland ist nicht so frei, wie ich gehofft hatte.“
Als bekennender Schwuler und Atheist war Mohamed Hisham aus Ägypten nach Deutschland geflohen. „Aber ich musste feststellen, dass ich auch hier nicht sicher bin vor frömmelnden Muslimen, die mich bedrohen.“ Nach außen gibt sich Hisham deshalb jetzt wieder als Muslim aus, und er verschweigt seine Homosexualität. Er lebt in Deutschland dasselbe Doppelleben, vor dem er aus Ägypten geflohen war. „Ich hatte mir hier ein freies Leben erhofft.“
Der Spiegel, der Deutschland da vorgehalten wird, wirft ein beschämendes Bild: Wir bieten muslimischen Flüchtlingen Schutz. Aber wir schützen nicht diejenigen, die vor dem Islam flüchten.
Besonders wütend sind alle Podiumsteilnehmer darauf, dass Kritik am Islam – vor allem in linken Milieus – in Deutschland mittlerweile standardmäßig als „Hassrede“ angeprangert werde. „Wenn man für Frauenrechte, für die Würde der LGBT-Gemeinschaft und für Gewaltlosigkeit eintritt, dann ist das keine Hassrede.“
Kermanshahi warnt vor wachsendem politischen Einfluss radikaler Muslime in Europa. Die starke Zuwanderung aus der muslimischen Welt führe zum Entstehen islamischer Parteien mit entsprechenden Forderungen. In Belgien hat eine solche Gruppe schon getrennte Busse für Männer und Frauen verlangt. Die in Pakistan verfolgte Christin Asia Bibi bekam in Großbritannien kein Asyl, weil Unruhen durch die muslimische Minderheit im Land befürchtet wurden. Und eigene Religionsgerichte im Vereinigten Königreich behandeln Frauen, wie man Frauen im Islam eben behandelt – jedenfalls nicht gleichberechtigt.
Und dann ist da noch der Antisemitismus.
Kermanshahi legt den Finger auf eine Wunde, die schmerzen sollte: „Dass nach dem Holocaust jüdisches Leben in Deutschland wieder möglich wurde, verdanken wir einem unermesslichen Kraftakt, der lange dauerte und mit dem wir Juden wieder zurück in die Mitte der Gesellschaft geholt haben.“ Jetzt lasse man es zu, dass ausgewiesene Antisemiten, Judenhasser, in großer Zahl ins Land kämen und wieder Angst unter den Juden auslösten – so viel Angst, dass 80 Jahre nach dem Holocaust wieder deutsche Juden an Auswanderung denken würden.
Wenn jemals die Beschreibung „beklemmende Stille“ in einem Moment zutraf, dann hier.
Der Islam und die Angst
Warum gehört es in Deutschland zum guten Ton, vor Scientology zu warnen – aber nicht vor dem Islam?
Es stimmt: Das Christentum war auch so. Aber wir leben heute. Den Verfolgten von heute hilft nicht die historische Erkenntnis, dass es auch früher schon Verfolgte gab. Und es hilft ihnen auch nicht der gefährlich deutsche, naive, idealistische Wunsch, dass es irgendwann einmal keine Verfolgung mehr geben könnte.
Warum weigern wir uns, die Dinge so zu sehen, wie sie sind – und sehen die Dinge lieber so, wie wir sie uns wünschen? Ist es Dummheit oder Bequemlichkeit? Oder eben doch: Feigheit?
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Konvertiten sind bekanntlich die frömmsten Gläubigen. Und Ex-Gläubige sind die radikalsten Atheisten.
Aber die sechs Menschen auf dem Podium an diesem Abend sind allesamt zumindest mutig – sicher mutiger als der Durchschnittsdeutsche (den Autor eingeschlossen). Man muss ihnen nicht zustimmen. Aber wer es ernst meint mit dem Selbstbestimmungsrecht des Individuums, mit der Meinungs-, Rede- und Religionsfreiheit und mit unserer Tradition der Aufklärung, der sollte ihnen zumindest zuhören.
Die Botschaft, die sich an diesem Abend durch jeden ihrer Wortbeiträge zieht, ist ernüchternd: Es ist eine der großen Leistungen muslimischer Radikaler, jede noch so berechtigte Kritik am Islam erfolgreich als „Islamophobie“ zu denunzieren. Und gerade die selbsternannten fortschrittlichen Milieus in Deutschland helfen bei diesem kulturellen Rückschritt nach Kräften mit.
Wir schützen viele, sehr viele, die in Wahrheit gar keinen Schutz brauchen. Aber die, die unseren Schutz wirklich brauchen, lassen wir im Stich. Sowas kommt von sowas: Das passiert, wenn ein ganzes Land sich an seiner eigenen Pseudo-Toleranz berauscht und – besoffen von so viel vermeintlicher Liberalität – nicht mehr zwischen nur angeblich und tatsächlich Verfolgten unterscheiden will.
Wir verspielen unsere Freiheit – aus Blauäugigkeit und, ja, aus Feigheit.