Tichys Einblick
Kommando Spezialkräfte

Die Munitionsaffäre des KSK stellt die ungelöste Kernfrage der Bundeswehr

Das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr steht im politischen Kreuzfeuer. Vordergründig geht es um verschwundene Waffen und Munition. Dahinter geht es um die seit jeher ungelöste Frage, ob die Bundeswehr vom Krieg oder vom Frieden her gedacht werden soll.

Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr bei einer Vorführung

IMAGO / Björn Trotzki

In einem Bericht spricht Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer von einem „grob fahrlässigen Umgang mit Munition auf allen Ebenen des KSK“. Der Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK) habe die Möglichkeit zur anonymen Rückgabe von angeblicher Fundmunition eigenmächtig und ohne Absprache mit anderen Dienststellen organisiert. Dies sei „beispiellos und wird den Anforderungen an den sachgerechten und sicheren Umgang mit Munition und die Dienstaufsicht … nicht gerecht.

Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, beschreibt die jahrelange Vorgeschichte im Kommando. Dauernde Einsätze, fehlende Regeneration, falsche Organisation, Personallücken sowie „nicht vorhandene Überdruckkompensation“ hätten seiner Ansicht nach die Zustände begünstigt. Es habe sich ein Klima gebildet, „in dem Einzelne und Gruppen von Angehörigen des KSK in ihren Einstellungen und ihrer fachlichen Aufgabenwahrnehmung offensichtlich Orientierung, Maß und Mitte verloren haben“. Bei alledem sollte nach Mais aber gelten, „die militärische Fähigkeit des KSK als strategische Fähigkeit nicht infrage zu stellen“. „So speziell wie nötig, so normal wie möglich“ lautet seine Zusammenfassung. Aber: Jede einzelne Dienstpflichtverletzung, jedes individuelle Fehlverhalten müsse nun auf allen Ebenen aufgearbeitet werden, disziplinarrechtlich und, wo strafrechtlich relevant, durch Staatsanwaltschaften.

Was man halt so sagt, wenn man unter Druck steht, der Elefant im Raum aber nicht angesprochen werden darf.

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Der Elefant im Raum ist die seit ihrer Gründung ungelöste Frage, ob die Bundeswehr vom Krieg oder vom Frieden her gedacht werden soll. Der Militärhistoriker Sönke Neitzel sieht das westdeutsche Militär mit dieser doppelten Ambivalenz von Anfang an konfrontiert. (Sönke Neitzel, DEUTSCHE KRIEGER, Propyläen Verlag Berlin, 2020, Seite 402). Zugespitzt: Im KSK stoßen Kriegseinsatz in Afghanistan und Friedensbetrieb in der Kaserne aufeinander. Einerseits die mehr oder weniger freihändige Verwendung von Waffen und Munition, andererseits der sorgfältige Nachweis jedes einzelnen Schusses in einer Schießkladde. Aus einem Kriegseinsatz heimkehrende Soldaten haben in der Kaserne wieder das Millimetermaß anzulegen. Vorher galten andere Prioritäten: Bestehen im Kampf und unbeschadete Heimkehr statt Führen von Munitionsverbrauchslisten. 

Genau an dieser Stelle setzt das Problem ein. Die Soldaten des KSK waren seit Jahren immer wieder im Krieg. Im Lauf der Zeit wird sich der laxe Umgang im Einsatz von Sprengstoff- und Munition in den Heimatsstandort fortgepflanzt haben, die gebotene Sorgfalt dürfte gelitten haben. Wie könnte es sonst sein, dass 2020 über 40.000 Schuss Munition und 62 kg Sprengstoff nicht nachgewiesen werden konnten? Es darf vermutet werden, dass die Vorgesetzten aller Ebenen mindestens im KSK davon gewusst und diesen Zustand stillschweigend hingenommen haben. Kramp-Karrenbauer sprach von einer „Kultur der Schlamperei“, die beim Verband geherrscht habe. Nachdem in der Friedens-Bundeswehr ziemlich viel ziemlich bürokratisch geregelt ist, stellt sich die Frage, warum bei den regelmäßigen Kontrollen der Munitions- und Waffenbestände über lange Jahre offenbar keine größeren Defizite erkannt worden sind. Andernfalls hätte es bereits sehr viel früher entsprechende Alarmzeichen geben müssen.

Damit kein Missverständnis aufkommt, Waffen, Sprengstoff und Munition haben in unbefugten Händen nichts verloren. Damit kein Unfug mit Kriegsmaterial angestellt werden kann, ist Sorgfalt geboten. Aber im Krieg herrschen nun einmal andere Verhältnisse als im tiefen Frieden einer deutschen Kaserne. Es ist angesichts der Vorgeschichte einfach zu billig, nach der Aufarbeitung jeder Dienstpflichtverletzung und jeden individuellen Fehlverhaltens bei Bedarf auch durch Staatsanwaltschaften zu rufen, ohne sich an die eigene Brust zu klopfen. Das offenkundige Versagen über lange Jahre hatte viele Väter, die sich heute in die Büsche schlagen.

Ein noch anderer Punkt ist die anonyme Abgabe angeblicher Fundmunition. Dies sei vom Kommandeur des Verbandes – mindestens – geduldet worden. Auch wenn es weh tut: Wie einfältig muss man eigentlich sein, um in einer von Politik und Medien auf das genaueste beobachteten Lage anonyme Munitionsabgabeboxen einzurichten? Scharfe Munition und Pazifismus vertragen sich nicht, KSK und Friedensgesellschaft offensichtlich genauso wenig. Auch wenn im Nachhinein leichter zu urteilen ist als in einer Konfliktsituation verantwortlich zu handeln: Was wäre die Alternative gewesen? Nach Lage der Dinge im KSK hätte es nach dem Offenbarungseid rechtsextremer Vorfälle und verschwundener Munition und Sprengstoff nur eine adäquate Vorgehensweise geben dürfen: Durchsuchung aller Örtlichkeiten wie auch verdächtiger Personen. Um bei der Zahl 62 kg Sprengstoff zu bleiben: Damit können Brücken gesprengt werden, nicht nur militärische Organisationen. In diesem Fall hätte es ein konsequentes Vorgehen mit Blick in jeden Winkel geben müssen. Bei der Ahndung des Verhaltens der Soldaten eher großzügig zu sein, hätte sich anschließend vermitteln lassen. Eine anonyme Munitionsabgabe ist es nicht.

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Damit der schwarze Peter aber nicht nur am KSK und dessen Kommandeur hängenbleibt, noch ein Wort zur Politik: Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann wird mit den Worten zitiert, die Ministerin habe „erneut die Chance verpasst, die Karten auf den Tisch zu legen. Die Verantwortlichen für die schlimmen Entwicklungen beim KSK sind anscheinend seit Jahren bekannt.“ Das sogenannte „System KSK“ müsse „von oben nach unten aufgeräumt werden“. Klug gesprochen, sehr geehrte Frau Abgeordnete, aber ihre Vorschläge, hinter jeden KSK-Soldaten einen Ministerialen oder Bundestagsabgeordneten zu stellen, sind so weltfremd, wie sie es nur sein können. Hatte Strack-Zimmermann doch tatsächlich gefordert, das KSK direkt dem Ministerium zu unterstellen. Ausgerechnet die Soldaten, die mit erfahrenen Kommandotruppen der Alliierten in den Kriegseinsatz ziehen, mit ministeriellen Methoden der Einrichtung von Arbeitskreisen führen zu wollen, zeugt vom völligen Unverständnis der Situation. Es legt Zeugnis ab von der Unfähigkeit, zwischen Frieden und Krieg unterscheiden zu können.

Es muss endlich die Frage beantwortet werden, wozu die Bundesrepublik Deutschland überhaupt Streitkräfte benötigt. Sollen diese wirklich fähig sein, intensive Gefechte gegen einen hochgerüsteten Gegner zu führen? Will man tatsächlich demokratische Krieger? Wenn dem so ist, darf die Armee nicht nur aus der Perspektive außen- und innenpolitischer Zweckmäßigkeiten betrachtet werden, sondern ist als militärisches Projekt ernst nehmen, schreibt Sönke Neitzel. Daran mangelt es unserer vorgeblichen Parlamentsarmee. Die Parlamentarier wollen den Elefanten im Raum nicht wahrhaben: Eine Armee ist auch unter dem Primat der Politik am Ende des Tages zur Kriegführung da. Das Jahrzehnte lange darum herum Gerede mit der Einstufung unserer Bundeswehr als brunnenbohrendes Technisches Hilfswerk hat die Wirklichkeit vernebelt. Das bekommt weder unserem Land, noch der Politik, und den Soldaten schon gleich gar nicht.

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