In der Analyse des Koalitionsvertrags der neuen Landesregierung von Schleswig-Holstein kamen wir zu dem Ergebnis, dass diese schwarz-grüne bzw. grün-schwarze Koalition das gesamte Wunschkonzert der „Grünen“ rauf- und runterspielt. Ein TE-Leser hat uns gar empfohlen, doch von einer grünen-grünen Koalition zu sprechen. Volltreffer!
Vor diesem Hintergrund haben wir uns das Koalitionspapier der neuen NRW-Koalitionäre angeschaut. Es trägt den gleichermaßen banalen wie überheblichen Titel „Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen“. Die Durchsicht dieses Papiers ist uns aus einem Grund etwas leichter gefallen als die Durchsicht des Koalitionspapiers aus Kiel: Letzteres hat ja einen schwülstigen Umfang von 249 Seiten, das NRW-Papier immerhin nur 148 Seiten.
NRW als Industriestandort
Nun, NRW mag das bevölkerungsreichste Land der Republik sein, das wirtschaftsstärkste ist es schon lange nicht mehr. Das Wachstum im Jahr 2021 lag dort bei 2,2 Prozent (Deutschland insgesamt: 2,9 Prozent). Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf betrug 2021 in NRW 40.951 Euro (Deutschland: 42.953). Das BIP wuchs in NRW zwischen 1991 und 2018 um 85,7 Prozent (Deutschland: 114,3 Prozent). Die NRW-Arbeitslosenquote war im April 2022 6,6 Prozent (Deutschland: 5,0 Prozent)
Was sagt der Koalitionsvertrag dazu? Wie soll es wirtschaftlich in NRW weitergehen? Vorweggenommen: Da bleibt der Koalitionsvertrag reichlich vage, auch wenn er grün-vollmundig daherkommt, etwa mit folgenden Aussagen: „Wir machen unsere Industrie zur saubersten in Europa.“ Das Ruhrgebiet nimmt ein eigenes Kapitel ein. Dort lesen wir unter anderem: „Das Ruhrgebiet kann zeigen, dass eine intakte Natur und kraftvolle Industrie keine Gegensätze sein müssen. Wir werden die Ruhrkonferenz auf eine breitere Grundlage stellen. Dazu werden wir etablierte Formate, wie den Regionalen Diskurs, einbinden. Die Ruhrkonferenz soll die sozialräumlichen und ökologischen Folgen des klimagerechten Umbaus von Industrie und Wirtschaft begleiten und den Metropolgedanken ausbauen … Wir unterstützen den Umsetzungsprozess des 5-Standorte-Programms als wichtigen Bestandteil, um die Folgen des Ausstiegs aus der Steinkohleverstromung in Duisburg, Gelsenkirchen, Herne, Hamm und dem Kreis Unna abzufedern …“ Das Wie bleibt ziemlich offen. Von einem „Entstehen neuer Arbeitsplätze“ ist die Rede sowie von der Sanierung durch Neuerschließung von Altflächen für Handwerksbetriebe und regional tätige Unternehmen. Und dann das für alle Umweltbewegten unvermeidbare Thema Atomenergie. Hier lesen wir folgendes: „Deutschland beendet schrittweise die Nutzung der Atomenergie. Wir setzen uns für ein schnellstmögliches Abschalten grenznaher Atomkraftwerke in den Nachbarländern Nordrhein-Westfalens ein und schöpfen alle Einspruchsmöglichkeiten aus.“ Ganz schön vermessen!
Über die Stahlindustrie lesen wir: Man will eine „klimaneutrale Stahlproduktion“, aber wie dieser Stahl weltweit konkurrenzfähig sein soll, bleibt offen. Zur CO2-intensiven Zementproduktion heißt es: „Wir werden in einem Pilotprojekt ‚Klimaneutraler Zement‘ die Abscheidung und Bindung von CO2 gemeinsam mit den relevanten Akteuren und der Forschung erproben. Das sichert Wertschöpfung und industrielle Arbeitsplätze …“ Auch hier stellt sich die Frage, wie sich das auf dem Markt rechnet.
Grüne Wokeness in NRW
Ohne ein Hauptkapitel „Vielfalt und Antidiskriminierung“ will auch das NRW-Papier nicht auskommen. Hier sticht ein Unterkapitel „LSBTIQ*“ heraus. Dort heißt es:
„Wir verbessern die Lebenssituation für LSBTIQ*-Menschen in Nordrhein-Westfalen und stärken die Vielfalt unserer Zivilgesellschaft, indem wir den landesweiten Aktionsplan für Vielfalt und gegen Homo- und Transfeindlichkeit weiterentwickeln und konsequent umsetzen. Er soll in allen Ministerien umgesetzt und als Querschnittsaufgabe dauerhaft verankert werden.“ Zu diesem Zweck will man die „Sichtbarkeit und Akzeptanz fördern, indem wir vor allem die kleineren Christopher-Street-Days (CSD) im ganzen Land und so die meist ehrenamtliche LSBTIQ*-Community flächendeckend unterstützen.“ Und weiter: „Wir erstellen ein wirksames Konzept für die Bekämpfung von Hasskriminalität und wollen die Anzeigebereitschaft bei Hassgewalt erhöhen und damit die Dunkelziffer senken.“ Hört, hört, da lauert Orwells Big Brother mit vielen neuen Stellen im Öffentlichen Dienst und bei NGOs! Und zu LSBTIQ* abschließend: „Wir unterstützen die Erweiterung von Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz, um LSBTIQ*-Menschen vor Diskriminierung zu schützen.“
Den Begriff „Diversität“ finden wir insgesamt 20 mal im Papier. Allerdings nicht wie in Schleswig-Holstein ausschließlich im Sinne ethnischer und sexueller Diversität, sondern vor allem als wirtschaftliche, landwirtschaftliche und Bio-Diversität.
Bildungsstandort NRW
Es ist bekannt, das NRW bei allen Vergleichen schulischer Leistung seit zwei Jahrzehnten hinterherhinkt. Aber was gedenkt die künftige NRW-Landesregierung in Sachen Schule zu tun? Auch hier bleibt der Koalitionsvertrag vage. Statt endlich die Schäden zu beseitigen, die frühere SPD-Kultusminister sowie eine „grüne“ Schulministerin Löhrmann zwischen 2010 und 2017 angerichtet haben, bleibt man im Koalitionsvertrag auch hier nebulös. Von einem differenzierten, begabungs- und leistungsorientierten Schulwesen ist schon lange nicht mehr die Rede. Immerhin haben die „Grünen“ den Begriff „Chancengerechtigkeit“ geschluckt, früher waren sie eisern für den Begriff „Chancengleichheit.“ Man will „Schulfrieden“, das heißt, die Frage nach der richtigen Schulstruktur wird gar nicht mehr gestellt. Begriffe von Schulformen wie „Gymnasium“ kommen nicht vor. Auch über den Anspruch an das Abitur finden wir nichts. Der Begriff „Leistung“ kommt im Schulkapitel ebenfalls nicht vor. Der Rest bleibt wolkig: Von Inklusion, Ganztagsbetreuung, Integration, Partizipation, Digitalisierung ist die Rede. Klar, all die Füllsel-Begriffe, die sich vermeintlich gut machen.
Kurzes Resümee
Die CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther (48) und Hendrik Wüst (46) haben sich in den Koalitionsverhandlungen und in der Programmatik der Koalitionsverträge als sehr gelenkig erwiesen – Günther noch mehr als Wüst. Beide würden jedenfalls kaum herausstechen, wenn sie Funktionsträger in der Partei der „Grünen“ wären, ein Parteiausschluss würde ihnen nicht drohen. Oder hart ausgedrückt: Beide haben die CDU zur Beute der „Grünen“ gemacht. Wenn das die Hoffnungsträger der CDU nach Merz (66) sind, dann weiß man, wohin die CDU marschiert. Die CDU wird in der Post-Merz-CDU Merkels Erbe der Beliebigkeit 1:1 umsetzen. Nein, sie hat schon damit begonnen. Da fragt man sich, warum man die CDU als „grünes“ Imitat wählen soll, wo man doch ein „grünes“ Original hat.