Schon die Ampel war im Klein-Klein der großen Transformation versunken. Merz und sein Lager dagegen versprachen großspurig, schnell und gezielt das Wesentliche anzupacken, nur die wichtigsten Vorhaben im Koalitionsprogramm zu fixieren, beweglich zu bleiben und den Staat wieder beweglich zu machen.
Und nun? Sechzehn Verhandlungskommissionen, besetzt mit jeweils sechzehn Mitgliedern fabrizierten einen Berg Papier, 162 Seiten, die geeignet wären, als Realsatire abendfüllend auf- und vorgeführt zu werden. Zugleich spiegelt dieses Dokument den Zustand der politischen Klasse, ihre Allmachtsphantasien ebenso wie die tieferen Gründe der Dysfunktionalität dieses Landes.
Ein organisatorischer Fehler war es bereits, 16 mal 16 Berufsfunktionäre mir dieser Aufgabe zu betrauen. 16 mal 16 Wichtigtuer, jeder Einzelne vom Ehrgeiz besessen, sich zu profilieren. Mit neuen, zusätzlichen Sätzen und Vorhaben, womit sonst. Keiner will sich mit dem Vorschlag hervortun, Regelungen zu streichen, den Staat von Aufgaben zu entbinden, ihn zu entschlacken und zu verschlanken. Ergebnis: ein nicht enden wollender Maßnahmenkatalog, verfasst im besten Kirchentagsdeutsch. Wir wollen, dass alles gut wird. Tatsächlich sind diese Papiere ein ausgewalztes Glaubensbekenntnis. Wir glauben an die Allmacht des Staates. Die Freiheit der Bürger steht ihm im Weg, immer noch. Deshalb gehört sie lückenlos ausgemerzt.
Eine Rolle Wisch-und-weg wird dem Bürger angeboten. Sie ist Ressourcenverschwendung, wenn denn die Ressource Geist noch messbar wäre. Da wird Abarbeiten mit Regieren verwechselt. Es kann nicht anders sein, als dass damit auch die Entbürokratisierung als bürokratische Mammutaufgabe missverstanden werden muss. Ach, man wünschte sich einen wie Musk. Weniger rücksichtslos, klar, aber selbst die mildere Version kann es in Deutschland nicht geben, weil er sofort als Staatsdelegitimierer vom Verfassungsschutz verfolgt würde. Ganz sicher dient die Koalitionsverhandlungspapierüberproduktion dazu, diesen Staat vor freiheitlicher Politik zu bewahren. Diese Papiere lesen sich wie eine Gebrauchsanweisung zur Betreuung des systematisch entmündigten Bürgers.
Man könnte auch sagen: Politisch ist dieses Land oversexed and underfucked. Kein Handeln, nur Gerede. Statt offen zu streiten über die großen Dinge – Sozialsysteme, Energie, Steuern, Migration –, werden unzähligen Scheinprobleme eingehegt und eingetopft. Rabatten statt Debatten. Soll am Ende niemand sagen, dass man sich nicht bemüht hat! Die Mühen der Ebene sind so stark, dass den Koalitionären die Luft ausgeht, wenn der steile Anstieg beginnt.
Wozu also das alles? Diese Papiere sind eine Art politische Bondage: Selbstfesselung zum Zwecke des Lustgewinns der unmittelbar Beteiligten. Einerseits. Andererseits der perfekte Ausdruck davon, wie sehr sie einander jetzt schon misstrauen. Ein weiteres Ziel ist zweifelsfrei auch die Verwirrung des Publikums. Es soll das Interesse an der Prozedur der Regierungsbildung verlieren und weghören, wenn später die Hammerschläge fallen. Verzettelung als Methode, das große Versagen im Nebel der Details zu verhüllen.
So beweisen die ersten Verhandlungsrunden die fundamentale Fehlorientierung der deutschen Politik. Die Parteien sind verkommen zu behördenähnlichen Organisationen. Fleiß soll für Stärke gehalten werden. Dahinter steckt die Hybris, alles regeln zu können, müssen und dürfen. Die Allmacht der Parteien versucht sich aus der Allzuständigkeit des Staates zu legitimieren. Es mündet die Fürsorglichkeit des Gouvernantenstaats aber im Freiheitsentzug. Das wird sich auch nicht ändern, wenn sich jetzt die „Führungsebene“ über die Papiere des Wahns beugt. Die Bürger haben guten Grund, diesen Staat als Bedrohung zu empfinden.