Nie, wirklich niemals hätte ich mir vorstellen können, dass ich bei einer politischen Frage völlig mit Annika Klose, der Berliner Juso-Vorsitzenden übereinstimmen würde. Sie warf offenbar bei „Maischberger“ in der Sendung am 21.02.2018 ihrer Partei vor, die grundsätzlichen Fragen gar nicht mehr zu stellen. Ein Zeitungsbericht zitiert sie mit den Worten:
Ein überaus vernünftiger Vorschlag! Denken.
Das heißt nicht (wie die ebenfalls anwesende Katarina Barley offenbar meinte), sich ins Bett oder ersatzweise in die Sonne zu legen und nichts zu tun. Das Tagesgeschäft muss erledigt werden, aber wenn man sich ein wenig anstrengt, könnte man durchaus ein Zeitfensterchen finden, in dem man einfach mal das Gehirn einschaltet.
Wir sind nämlich an einem Punkt angelangt, an dem es keinen guten Ausweg mehr gibt. Die Volksparteien gehen den Bach herunter und das Regieren wird – wie bereits in Italien – immer schwieriger. Politische Instabilität in einer Zeit wachsender Anforderungen an gutes und schnelles Regieren ist für ein Land wie Deutschland äußerst problematisch.
Merkel gab der SPD geschickt den Rest, indem sie die CDU „sozialdemokratisierte“. Damit verschrottete sie die SPD endgültig, machte in zwei Anläufen aus der 40% + x -Partei eine 20% – x-Partei. Man hätte denken können, die SPD hätte es nunmehr kapiert, aber nein: Jetzt, wo reiche Beute an Pöstchen gemacht wurde, nimmt die Partei auch die Gefahr in Kauf, eine 10% – x-Partei zu werden. Es ist doch klar, dass all diejenigen, die nun Posten wittern, auf einmal total begeistert von der vorher kategorisch ausgeschlossenen GroKo sind – angeblich nur aus Verantwortung für den Staat!
Dass dieses im Volk ebenso schlecht ankommt wie die Tatsache, dass rund 460.000 Mitglieder der SPD über das weitere Schicksal des Landes bestimmen, wobei davon nicht einmal alle wahlberechtigt sind (von Hunden reden wir gar nicht), dürfte auf der Hand liegen. Dass die Mitgliederbefragung weder transparent ist noch unabhängig überwacht wird, macht es nicht besser.
Oder – wie die FAZ schrieb – die Phrasen „Zukunftsfragen“ und „Zukunftsperspektiven“ würden den Überdruss mit einer Kanzlerin nebst Regierung zum Ausdruck bringen, die für Stillstand stehe. Dies sei der Kanzlerin aber nicht vorzuwerfen, sie habe „vielmehr mit politischen Überzeugungen gebrochen, wenn es ihr machtpolitisch sinnvoll erschien“. Es geht ihr ausschließlich um ihre eigene Macht, nicht um Überzeugungen und auch nicht um das Wohl des Landes. Es sei denn, sie wäre der Überzeugung, dass das Wohl Deutschlands davon abhinge, dass sie Kanzlerin bliebe. „L‘état c‘est moi!“. Es steht der Verdacht im Raum, dass sie genau das denkt!
Dass die „Volksparteien“ schrumpfen, wenn der Wähler nicht weiß, warum er sie wählen sollte, ist eigentlich klar. Das Stichwort ist „Markenkern“, der klar und eindeutig umrissen sein muss. Ein guter Werbebotschafter – wie Merkel für der CDU – mag über das Fehlen des Markenkerns eine Weile hinwegtäuschen, aber dann kommt das böse Erwachen nur später und heftiger. Die Fallhöhe ist fataler.
Wir kommen so nicht weiter, sind in einer Sackgasse. Wir müssen also klüger werden. Dafür gibt es zwei Lernwege:
Der erste heißt Denken. Dafür benutzt man das Gehirn, dazu haben wir es nämlich. Man setzt sich einfach mal in Ruhe hin und denkt eine Runde nach. Hilfreich ist auch ein gutes Glas Wein, aber das hängt von der Tageszeit ab und ist mit Vorsicht zu genießen: Die Ideen sprudeln zwar mit steigendem Alkoholpegel, aber der Kater kann dann in jeder Hinsicht umso größer werden.
Die Methode „Wir denken einfach mal“ ist das, was die Berliner Juso-Vorsitzende vorgeschlagen hat. Sie hat außerdem gesagt, wir müssten mehr über das Grundsätzliche nachdenken, welche Ziele wir denn haben. Das ist ebenfalls ein sehr weiser Vorschlag. Wer das Ziel nicht kennt, kann den richtigen Weg nämlich nicht finden.
Es gibt eine Menge Probleme, auf die man recht mühelos kommt. Beispielsweise ist es erkennbar keine gute Idee, dass ein Kanzler ad infinitum weiter machen kann. Es ist keine gute Idee, dass der Staat zur Beute der Parteien verkommen ist, die Herrschaft der Parteien hat sich als nicht zielführend erwiesen. Es ist ebenfalls keine gute Idee, dass die politisch Verantwortlichen für nichts haften müssen, daher auch nichts wirklich gut hinbekommen.
Aus dieser Problemanalyse kann man Lösungen erarbeiten.
Einige Leser schrieben zu meinem letzten Beitrag, dass es nicht reichen würde, wenn Merkel weg wäre. Das ist völlig zutreffend, das „Abdanken“ von Merkel ist zwar ein notwendiger, aber kein hinreichender Schritt zur Besserung. Hier sieht man, das mit – und weitergedacht wird.
Dann gibt es die Sorte Probleme, da muss man schon mal etwas tiefer nachdenken, z. B. die Frage, welche Fähigkeiten und Kompetenzen man eigentlich haben muss, um ausreichend qualifiziert für die Dienstleistung „Regieren“ zu sein. Oder: Welche Folgen kann es haben, wenn eine EU, die zunehmend in ihrer heutigen Form Akzeptanzprobleme hat, den Weg des „Mehr vom Selben“ geht.
Zum Schluss kommt noch die Sorte von Problemen, auf die man einfach nicht kommt. Aber es wäre schon mal ein riesiger Schritt in die richtige Richtung, wenn man wenigstens rechtzeitig auf die naheliegenden Probleme käme.
Anschließend stellt sich natürlich die Frage, wie man mit den Problemen umgeht. Gerne verdrängen oder marginalisieren wir sie, wenn sie dem gewünschten Ziel entgegen stehen. Der Brexit ist ein praktisches Beispiel: Die Zukunft wird von den Brexiteers in den schönsten Farben gemalt, die Probleme werden verharmlost.
Es wäre also klug, endlich einmal mit dem Denken anzufangen. Hätten wir vielleicht schon früher machen sollen. Oder spätestens nach der Wahl. Oder jetzt.
Es gibt aber noch den zweiten Weg, wie man klug werden kann. Man nennt es Erfahrung. Ein Problem wurde nicht bedacht oder ignoriert, bis es dann irgendwann über einem zusammen bricht. Dann hat man gelernt, dass es so nicht geht und ist klüger geworden. Vielleicht aber auch nicht. Man kann das Scheitern nämlich auch darauf schieben, dass es ein objektiv unlösbares Problem war oder die Umstände ungünstig, oder schwarze Katzen von links nach rechts liefen – was auch immer. Hauptsache, man ist selbst nicht verantwortlich.
Dass, was uns allen am nächsten liegt, führt uns also auf Abwege. Es ist wie eine Sucht, wie Alkohol oder eine sonstige Droge, die es uns schnell gut gehen lässt. Dies führt nicht nur leicht zur Abhängigkeit, man braucht auch immer mehr davon, um den gewünschten Effekt zu erzielen.
Da offenbar viele nicht durch Denken klug werden, hilft nur der bittere Weg über die Erfahrung. Lehrer nennen so etwas „Lernchancen“ und die sollte man doch niemandem vorenthalten.
Der Journalist Henryk M. Broder bat neulich seine Leser in aller Demut um Vergebung. Am 6. September 2018 hatte er einen Artikel in der „Welt“ veröffentlicht, wonach er sich eine absolute Mehrheit für Angela Merkel wünschte. Für diesen Übermut entschuldigte er sich nun. Das fand ich eigentlich unnotwendig, denn sein Vorschlag zielte auf genau das: Eine umfassende Lernchance für Deutschland.
Wie wollen wir klüger werden, durch Denken oder durch bittere Erfahrung?