Tichys Einblick
Panisch daneben

Klingbeil kümmert sich um die CDU-Parteitags-Regie statt die SPD

Wie Sozialdemokraten krampfhaft versuchen, Profil zu gewinnen – und sich immer noch kleiner machen, als sie schon sind. Rette sich wer kann, rettet, was noch zu retten ist! Aber bitte nicht so, ist der Autor (und Genosse) versucht, nach Berlin zu brüllen. 

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Wie der Autor neulich aus der Provinz bei Stuttgart hörte, können nicht einmal Ortsvereine oder Stadtverbände den Berliner Unmut noch abfedern, geschweige denn Genossen halten – so ausgelaugt und leider auch abgestoßen vom SPD-Bundesvorstand sind bereits viele Wähler und auch Mitglieder.

Partei ohne Bodenhaftung
Viel bleibt der SPD nicht mehr: Kein Stolz, keine Wähler und die Bürger vergrault
Die einen versuchen „trendy“ zu sein und dort zu punkten, wo teils privilegierte Studierende noch auf Ideale setzen, nämlich an der Fachhochschule in Aalen (schwäbische Provinz). Leni Breymaier, die ebenso pro GroKo stimmte, interviewte auf einer Podiumsdiskussion ihren eigenen Genossen und Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert. Kühnert fuhr zwar einst die Kampagne #NoGroko, um dann aber doch wieder aktiv pro Andrea Nahles (und gegen Simone Lange) die Trommel zu rühren und diese in den Bundesvorstands-Chefsessel zu wählen. Zahlreiche Genossen meinten, Kühnert sei damals total umgekippt.

So parlierten dann Breymaier und Kühnert, ein wenig wie Mutter und Sohn wirkend, über den Politbetrieb und Politiker an sich, über gleichgeschlechtliche Ehe, das Schlagwort „Digitalisierung“ und sexuelle Belästigung. Dass sich beide in vielem einig sind, überrascht kaum jemanden. Man fragte sich eher, warum Breymaier überhaupt einen eigenen Genossen zu einem Gespräch eingeladen hatte. Um etwa Streit- und Diskussionskultur vorzugeben? Immerhin, Breymaier wolle unbedingt regieren, um Dinge zu verbessern und zu verändern. Kühnert hingegen ist nicht bereit, um jeden Preis die Koalition aufrechterhalten. Insgesamt war es mehr ein Kokettieren mit beiderlei Stellung in der Politik. Was dachten sich wohl etliche kritische Genossen unter den Studenten? Dass da nun einer da vorne sitzt, eigentlich in ihrem Alter, und von Politik und Gefahren der Rechten sprach wie ein routinierter Parlamentarier, der selbst aber beruflich wenig auf die Reihe bekommen, das Studium abgebrochen hat?

Zwergen-Aufstand in der SPD gegen Heinz Buschkowsky
Die anschließende Kneipentour, wie im Programm angekündigt, durch Aalens Innenstadt, sei feuchtfröhlich gewesen, die Diskussionskultur wurde intensiviert. Ob dabei auch über den ehemaligen Bürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, debattiert wurde, ein Realo durch und durch, 70 Jahre alt, und sich plötzlich mit der Forderung nach einem Ausschluss aus der SPD konfrontiert sieht, weil sich ein paar „SPD-No-Names“ in Berlin bemüßigt fühlten, einen Antrag auf eben dieses Verfahren zu stellen? Vielleicht auch nur Symbolpolitik, aber eine fatale, die die SPD an Genossen wie Sympathisanten sendet. Die SPD, so scheint es, ist wirklich am Ende und weit unten. Offenbar genügt das aber alles noch nicht.

Den Computer hochgefahren, springt dem Autor der SPD-Generalsekretär aktuell Lars Klingbeil entgegen. Die aufgeregte Headline lautet dieses Mal: „SPD fordert CDU zu Abgrenzungsbeschluss von AfD auf“. Lars Klingbeil, 40 Jahre alt, und als Nachrücker in den Bundestag eingezogen (2005), firmierte Klingbeil irgendwann ganz plötzlich als Generalsekretär. Nominiert wurde er von Martin Schulz. Außerhalb Niedersachsens jedoch kannte ihn kaum ein (Ur-)Genosse wirklich. Geprägt wurde Klingbeil bei den Jungsozialisten, in dieser Zeit wurde er auch stellvertretender Bundesvorsitzender und war Jugendbildungsreferent. Als Friedrich-Ebert-Stipendiat studierte Klingbeil Soziologie und Politik.

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Aufgefallen ist Klingbeil bisher eher vollmundig und immer einen Tick zu offensiv (ohne wirklich zu liefern). Und es scheint oft so, als würde Lars Klingbeil immer dann etwas „raushauen“, wie ein MdB meinte, wenn ihn Nahles, Scholz oder auch Kahrs dazu drängen würden. Klingbeil ist im Seeheimer Kreis gefangen. Belächelt werden immer noch seine Worte, „…und Maaßen wird gehen, weil er der Kanzlerin widersprochen hat“. Und nun also bläst der SPD-Generalsekretär, dem auch echte Tätigkeiten im reellen Leben fehlen (warum sonst muss in seiner Vita ständig auftauchen, er habe seinen Zivildienst in der Bahnhofsmission Hannover absolviert?), abermals die AfD auf, anstatt endlich mit echter Politik und mit eigenen Themen zu beginnen, und diese glaubhaft zu vermitteln? Klingbeil fordert von der CDU „eine Abgrenzung zur rechtspopulistischen AfD“. Damit nicht genug, Klingbeil möchte gar die CDU-Richtung vorgeben, indem er diese dazu auffordert, auf dem Bundesparteitag einen dementsprechenden Beschluss zu fassen. Allein die Koalitionsüberlegungen seien ein „brandgefährlicher Tabubruch“, wird Klingbeil zitiert. Das von einer Partei, die vielerorts mit der Nachfolgepartei der SED koaliert.

Es war der neue Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion in Sachsen, Christian Hartmann, der für einen „Aufschrei“ gesorgt hatte, als er eine Koalition mit der AfD nach der Landtagswahl 2019 nicht ausschließen wollte.

SPD ade
Das Ende des Anstands bei der SPD
Als dann auch der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland darlegte, er könne sich mittelfristig eine Koalition mit der CDU vorstellen, hatte die SPD endlich wieder zum Thema zurückgefunden – aber eben doch wieder mal kein eigenes gesetzt. Man kümmert sich eben lieber doch wieder um die Belange anderer Parteien, anstatt zu überlegen, wie man die etwa 330.000 Wechsel- oder Protestwähler mit einem ansprechenden Programm wieder zurückgewinnen könnte. Zudem gewinnen immer mehr Bürger den Eindruck, dass eine Nach-Merkel-CDU die in der Tat vorhandenen, aber wenigen unsäglichen Politiker mit diametral entgegenstehenden Ansichten mit einer Protestwahl besser zur Räson bringen könnte, als durch den steten Ruf der „Abgrenzung“ durch die etablierten Parteien.

Immerhin, führende CDU-Politiker um Angela Merkel erteilten einer Koalition mit der AfD eine unmißverständliche Absage. Die Hysterie treibt die SPD durch Berlin. Durch die ständige Beschäftigung mit der AfD und anderen Politikern, die konservative Ansichten vertreten, erreicht die SPD das „krasse Gegenteil“ von dem, was sie beabsichtigt. Lars Klingbeil sollte sich einmal die Landtagswahl von Nils Schmid in Baden-Württemberg vom 13. März 2016 ansehen: mit 12,68 Prozent schmierte die SPD komplett ab (das desaströsteste Ergebnis, das ein Landesvorsitzender je erzielte; dieses Ergebnis klebt jetzt auch an Leni Breymaier wie Pech). Nils Schmid war immerhin Vize-Chef der Grün-Roten-Landesregierung sowie Finanz- und Wirtschaftsminister im Kabinett Kretschmann. Eines war augenscheinlich: die Grünen gestalteten ihren eigenen Wahlkampf und die SPD fuhr lange bequem im Windschatten von Kretschmanns Popularität mit.

Dunkle Stunde des Parlaments
Im Bundestag entgleist der voll besetzte Schulz-Zug
Eigene Themen fehlten auch dort, bis Nils Schmid anfing, ständig die AfD zu thematisieren und deren Wähler herabzusetzen. Wer die AfD wähle, „sei nicht anständig“, so Schmids Mantra. Bis heute scheint es in der SPD immer noch nicht angekommen zu sein, dass sie gar nicht mehr die Deutungshoheit darüber hat, wer anständig sei oder nicht. Dazu ist in der eigenen Partei selbst und in der Politik im gesamten in den vergangenen Jahren zu viel an Unanständigem passiert.

Übrigens: wenn ganz normale interessierte Bürger auf dem Wochenmarkt schon ironisch-schmunzelnd fragen, wann denn der Neuanfang in der SPD endlich beginnen würde, dann weiß man, dass man den Sozialdemokraten derzeit wirklich wenig abnimmt.


Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist. Seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.

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