Tichys Einblick
"Die Verleugnung der Apokalypse"

„Klimaskeptiker“ und „Klimaleugner“ aus der Psychotherapeuten-Kammer als krank erklärt?

Ein Psychotherapeut erklärt Skepsis gegenüber der Klima-Apokalypse zur Neurose. Sinnvoller wäre es, Psychologie zur Analyse von Phänomenen wie dem Gretismus und der Extinction Rebellion einzusetzen.

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„Die Verleugnung der Apokalypse“ heißt der Titel eines Beitrags im Psychotherapeutenjournal vom vergangenen September, herausgegeben von der Bayerischen Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten. Im Editorial des Heftes wird ein „streitbarer Text“ angekündigt, der „gerade in seiner Zuspitzung und Parteinahme“ geeignet sei, die angeblich notwendige Debatte um „die gesellschaftspolitische Verantwortung“ der deutschen Psychotherapeuten anzustoßen. Streitbar ist der Text des Hattinger Diplom-Psychologen Fabian Chmielewski ganz gewiss, auch zugespitzt und ohne Zweifel parteilich.

Also, um welche verleugnete Apokalypse geht es? Um die im Neuen Testament offenbarte? Ist der mangelnde Glaube an ein göttliches Gericht, vielleicht auch an eine popkulturelle Endschlacht nun als Krankheitsbild entlarvt? Nein, natürlich kann „Apokalypse“ im derzeitigen Diskurs nur ein Thema bezeichnen: den drohenden Untergang der Welt durch CO2. Deshalb möchte auch Chmielewski, natürlich streng aus Sicht der Psychotherapie, Wege für den „Umgang mit der Klimakrise“ aufzeigen. Tatsächlich macht sein Beitrag mit einigem psychologischen Rüstzeug gegen „Klimaskeptiker“ und „Klimaleugner“ mobil, versucht diese auszugrenzen und als randständige Ideologen hinzustellen.

Klimaforschung in den Medien
Das Elend des deutschen Klima-Journalismus
Klimaskeptiker verleugnen demnach die von der Wissenschaft für alle Zeiten festgestellte Realität und handeln „gegen das eigene langfristige Interesse“, also die Rettung der Menschheit vor dem „Klimatod“. Unklar bleibt, ob Chmielewski diese Verhaltensweisen wirklich pathologisieren – also in das Feld der individuellen Therapie überweisen – möchte oder doch eher einen Beitrag zur allgemeinen politischen Diskussion leisten will. Die Antwort lautet wohl: beides. Hilfreich bei der Camouflage dieser Unklarheit ist die Charakterisierung bestimmter Handlungsweisen als „dysfunktional“, die Raum lässt für deren Interpretation als nachteilig in einem allgemeinen, eher politischen Sinn, unterschwellig aber auch die Zuweisung der angesprochenen Verhaltensweisen in das Feld des psychisch Auffälligen, Neurotischen oder Pathologischen ermöglicht.
Die Gesellschaft soll vor „selbst- und fremdgefährdenden“ Klimaskeptikern bewahrt werden

Chmielewski selbst steht felsenfest auf dem Boden der aktuellen Klimaforschung und ihres Glaubens an eine „vielleicht bald nicht mehr abzuwendende Spirale des menschengemachten Klimawandels“, findet seinen Platz also sicher auf abschüssigem Grund. Sein Problem? Ein „großer Teil der Bevölkerung“ interessiere sich „nicht angemessen für die drohende Zerstörung der Welt, wie wir sie kennen“, und habe „nur ein lethargisches ›Gähnen‹ für die Apokalypse übrig“. Damit sind wir unversehens bei einem popkulturell-religiösen Sprachgebrauch angekommen, bei dem man ebenso an die seichten Kino-Beiträge Roland Emmerichs zum Weltuntergangsgenre denken mag wie an die biblischen Verse der Offenbarung.

Um dem Manko eines gegenwärtig zu gering ausgeprägten Chiliasmus abzuhelfen, sieht der Fachautor sich in der Pflicht, durch Einbringung seiner Expertise zu helfen. Zudem hätten Psychotherapeuten als „Angehörige eines Heilberufs eine besondere berufsethische Verantwortung, selbst- und fremdgefährdende Menschen zu schützen“.

Der letzte Punkt erscheint als hybride Selbstüberschätzung, vielleicht auch Ausdruck eines berufstypischen Helfersyndroms. Denn wer vermag einzuschätzen, ob der Klimaskeptiker in seiner Ablehnung aktionistischer Gesetzespakete wirklich „selbst- und fremdgefährdend“ ist? Trifft diese Definition vielleicht eher auf den denjenigen zu, der angesichts einer wie auch immer gearteten Veränderung unserer Umwelt zu radikalen, disruptiven Maßnahmen aufruft? Kann es weiterhin die Aufgabe eines Psychotherapeuten sein, diese Unterscheidung – angeblich auf der Grundlage seiner professionellen Expertise – zu treffen und der Gesellschaft zu vermitteln? Ist es überhaupt möglich, diese Frage auf psychologischer Grundlage zu klären? Das sicher nicht. Auch Chmielewski beruft sich lediglich auf die Gemeinde der Klimaforscher und akzeptiert deren Urteile wie Gottes Wort, dem nur einige eigensinnige Patienten zu widersprechen wagen.

Nun sollten Therapeuten ihre persönlichen Ansichten aus der Therapiearbeit heraushalten. Ausnahmen scheinen statthaft, wenn der Patient mit dem Messer gestikuliert oder selbst auf dem Fenstersims steht. Aber auch das rechtfertigt keine politischen Stellungnahmen, selbst wenn der Psychologe – vielleicht in subjektiver Verblendung – gleich die ganze Menschheit am Abgrund sieht. Auch ein Therapeut hat als Staatsbürger natürlich das Recht zur politischen Intervention. Nur exponiert er damit unter Umständen eher sich selbst als seine vermeintlichen Patienten.

Die Bewältigung der conditio humana

Das psychologische Instrumentarium in Chmielewskis Text entstammt der Existenziellen Psychotherapie, die seit dem Zweiten Weltkrieg unter anderem von den Amerikanern Rollo May (The Meaning of Anxiety, 1950) und Irvin Yalom entwickelt wurde. Die Grundannahme dieses Zweiges der Psychotherapie ist die Überzeugung, dass Menschen erkranken, weil sie mit grundsätzlichen Bedingungen des Menschseins nicht zurecht kommen, also vor allem mit der eigenen Sterblichkeit, aber auch mit gesellschaftlichen Problemen wie Einsamkeit oder einer empfundenen Sinnlosigkeit des Lebens. Hieran knüpfte die jüngere „Terror Management Theory“ an, die das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit am Ursprung zahlreicher, nach Chmielewski teils „hochgradig dysfunktionaler“ Bewältigungsstrategien ausmachte. Dazu zählen angeblich vor allem das Hochhalten von Wertvorstellungen und Gruppenzugehörigkeiten und ein damit verknüpfter Versuch der Selbstwerterhöhung.

Klima-Geklingel
Klimapaket: Pillepalle für Grünwesten, Zumutung für Gelbwesten
Das alles kommt einem aus diversen Jugendbewegungen merkwürdig bekannt vor. Und Terror-Management, nun ja, so könnte man beschreiben, wozu wir alle mittlerweile gezwungen sind. In der vergangenen Woche legten die Anhänger der sogenannten „Ausrottungs-Rebellion“ (englisch „Extinction Rebellion“) – wollen sie nun eigentlich die Menschheit oder das Tier- und Pflanzenreich vor Ausrottung bewahren? – weite Teile von Berlin und noch einige andere Städte mit ungeheurer Spontaneität lahm. Man darf zudem getrost von Auswirkungen des Terror-Managements ausgehen, wenn die tränenerstickte Stimme einer schwedischen Halbwüchsigen den Diebstahl der eigenen Zukunft bei den Vereinten Nationen anzeigt.
Ein Festival der schlechten Laune

Auch im Fall von Carola Rackete fällt es nicht schwer, die Sterblichkeit als beherrschendes Motiv in ihrem Denken auszumachen: Es sei die „Untätigkeit der deutschen Regierung“, die Menschen auf der ganzen Welt und zukünftige Generationen „zum Tode durch unterlassene Hilfeleistung“ verurteile – so, „wie sie es aktuell mit den Flüchtenden überall auf dem Mittelmeer“ tue. So waren die Worte der Allround-Aktivistin jüngst in der Welt nachzulesen. Flüchtlingsrettung im Mittelmeer und Ausrottungs-Rebellion wären also zwei Kehrseiten derselben Medaille, auf deren Vorderseite die Furcht vor der eigenen Sterblichkeit, der Sinnlosigkeit eines Lebens ohne transzendente Werte erscheint – woraus sich dann das bekannte Festival der schlechten Laune ergibt. Etwas handgreiflicher kommt natürlich noch die Bedrohtheit der eigenen, etwas kruden Wertvorstellungen durch eine Gesellschaft hinzu, die weitgehend anderer Auffassung, also noch nicht gänzlich in den Panikmodus verfallen ist. Aus diesem Stoff entsteht der Gruppendruck, den die jungen Heldinnen der Klimaschutz-Bewegung ebenso spüren dürften, wie sie ihn selbst wirkungsmächtig aufbauen.

Auch Chmielewski zitiert zustimmend die bekannte rotzige Bemerkung Greta Thunbergs: „Why should I be studying for a future that soon may be no more, when no one is doing anything to save that future?“ Das ist Weltuntergangsstimmung in Reinform, eine geradezu monströse Maskierung der Todesangst, die hier als die von den Erwachsenen zerstörte Zukunft der gerade 16-jährigen Thunberg erscheint. Der Autor sekundiert: „Absurd wird hier das Hochhalten der schulischen Bildung vor dem Hintergrund einer Welt der Erwachsenen, die sich nicht um das langfristige Überleben der Nachkommen kümmert.“ Absurd, ja, schlicht unfassbar ist wohl eher, dass irgendjemand glauben kann, der Verzicht auf schulische Bildung hülfe dem Planeten irgendwie weiter. Es ist wie bei Woody Allens Alter Ego aus dem „Stadtneurotiker“, dem späteren Komiker Alvy Singer, der sich als Kind weigert seine Hausaufgaben zu machen und, vom Psychiater nach dem Grund befragt, verkündet: „The Universe is expanding“.

Distanz soll ausgeschaltet werden, Emotion regieren

Im folgenden findet Chmielewski drei Typen des dysfunktionalen Umgangs mit der sogenannten Klimakrise.

  1. Das Erdulden: Man nimmt „die Schrecklichkeit in ihrer Gänze“ wahr, wird in der Folge von „Todesangst und Hilflosigkeit“ überschwemmt und akzeptiert dieses „scheinbar aussichtslose Schicksal“ passiv. Das scheint aber nur etwas für Gläubige wie den Beitragsautor zu sein.
  2. Die Vermeidung: Man weicht dem Thema aus, setzt „Hedonismus, Oberflächlichkeiten oder ›dringende Tätigkeiten‹“ an seine Stelle und betäubt so den „Gedanken an die drohende Auslöschung“, hält ihn sich vom Halse. Auch das Vertrauen in die Wissenschaft und ihre Innovationsfähigkeit gilt Chmielewski in diesem Sinne als „Vermeidung“. Hier lasse sich auch Christian Lindner (FDP) einreihen, wenn er das Klima „den Profis überlassen“ wollte.
  3. Die Überkompensation: Im Gegensatz zu den demonstrierenden Jugendlichen, die sich dem „zeitnahen kämpferischen Wirken“ für den Klimaschutz verschrieben haben und deshalb als „existenziell gesund“ bezeichnet werden, stehen die „Kreuzritter“ gegen den Klimaschutz, die die „existenzielle Bedrohung“ aktiv und angeblich aggressiv leugneten.

Hier soll nun der von der Terror Management Theory vorgestellte Mechanismus zum Tragen kommen. Die Mechanismen von Gruppenzugehörigkeit, dadurch gesteigertem Selbstwert und „symbolischer Unsterblichkeit“ durch die Gruppe sind aber dieselben wie auf der Gegenseite. Auch die „existenziell gesunde“ Lebensweise der Klimagläubigen stellt nur eine andere Möglichkeit zu irren dar.

Sogar Rollenmodelle, die auf den ersten Blick sinnvoll klingen, wie der „distanzierte Beschützer“ werden von Chmielewski diskreditiert. Distanz, so lernen wir, ist schlecht. Denn „durch einen intellektualisierenden Umgang“ werde die „existenzielle Bedrohung […] zwar einerseits abstrakt anerkannt“, was aber fehle, sei die „direkte persönliche Betroffenheit“. Hier führt einmal mehr das panische Engagement die Feder und will das kritische Denken – die intellektuelle Herangehensweise an sich – diskreditieren. Man nehme sich vernunftbegabte Wesen, wringe sie so lange aus, bis nur noch pure Emotion in ihnen ist und führe sie dann der Endverwertung in der demonstrierenden Masse zu.

INSA
Exklusiv-Umfrage: Nur jeder Fünfte findet „Klimapaket“ vernünftig
Die Erklärung für diesen Text liegt letztlich in der Psyche des Autors. Er ist es, dem die Aussicht auf ein sich wandelndes Klima Angst einflößt und den sie zu dramatisierenden Formulierungen greifen lässt: „Wieso verschließen sich Menschen bei dieser Thematik dem wissenschaftlichen Konsens und dessen Konsequenzen? Geht es nicht um Leben oder Tod? Steht nicht unsere individuelle und menschheitliche Existenz auf dem Spiel?“ Genau, um den Planeten geht es ja nur am Rande. Hauptsache, wir überleben. Oder, noch enger zugespitzt: Wo bleibe ich? Rollo May hat die Gefühlsqualität der „Angst“ als Sorge beschrieben, die durch die Bedrohung wesentlicher, existentieller Wertvorstellungen des Individuums entsteht. Auch Chmielewskis Angst vor der Klimaskepsis dürfte einem subjektiven Bedrohungsgefühl entstammen, das sich mit den – nach der Lektüre seines Textes durchaus durchsichtigen – politischen Gruppengefühlen des Autors verbindet.

Insofern ist es folgerichtig, wenn Chmielewski formuliert: „Die Patienten – das sind wir alle.“ Die Pathologisierung einer bestimmten Gruppe sei nicht gemeint. Und weiter: „Ich nehme mich hierbei ausdrücklich nicht aus, im Gegenteil: Ein Impuls für diesen Artikel war die erschreckende Erkenntnis, wie stark ausgeprägt bei mir selbst viele der beschriebenen Arten der Vermeidung in Bezug auf den Klimawandel wirksam sind.“ Ob man dem Glauben schenken soll, bleibt zweifelhaft. Denn bald schon bekennt sich der Autor wieder zu einer „kosmischen Perspektive“, die sich vom Einzelnen lösen und sich stattdessen dem „kollektiven Selbstbetrug“ in unserer Gesellschaft zuwenden müsse. Schuld sind erneut die anderen. Große gesellschaftliche Wenden seien nicht allein durch Engagement im Privaten hinzubekommen. Nachhaltigkeit sei Sache der Polis. So weit, so gut. Wenn denn die Polis zustimmt.

Politisierung der Heilkunst, Therapeutisierung der Politik

Die zum Schluss gegebenen konkreten Lösungsvorschläge Chmielewskis laufen auf eine Politisierung der Heilkunst hinaus. Hierin ist jüngst schon der Marburger Bund der angestellten Ärzte in Deutschland vorangegangen, der dekretierte: „Der Stopp des vom Menschen gemachten Klimawandels und damit seiner Folgen auf die menschliche Gesundheit muss absolute Priorität auch im gesundheitspolitischen Handeln bekommen.“ Man kann auch Deutschlands Ärzten nicht die Frage ersparen, wie sich der Klimawandel durch „gesundheitspolitisches Handeln“ abwenden ließe. Chmielewski fordert ähnliche Statements von den deutschen Psychologen und Psychotherapeuten, die sich als „Psychologists / Psychotherapists for Future“ den – bereits dem Gretismus verfallenen – „Scientists for Future“ anschließen sollen.

Hier findet sich nun auch die Auflösung der anfangs gestellten Frage nach der Zielrichtung von Chmielewskis Beitrags. Es ist, wie gesagt, eine doppelte: Man solle zum einen auf die „bekannten psychologischen Verdrängungsmechanismen in Bezug auf den Klimawandel“ hinweisen und so das gesellschaftliche Klima zum Besseren verändern (ad 1: Politik). Doch soll man zum anderen auch in der individuellen Therapie „Patienten, bei denen Deutungen der Klimakrise eine verursachende oder aufrechterhaltende Rolle bei ihrer psychischen Problematik spielen könnte“, ernst nehmen (ad 2: Therapie). Nun folgt noch ein verräterischer Satz: „Die Weltanschauung des Therapeuten beeinflusse so oder so“ die Bewusstseinsbildung des Patienten. Daher möge der Therapeut sich offen zu seiner Nicht-Übereinstimmung mit der Meinung des Patienten bekennen und die „eigenen Wertprioritäten“, aber auch die „eigenen Verleugnungsstrategien“ kennen.

Am Ende – im buchstäblich vorletzten Absatz des Textes – wird zugegeben, dass auch eine „geringe Selbstfürsorge beim Kampf für den Klimaschutz“ psychische Probleme bedingen kann. Warum so spät, möchte man fragen, warum so wenig der Selbstanalyse.

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