Die „Klimaaktivisten“ werden durch Blockaden, durch die Zerstörung von Sachgegenständen, durch Gewalt gegen Menschen, durch die bewusste Inkaufnahme, dass Unbeteiligte zu Schaden kommen, bis hin zu Angriffen auf Kohle- und Gaskraftwerke versuchen, ihre immer weitergehenden Ziele durchzusetzen – und umso mehr die Ampel-Regierung der Klimabewegung, als dessen Teil sie sich empfindet, entgegenkommt, umso radikaler wird die Bewegung, wie ein verwöhntes Kind, das nie zufrieden ist und immer noch mehr will.
Dass die Ziele immer radikaler werden, liegt am Wesen einer Bewegung, die nicht die Wirklichkeit, sondern eine im Kern totalitäre, das heißt eine geschlossene Ideologie antreibt, die Wissenschaft nicht als Progress von Trial and Error versteht, sondern als Religion, nicht als Lieferant von nachprüfbaren Erkenntnissen, die von neuen Erkenntnissen revidiert werden, sondern als Quelle ewiger Wahrheiten.
Als aus Sicht der Grünen die Ampelverhandlungen stockten, rief Annalena Baerbock schon einmal die Straße um Hilfe, die NGOs der Grünen, die grünen Klima-Garden, um außerparlamentarischen Druck zu machen, denn die Grünen befinden sich auf einer Mission, die sie – koste es, was es wolle – vollenden wollen, auch wenn dabei alles zu Bruch geht. Zu diesem Zweck, das hat Baerbocks Aktion verdeutlicht, ist ihnen jedes Mittel recht. Aus diesem Grund verlegen sich die Grünen auf ein Doppelspiel von Regierung und Straße, um ihre Ziele durchzusetzen. Der kontinuierliche und an Radikalität zunehmende Druck der Klimabewegung wird die FDP verschrecken, sodass sie alles, um weitere Radikalisierung zu verhindern, mitträgt, was Sozialdemokraten und die Grünen zum Systemumbau benötigen – und damit paradoxerweise weitere Radikalität verursachen werden.
Für Tadzio Müller ist jedenfalls klar: „In der Klimakrise kann sich die Bewegung gerade zwischen Irrelevanz und Militanz entscheiden.“ Aus Müllers Sicht sind radikale Aktionen oder wie der Professor für praktische Philosophie an der FU Berlin, Robin Celikates, es nennt „Ziviler Ungehorsam“ (ZU) notwendig, „weil demokratischer Fortschritt in den seltensten Fällen aus dem politischen System selbst heraus geschieht“. Wie der Professor feststellt, ist Ziviler Ungehorsam „Teil eines Sets von Protest-Praktiken, die von legalen Formen wie Demonstrationen bis zu revolutionär-militanten Formen reicht.“ Und weil „demokratischer Fortschritt in den seltensten Fällen aus dem politischen System selbst heraus geschieht“, wie Celikates formuliert, prognostiziert Müller: „Zerdepperte Autoshowrooms, zerstörte Autos, Sabotage in Gaskraftwerken oder an Pipelines. Das wird es nächsten Sommer auf jeden Fall geben. Ich höre das aus der Bewegung, sogar von eher moderaten Akteuren.“
Aufschlussreich hierfür ist folgende Darstellung der taz: „Um damit bei der Mehrheitsgesellschaft zu punkten, betonen die meisten Gruppen ihren gewaltlosen Charakter. Denn in den westlichen Demokratien ist es weitgehend Konsens, dass ZU gewaltfrei zu sein hat. Celikates sieht dies anders: Warum, fragt er, sollten Proteste gegen massives Unrecht, die Sachbeschädigung, minimale Gewalt zur Selbstverteidigung oder gegen die eigene Person umfassen, per se unvereinbar sein mit zivilem Ungehorsam?“ Sachzerstörung, Demonstrationen bis zu revolutionär-militanten Formen, sind für Tadzio Müller legitim, denn es handelt sich für ihn um „Notwehr“.
Die Weigerung der Gesellschaft, das einzusehen, ist für Müller die Ursache für die Gewalt. „Militante Aktivisten werden für mehrere Jahre im Knast landen. Ein Großteil der Bewegung wird Angst bekommen und friedlich werden. Ein kleiner Teil wird in den Untergrund gehen“, meint Müller. Doch nicht die Gewalttätigen, sondern die Gesellschaft bringt durch ihre Störrigkeit die Gewalt erst hervor. Die Opfer sind schuld, nicht die Täter. Weil die alleinerziehende Mutter oder der schlechtverdienende Vater mit zwei Jobs nicht die Grünen gewählt haben, wird ihr Auto, das sie zum Erwerb ihres Lebensunterhaltes benötigen, zerstört. Denn die Gewalt der Grünen Garden wird nicht an der Elbchaussee ankommen, und auch nicht am Wannsee und erst recht nicht in München Grünwald oder am Starnberger See, sondern in Berlin Lichtenberg, in Charlottenburg, im Friedrichshain. Und auch wenn die alleinerziehende Mutter oder der schlechtverdienende Vater grün gewählt haben, dürfen sie sich für ihr zerstörtes Auto bei ihrem Nachbarn, der vielleicht nicht grün gewählt hat, bedanken.
Müller droht selbstverständlich nur aus philanthropischer Motivation heraus, weil er die Mitte der Gesellschaft nur „darauf vorbereiten“ möchte, „was passieren wird.“ Denn: „Wir haben einfach keine anderen Optionen mehr. Wir haben alles probiert. Ich rufe sie [die bürgerliche Mitte] dazu auf, zu erdulden, dass Leute Dinge tun werden, die sie ablehnt und habituell abstoßend findet. Die Leute dürfen keinen Leserbrief schreiben und sich empören. Nicht im Späti über die Zecken lästern. Jeder Mensch muss sich klarmachen: Sabotage ist vielleicht nicht in ihrem Sinne, aber in ihrem Interesse.“ Denn, wenn „es keinen Klimaschutz“, also keine Überwindung des Kapitalismus, keine Große Transformation gibt, „gibt es bald auf die Mütze“.
Es stellt sich rechtsmethodisch die Frage, wenn man von der Gleichheit des Rechts ausgeht, ob Autofahrer das Recht besitzen, wenn die Polizei die besetzte Autobahn oder Bundesstraße nicht räumt, es selbst tun zu dürfen. Oder müssen sich Autofahrer dann von Klimaaktivsten in Geiselhaft nehmen lassen? Dürfen die einen dann alles und die anderen nichts? Wenn wir also in der von Celikates beschriebenen Art vom gerechtfertigten Zivilen Ungehorsam ausgehen, steht dann das Recht zum Zivilen Ungehorsam nicht im Rahmen des Gleichheitsgrundsatzes allen Bürgern gleichermaßen zu, und lösen wir dann nicht letztendlich das Gewaltmonopol des Staates auf? Für Celikates ist ZU „ein „absichtlicher, Prinzipien-basierter Rechtsbruch“. Wenn Celikates den „Prinzipien-basierten Rechtsbruch“ mit dem Ziel einer politischen Veränderung legalisiert, dann legalisiert er ihn für alle, und wenn der Rechtsbruch Prinzipien-basiert sein muss, dann reicht das Prinzip – ganz gleich welches – zur Rechtfertigung aus.
Dann ist der Rechtsbruch zur Verhinderung von „Klimamaßnahmen“ oder von Pandemiemaßnahmen, wie wir Letzteres gerade in den Niederlanden und in Belgien erleben, legal, nichts weiter als gerechtfertigter ZU, dann können wir uns letztlich von Recht und Gesetz verabschieden. Wissen die Rot-Grünen, wissen Professoren wie Ceilkates überhaupt, was sie in Frage stellen, wenn sie Zivilen Ungehorsam als „Teil eines Sets von Protest-Praktiken, die von legalen Formen wie Demonstrationen bis zu revolutionär-militanten Formen reicht“, befürworten, denn diese Formen stünden dann doch allen offen, oder? Die Rot-Grünen sollten ein Seminar besuchen, in dem die Nützlichkeit der Gewaltentrennung, die Bedeutung der Spielregeln in einer repräsentativen Demokratie gebimst werden, denn wer die Spielregeln auflöst, muss sich darüber im Klaren sein, dass er sich anschließend nicht mehr darauf berufen kann, was er gerade aufgelöst hat.
Doch womöglich gibt es kein Halten mehr, womöglich ist die Vernunft als Erfindung alter weißer Männer außer Mode gekommen. Merkels Große Transformation, ihr so wohlfeiles öffentliches Schämen über ein fragwürdiges Klimaurteil des Verfassungsgerichtes, die permanenten Apokalypse-Hysterien der Medien, zu deren Dauergästen Aktivisten wie Neubauer, Reemtsma und Rackete gehören – Vertreter gegenteiliger Meinungen werden von Medien im Propagandamodus gar nicht mehr eingeladen –, aber auch der Bildungssektor haben die Atmosphäre aufgeheizt und den Klimaaktivisten das Gefühl gegeben, im Recht zu sein. Dieses Recht, das ihnen zugestanden wurde, ohne Widerspruch überhaupt zuzulassen, nehmen sie sich nun im vollen und womöglich, wenn Tadzio Müller recht behält, gewalttätigen Maße.
Merkels Politik, rot-grüne Ideologen in Parteien und an Universitäten, apokalypsepropagierende Medien tragen die Schuld, wenn es zu Gewalt und Destabilisierung kommt, weil sie den Diskurs ausgehebelt und die Ideologie der Klimabewegung für alternativlos erklärt haben. Sie erzeugen eine Gesellschaft, in der nicht mehr miteinander geredet und um Standpunkte gerungen, sondern nur noch gehandelt wird.