Tichys Einblick
während Fälle von Kinderpornographie zunehmen

Buschmann will das Strafmaß bei sexuellem Kindesmissbrauch wieder senken

Im Jahr 2021 wurde das Strafmaß bei sexuellem Kindesmissbrauch mit einer Gesetzesnovelle verschärft. Justizminister Buschmann möchte nun die Mindeststrafen wieder absenken – mit dürftigen Argumenten. Kinderpornographie nur noch ein „Vergehen“ statt „Verbrechen“? Es käme einer Kapitulation des Rechts gleich.

Bundesjustizminister Marco Buschmann, FDP, Deutscher Bundestag, Berlin, 17.11.2023

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Gesetzlich gilt als Definition: „Kinderpornographie ist die fotorealistische Darstellung des sexuellen Missbrauchs einer Person unter 14 Jahren (Kind).“ So Strafgesetzbuch (StGB), § 184b, mit der Überschrift „Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte“. Weiter heißt es unter Bezugnahme auf verschiedene Arten der Darstellung, der Art sexueller Handlungen und der Art der Verbreitung im Gesetzestext: „Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer …“ Der Grund für diese Strafbewehrung ist eindeutig: Der Herstellung und Verbreitung kinderpornographischer Darstellungen liegt ein realer (oft schwerer) sexueller Missbrauch zugrunde. Durch dessen (weltweite) Verbreitung und Verfügbarkeit erfolgen oft eine lebenslange Traumatisierung und Viktimisierung der Opfer. Das ist unbestritten.

„Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren“: So steht es erst seit 1. Juli 2021 nach einer Novellierung durch den Bundestag vom 25. März 2021 im Gesetz. Bis dahin stand im StGB: „Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer …“ Für die 2021er Novellierung hatten die CDU/CSU/SPD-Koalition sowie die AfD gestimmt; Grüne, FDP und Links-Fraktion hatten dagegen gestimmt.

Die 2021er Novellierung war eine der (späten) Konsequenzen aus der Arbeit des am 24. März 2010 von der Bundesregierung eingesetzten und rund eineinhalb Jahre arbeitenden „Runden Tisches Sexueller Kindesmissbrauch“. (Der Autor dieses Textes gehörte dem Runden Tisch an.) Damit sollte „das Unrecht dieser Straftaten klarer umschrieben werden“, heißt es in der regierungsamtlichen Begründung des Entwurfs. Der Grundtatbestand der sexualisierten Gewalt gegen Kinder sollte damit also künftig ein Verbrechen sein mit einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe (bisher als Vergehen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht).

Auch Verbreitung, Besitz und Besitzverschaffung von Kinderpornographie sollten zum Verbrechen hochgestuft werden. Laut Strafgesetzbuch (StGB § 12) sind Verbrechen „rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind; Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind.“

Kinderpornographie gegebenenfalls nur noch ein „Vergehen“?

Nun ist seit November 2023 bekannt und aktuell neu kommuniziert, dass Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) die Mindeststrafen für die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz kinderpornographischer Inhalte von einem Jahr Freiheitsstrafe auf drei bis sechs Monate absenken will. Unverändert bleibe nach dem Referentenentwurf die maximale Strafhöhe. Die Strafverschärfung aus dem Jahr 2021 sei laut Buschmann über das Ziel hinausgeschossen. „Eine Mutter etwa, die in einem Klassenchat kinderpornographisches Material entdeckt und es weiterleitet, um andere Eltern vor den Bildern zu warnen, muss aktuell mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bestraft werden“, erläuterte er. Das sei nicht gerecht, denn es würden mit der aktuellen Gesetzeslage teils Menschen bestraft, die gerade die Verbreitung solchen Materials verhindern wollen, so Buschmann.

Na ja, ein an den Haaren herbeigezogenes Beispiel, das die Richterschaft schon entsprechend zu würdigen wüssten. Buschmann will mit dem Referentenentwurf zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 StGB den Staatsanwaltschaften und Gerichten die Möglichkeit zurückgeben, in solchen Fällen Strafverfahren einzustellen oder nur Geldstrafen auszusprechen. Rückgängig gemacht werden soll konkret die Heraufstufung zum Verbrechen durch Senken der Mindeststrafen in § 184b von einem Jahr auf sechs Monate oder gar von einem Jahr auf drei Monate. Zudem könnten Verfahren wieder nach den §§ 153 und 153a Strafprozessordnung (stopp) eingestellt oder durch Strafbefehl nach den §§ 407 ff. StPO erledigt werden, wenn die Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen. Unverändert bleiben soll die maximale Strafhöhe von bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.

Gleichzeitig erhebliche Zunahme von Pornographie-Delikten

Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) vom 30. Mai 2022 hatte es im Jahr 2021 drastische Zuwächse an Kinderpornographie gegeben: Die Zahl hat sich mehr als verdoppelt auf mehr als 39.000 Fälle im Jahr 2021. Das war gegenüber 2020 ein Zuwachs von 108,8 Prozent. Diese drastische Zunahme hat reale, aber auch quasi artifizielle Gründe: Vor allem war die Strafverfolgung bei Missbrauchsdarstellungen nach der Novellierung des StGB deutlich intensiver geworden – etwa durch größere Ressourcen beim Bundeskriminalamt (BKA) und in einzelnen Polizeibehörden der Länder. Zudem wurde die internationale Zusammenarbeit der Strafbehörden intensiviert. Etwa 85 Prozent aller Hinweise kamen aus den USA, wo die Internetprovider gesetzlich verpflichtet seien, Missbrauchsdarstellungen zu melden.

Weiter gestiegen sind 2022 Fälle der Verbreitung, des Erwerbs und Besitzes kinder- und jugendpornographischer Inhalte. 2022 registrierte die Polizei 42.075 Fälle mit kinderpornographischen Inhalten, 7,5 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum (2021: 39.171). Um 32,1 Prozent stieg die Zahl mit jugendpornographischen Inhalten auf 6.746 Fälle (2021: 5.105).

Hinweise auf den Besitz und die Verbreitung von kinderpornographischen Inhalten sowie den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im und über das Internet erhält das BKA überwiegend vom National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC). Wie das Bundeslagebild zeigt, waren es 2022 insgesamt 89.850 strafrechtlich relevante Sachverhalte.
Es kommt hinzu: Die PKS-Zahlen zeigen nur das Hellfeld, also jene Straftaten, die den Polizeibehörden bekannt geworden sind. Das Dunkelfeld ist weitaus größer. Es ist davon auszugehen, dass etwa ein bis zwei Schüler oder Schülerinnen in jeder Schulklasse von sexueller Gewalt betroffen waren beziehungsweise sind, so das BKA.

Wo bleibt der Gedanke der Generalprävention? Kapituliert der Rechtsstaat?

Nun also soll das Strafgesetzbuch in § 184b teilweise nach dem Willen der „Ampel“ und des Justizministers Buschmann auf den Stand von vor 2021 zurückgeschraubt werden. Die Höchststrafe soll zwar bleiben, die Mindeststrafe aber abgesenkt werden bzw. es soll in gewissen Fällen ein (bisheriges) Verbrechen „nur“ noch als Vergehen gelten. Ist das gerechtfertigt vor dem Hintergrund der verschiedenen „Strafzwecke“? Läuft das nicht auf eine teilweise Bagatellisierung sexuellen Missbrauchs von Kindern hinaus?

Nun kennt zumal ein Strafgesetz verschiedene „Strafzwecke“: Geht es um „Gerechtigkeit“, Sühne, Vergeltung, Befriedigung der Opfer und deren Angehöriger, Schutz der Allgemeinheit durch „Wegsperren eines Täters“, Schutz der Mitmenschen und des Täters quasi vor sich selbst für die Zeit des „Wegsperrens“, Impulse zur Resozialisation usw.? Ein Zweck, nämlich ein generell pädagogischer, wird vielfach unterschätzt, vor allem im Zuge der „Entkriminalisierung“ von Vergehen/Verbrechen (siehe Cannabis-Freigabe) und der Liberalisierung der Ahndung von Straftaten: namentlich die Generalprävention – vulgo: Abschreckung. Dezenter ausgedrückt: Es geht darum, per Gesetz ein Rechts- und Unrechtsbewusstsein zu schaffen und Rechtstreue zu fördern.

Das Argument, dass mit einer Herabstufung bestimmter kinderpornographischer Handlungen vom Verbrechen zum Vergehen Strafverfolgungsbehörden entlastet würden, ist ein dürftiges Argument. Es käme dies einer Kapitulation des Rechtsstaates gleich.

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