Was man mit 15 Jahren (in Deutschland) nicht darf:
• Zigaretten kaufen
• Zigaretten rauchen
• nach 22.00 h in die Disco gehen
• nach 22.00 h ins Kino gehen
• „Fifty Shades of Grey“ in der Videothek ausleihen.
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Greta Thunberg ist 15 Jahre jung und, man kann das so sagen, außergewöhnlich klug – mindestens für ihr Alter, vielleicht auch insgesamt. Das weiß man, weil die Teilzeit-Schülerin aus Schweden mittlerweile mehr Zeit vor TV-Kameras verbracht hat als die allermeisten Menschen in einem ganzen Leben.
In Gretas Ahnenliste findet sich auch der Chemie-Nobelpreisträger Svante Arrhenius. Er hatte 1896 erstmals den Treibhauseffekt berechnet, der durch Kohlendioxid entsteht. Die Befassung mit dem Weltklima ist bei den Thunbergs also durchaus eine Art Familientradition. Es gibt fraglos Schlechteres.
Manche Menschen folgen einer Familientradition nicht – Greta schon. Am 20. August 2018 stellt sie sich vor den Schwedischen Reichstag in Stockholm. „Skolstrejk för klimatet“, „Schulstreik für das Klima“, hat sie auf ein Schild geschrieben. Es ist ein außergewöhnlich heißer Sommer, der erste Schultag in Schweden – und außerdem drei Wochen vor der landesweiten Parlamentswahl: günstige Voraussetzungen, um Schlagzeilen zu machen.
Die Schlagzeilen kommen. Bald schließen sich Schülerinnen und Schüler vor hunderten schwedischen Rathäusern an und „streiken“ auch für das Klima. Ähnliche Aktionen in Belgien, Dänemark, Finnland und Frankreich folgen. Bis Anfang Dezember 2018 haben etwa 20.000 Schüler in etwa 270 Städten weltweit für das Klima „gestreikt“. Eigentlich schaden sich Schüler selbst, wenn sie ihren Unterricht bestreiken. Sie streiken gegen sich selbst. Trotzdem:
Nicht nur, aber gerade auch in Deutschland sind die Medien von der Sache unverkennbar begeistert. Die „Süddeutsche Zeitung“ erhebt Greta zur „Galionsfigur der Klimabewegung“.
Da ist Greta Thunberg immer noch 15 Jahre jung.
Nachdem sich die Proteste auch auf Australien ausweiten, beschwert sich der dortige Ministerpräsident Scott Morrison: „Wir wollen mehr Lernen und weniger Aktivismus in der Schule.“ Die Kinder sollten zur Schule gehen. Greta lässt ihn auf Twitter abblitzen: „Sorry, Mr. Morrison. Können wir nicht erfüllen.“ Die Aktion Schulschwänzen für das Weltklima geht weiter.
Zur Vereinnahmung Gretas durch die Medien gesellt sich, wenig überraschend, die Vereinnahmung durch die Politik. UN-Generalsekretär António Guterres lädt die Jugendliche zur UN-Klimakonferenz nach Kattowitz ein. Zusammen mit ihrem Vater reist sie im Dezember 2018 in einem Elektroauto dorthin. Sie darf eine Rede halten, Guterres trifft sich mit ihr vor der versammelten Weltpresse.
Immer noch ist Greta Thunberg 15 Jahre jung.
Niemand in den Medien, erst recht nicht in der Politik, gibt zu erkennen, dass man das für ein Problem halten könnte.
Genau hier liegt das Problem.
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Was man mit 15 Jahren (in Deutschland) nicht darf:
• nach 22.00 h in die Kirche gehen
• alleine Bier, Wein oder Sekt trinken
• mehr als vier Wochen pro Jahr arbeiten
• eine Wohnung mieten
• Auto oder Motorrad fahren.
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Was die Politik angeht, ist die Vorführung Gretas auf der Klimakonferenz einfach nur: schamlos.
Ja, das Mädchen hat ein Anliegen. Darum geht es nicht – auch nicht darum, ob man dieses Anliegen für berechtigt hält oder nicht (das dürfte abhängen von der persönlichen Haltung zum Klimawandel und von den Wissenschaftlern, die man konsultiert und auf die man sich beruft).
Ja, das Mädchen hat bedenkenswerte Argumente vorgebracht. Darum geht es aber auch nicht – ebenso wenig wie darum, ob sie ihre Rede selbst geschrieben hat oder nicht (vermutlich haben das die meisten Politiker auf der Konferenz auch nicht getan).
Es geht darum, dass hier ein blutjunger Mensch – gerade mal an der Schwelle vom Kind zum Jugendlichen – absolut eindeutig eben nicht aus inhaltlichen oder rationalen, sondern ausschließlich aus emotionalen Gründen ins globale Scheinwerferlicht gezerrt wird. Ja, Greta hat ihren Auftritt erkennbar genossen. Na und? Wir erlauben Jugendlichen aus gutem Grund vieles nicht, was diese Jugendlichen genießen würden – weil wir ihnen aus der Erfahrung des Erwachsenen heraus eben einfach noch nicht zutrauen, mit dem Wunsch nach Genuss ohne Selbstbeschädigung umgehen zu können. (Manche Erwachsene können das zwar auch nicht, aber die haben die Schwelle halt schon überschritten, an der wir Menschen spätestens in die völlige Eigenverantwortlichkeit entlassen.)
Dieses Mädchen hätte davor geschützt werden müssen, von Politikern vor deren Karren gespannt zu werden.
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Was man mit 15 Jahren (in Deutschland) nicht darf:
• mit jedem gewünschten Erwachsenen einvernehmlich Sex haben
• heiraten
• wählen.
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Was die Medien angeht, ist die Berichterstattung über Greta einfach nur: blind.
Da werden die Argumente einer 15-Jährigen auf eine Ebene gehoben mit denen gewählter Politiker oder sogar anerkannter Experten. Wie betroffen und gefühlig sind wir eigentlich mittlerweile, um nüchterne Fakten durch Kinderworte zu ersetzen?
Noch einmal: Es geht nicht darum, dass Kinder und Jugendliche keine berechtigten Anliegen hätten. Natürlich haben sie die. Es geht auch nicht darum, dass Kinder und Jugendliche keine Stimme haben dürften. Natürlich muss man auch ihnen Gehör geben.
Aber auf die Gefahr hin, dass es altmodisch klingt und nicht besonders populär ist: Ja, es gibt einen Unterschied zwischen Erwachsenen und Nicht-Erwachsenen. Und nein, deren Argumente und Positionen sind nicht gleichwertig.
Denn es steckt eine Idee hinter all den Verboten und Beschränkungen, die das Jugendschutzgesetz und all die anderen einschlägigen Regelungen in anderen Gesetzen Kindern und Jugendlichen auferlegen. Die Idee ist: Menschen vor der Volljährigkeit fehlen das Wissen, die Lebenserfahrung und die persönliche Reife, um alles selbstverantwortlich entscheiden zu können. Sie brauchen Schutz und Grenzen. Sie müssen noch wachsen, bevor sie erwachsen sind.
Es geht darum, dass Greta 15 Jahre alt ist. Und eine 15-Jährige ist, bei allem Respekt und mit Verlaub, keine adäquate Quelle für eine politische Betrachtung zu einem globalen und Generationen umfassenden Thema.
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Man stelle sich ganz kurz nur einmal Folgendes vor:
Auf einem Treffen von z.B. Klimawandelskeptikern irgendwo auf der Welt tritt eine 15-Jährige auf. Sie erklärt mit Emphase, dass der Klimawandel nicht von Menschen verursacht und Donald Trump ihr Superheld ist, weil die USA unter seiner Ägide aus dem Klimaabkommen ausgestiegen sind.
Wie würden die Medien, gerade auch in Deutschland, darüber berichten? Ich wette: Sie würden mit Empörung über den Missbrauch dieses Kindes für politische Propaganda schimpfen – völlig zurecht.
Eben.