Tichys Einblick
Joshua Kimmich und Sky-Reporter Wasserziehr

Ein Interview, das wohl eher eine Anklage war

Der Fußball-Reporter Patrick Wasserziehr machte aus einem Kurz-Interview nach einem Bundesliga-Spiel ein öffentliches Verhör. Joshua Kimmichs Gegenfrage "Haben Sie auch noch sportliche Fragen?", blieb unbeantwortet. Von Felix Hackmann

screenprint via YouTube / sky Sport

Ich mochte Patrick Wasserziehr einmal. Ich schätzte ihn vor allem für seinen scharfen Umgang mit der Sprache, für seine präzisen Fragen. Vielleicht hat der Haltungsjournalismus in letzter Zeit auch auf ihn abgefärbt. Jedenfalls konnte er selbst bei einer schweren Themenlage in der Bundesliga mit seiner oftmals schillernden Rhetorik durch einen unterhaltenden Fußballtalk „Sky90“ führen, in dem er es schaffte, die Verantwortlichen dann und wann vom üblichen Phrasenteppich zu locken.

An diesem Wochenende jedoch verblüffte er mich nach dem Spiel des FC Bayern München mit seinen Fragen an den Spieler Joshua Kimmich. Da war keine journalistische Distanz mehr und er zeigte auch nicht das sonst übliche ölige Skyreportergehabe.

War das überhaupt noch ein Interview? War es nicht vielmehr ein Verhör?

Der Fragensteller erschien nicht reflektiert und reserviert wie sonst. Er fragte ganz offensichtlich nicht, um zu verstehen. Er fragte, um durch Suggestion zu verurteilen.

Man kennt so etwas sonst nur aus historischen Gerichtsprozessen, die den Namen nicht verdienen, weil die Schuld des Angeklagten nach Vorgaben der Machthaber schon feststeht, und die darum „Schauprozesse“ genannt werden.

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Wasserziehr geht gleich in medias res: „Die Bild hat gemeldet, dass sie noch ungeimpft seien“ – Fakten klären, wir wollen ja nicht unseriös sein. Aber schnell, bloß keine Zeit verlieren. Die Aufgabe, die Pflicht ist zu groß – solch ein Eindruck drängt sich dem Zuschauer auf. So dringlich scheint die Gesamtlage. Da hat sich einer nicht gefügt. Da ist einer auf die andere, falsche Seite gewechselt.

In solchen Situationen des öffentlichen Verhörs zeigt sich der Charakter. Kimmich spricht ruhig und gesetzt. Es gäbe keine Langzeitstudien, so bliebe er vorerst skeptisch.

Wasserziehr geht subtil vor, lobt Kimmichs Kampagne „We Kick Corona“, um ihm gleichzeitig einen Strick daraus zu drehen. Einerseits werbe er für Solidarität, andererseits lebe er sie nicht. Mit der Impfung schütze man nicht nur sich selbst, sondern auch die anderen. Kimmich bleibt ruhig, antwortet mit dem Hinweis auf die „Impfdurchbrüche“. Man bewahrt eben durch eine Corona-Impfung gerade nicht andere sicher vor der Infektion, sondern nur sich selbst vor einem schweren Verlauf der Krankheit.

Die Fallstricke unserer Zeit werden hier deutlich. Das Mantra der Gegenwart vom hehren Ziel, dem man sich fügen muss.

Wasserziehrs implizite Auslegung des Solidaritätsbegriffes ist verbreitet und dennoch falsch. Solidarität ist nämlich nicht die tumbe Folgsamkeit aller unter einer Ideologie, die zur Wahrheit verklärt wird. Sie ist vielmehr die Toleranz, hier stimmt der Begriff noch, eines jeden individuellen Lebenswillens und der Bekräftigung seiner freien Entwicklung. Solidarität ist das Verstehenwollen jedes einzelnen individuellen Lebensgeistes. Eine freie Gesellschaft richtet nicht nach einem willkürlichen Mehrheitsgeist, sondern löst Konflikte im Verständnis. Gleichsam über der konkreten Materie stehend und im Sinne des friedlichen Zusammenlebens.

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Kimmich bleibt ruhig, erklärt den eigentlichen Zweck seiner Stiftung und erwartet mehr Respekt gegenüber Skeptikern. Wasserziehr stimmt zu, letztlich bleibe die Impfentscheidung jedem selbst überlassen. Doch er unterbricht, als Kimmich von „Impfdurchbrüchen“ spricht, und sagt „aber selten“. Die richtige Haltung soll schon klar erkennbar bleiben.

Aber das reicht noch nicht.

„Ich möchte ihnen die Möglichkeit geben, zu antworten… Wir wollen gerne verstehen, warum es so ist.“ Er lädt Kimmich also dazu ein, sich zu rechtfertigen, dadurch insinuierend, dass Kimmichs Handeln falsch sei. „Es geht nicht darum, jemanden anzuklagen“, erklärt Wasserziehr sogar. Womöglich kamen ihm da selbst Zweifel, dass er gar kein Interview führte, sondern genau das: eine Anklage.

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