Tichys Einblick
Flüchtlinge in der Corona-Krise

Keinen Anreiz für Migration nach Griechenland setzen

Deutschland sollte nicht weiter voranschreiten bei der Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge aus Griechenland. Wir müssen das falsche Signal vermeiden, das von einer unterschiedslosen Aufnahme in großem Stil ausgehen würde. Von Thorsten Frei, MdB

Getty Images

Die Not in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln ist ohne Zweifel sehr groß, doch eine Verteilung der 40.000 Migranten wäre der falsche Weg, denn sie entfaltet eine Sogwirkung, die alle europäischen Staaten trifft. Stattdessen hat sich in den vergangenen zwei Monaten eine Koalition aus rund zehn europäischen Staaten formiert, die in den dringendsten humanitären Fällen helfen will und die Übernahme von 1 500 unbegleiteten Kindern organisiert. Deutschland ist Teil dieser Koalition und nun mit einem ersten Schritt vorangegangen. Wir haben rund 50 Kinder aufgenommen, auch wenn eine Reihe von Staaten, die ihre grundsätzliche Aufnahmebereitschaft erklärt haben, inzwischen bekunden, mit Aufnahmen warten zu wollen, bis die Corona-Epidemie eingedämmt ist. Wir haben die klare Erwartungshaltung, dass die anderen Staaten ihre Zusagen in den nächsten Wochen und Monaten auch einlösen. Bis dahin muss Deutschland mit weiteren Aufnahmen warten, um einen nationalen Alleingang zu vermeiden, den man uns 2015/2016 vorgeworfen hat.

Anreiz zur Migration nach Griechenland

Deutschland wird sich bei der Aufnahme insbesondere auf sehr junge und medizinisch dringend behandlungsbedürftige Kinder konzentrieren. Durch diese klare Eingrenzung anhand genau definierter Merkmale wollen wir das falsche Signal vermeiden, das von einer unterschiedslosen Aufnahme in großem Stil ausgehen würde und sich mit dem Satz zusammenfassen lässt: „Man muss es nur auf die griechischen Inseln schaffen, dann wird sich mit der Zeit auch ein Weg auf das europäische Festland und nach Deutschland finden.“ Meine große Befürchtung ist: Ein solches Signal würde einen gewaltigen Anreiz zur Migration nach Griechenland setzen. Wir würden die Lage in Griechenland nicht besser, sondern schlechter machen, denn nicht weniger, sondern mehr Menschen würden in Richtung Europa aufbrechen. Vor allem würden nicht weniger, sondern mehr Kinder auf die sehr gefährliche Reise nach Europa geschickt, um dort als „Anker“ den Nachzug der Familie zu ermöglichen.

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Wer die Lage auf den griechischen Inseln verbessern will, kann und muss in einem ersten Schritt vor Ort helfen. Deutschland hat das in den vergangenen Jahren mehrfach durch Hilfslieferungen getan, zuletzt indem wir im Dezember aus den Beständen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Ausstattungen für Aufnahmeeinrichtungen für insgesamt 10 000 Menschen in 55 LKWs nach Griechenland gebracht haben. Zur Entlastung Griechenlands müssen wir darüber hinaus die Türkei bei der Aufnahme von Schutzsuchenden weiter unterstützen und das ins Wanken geratene EU-Türkei-Abkommen stabilisieren. Vor allem aber müssen wir im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik bereit sein, einen wirksamen Außengrenzschutz einzurichten und Menschen, die nach Abschluss eines ordentlichen Asylverfahrens und einer gerichtlichen Überprüfung kein Bleiberecht erhalten, in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. Wer Deutschland vorwirft, durch die Konzentration auf die Aufnahme unbegleiteter Kinder von den griechischen Inseln zu wenig zu tun, sollte bedenken: Seit 2015 wurden rund 1,8 Millionen Asylanträge in unserem Land gestellt, das waren etwas mehr als 41 Prozent aller in der Europäischen Union in diesem Zeitraum gestellten Anträge.
Deutschland hat humanitäre Verpflichtungen nicht vernachlässigt

Allein im Jahr 2016 haben wir mehr Asylsuchende aufgenommen als alle anderen 27 EU-Staaten zusammen. Seit 2015 sind fast eine Million Schutztitel durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vergeben worden. Angesichts dieser Zahlen wird man nicht sagen können, dass Deutschland seine humanitären Verpflichtungen vernachlässigt habe.


Der Autor ist CDU-Bundestagsabgeordneter und innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.


Dieser Beitrag von Thorsten Frei erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, der wir für die freundliche Genehmigung zur Übernahme danken.

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