Nicht lange ist es her, dass der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Georg Bätzing, auf die Klimaextremisten einging. Dazumal stürmten sie zum ersten Mal die Rollbahn eines Flughafens. Der Limburger Bischof äußerte aus diesem Anlass, das „Lebensgefühl dieser Aktivisten“ ähnele dem der Urkirche, die sich als „letzte Generation vor dem Anbruch des Reiches Gottes“ verstanden hätte. In derselben Woche, in der Klimaextremisten neuerlich den Flugverkehr nicht nur stören, sondern auch Fluggäste in erhebliche Gefahr bringen, melden sich Kirche, Orden und Verbände wieder zu Wort, dieses Mal mit einem Appell: „Wir sind bereit“.
Die Initiatoren prangern an, dass die „Klimakrise“ längst in ihren Ausprägungen spürbar geworden sei. Als Beispiele nennt das Bündnis Hitze, Dürre, Überschwemmungen, Starkregen, Waldsterben und die steigende Zahl von Allergikern und Asthmatikern. Daraus folgern die Initiatoren:
„Trotz all dieser Alarmsignale steht es aktuell schlecht um die sozial-ökologische Transformation, die Deutschland dringend nötig hat: Die Bundesregierung verschleppt die Agrar-, Verkehrs-, Energie- und Gebäudewende; Protest gegen die Untätigkeit der Politik, geboren aus Ungeduld und Verzweiflung, wird kriminalisiert; Polarisierung, Populismus, Aggression und Hass nehmen zu. Auf der Strecke bleiben die sachliche Auseinandersetzung mit den Problemen sowie angemessene Lösungen.“
Das ist eine in wenigen Sätzen sehr interessante Aussage. Denn Allgemeinplätze wie Hitze und Dürre heranzuführen, ohne konkrete Beispiele zu nennen, ist eben weder eine „sachliche Auseinandersetzung“, noch kann man angesichts solch einer Prämisse eine „angemessene Lösung“ finden. Überschwemmungen wie jene im Ahr-Tal oder in der Emilia-Romagna wurden von interessierten Kreisen als Auswirkungen des Klimawandels politisch instrumentalisiert. Die wissenschaftliche Einordnung sieht da deutlich komplizierter aus. Auf ähnliche Weise suggeriert man dieses Jahr eine Hitzewelle, obwohl sich diese eher mau ausnimmt.
Ebenso interessant ist eine beinahe jesuitisch zu benennende Aneinanderreihung, die als Verdrehung erscheint. Denn einerseits kritisieren die Appellanten die Verschleppung all jener berüchtigten „Wenden“, Protest dagegen würde kriminalisiert; Polarisierung, Populismus, Aggression und Hass nähmen zu. Wie ist eine solche Aneinanderreihung zu verstehen? Woraus entstehen Hass und Populismus? Weil Protest kriminalisiert wird? Weil die Wenden „verschleppt“ werden? Oder ist es vielmehr nicht so, dass der Widerstand gerade daraus erwächst, weil all dies eben nicht verschleppt, sondern durchgepeitscht wird, weil die Politik den „Protest“ eben nicht kriminalisiert, sondern verschläft?
Man versucht professionell und verstehend zu wirken, ist aber innerhalb eines eigenen Absatzes nicht fähig, kausale Zusammenhänge zu benennen oder zu verstehen, weil sie dem Narrativ widersprechen. In Wirklichkeit werden abweichende Meinungen als Hass diffamiert, die eigene Meinung zur Letzten Generation als Faktum suggeriert, und Sabotageangriffe auf das öffentliche Leben als „Protest aus Ungeduld und Verzweiflung“ umgedeutet. Wer nicht solidarisch mit diesen unverstandenen Kindern ist, muss ein hasserfüllter Mensch sein. Der Zweck heiligt die Mittel. Die Diffamierung anderer Meinungen könnte ebenso effektiv sein wie in der Corona-Zeit.
Man könnte den Appell für ein irrelevantes Zeugnis halten, stünde dahinter nicht ein so einflussreicher Verband wie die Caritas sowie die Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten der deutschen Bistümer – und damit Repräsentanten der Amtskirche. Der dritte Initiator ist besonders spannend. Es handelt sich um die jesuitische Ukama, einem Zentrum für „Sozial-Ökologische Transformation“. Das letzte Mal, als die Jesuiten sozial-ökologisch auftraten, war das in Südamerika in den Jesuiten-Missionen, die durchaus besser waren als ihr Ruf; jedoch beruhten sie auf keinem bloßen Selbstzweck, sondern der Urbarmachung und der Evangelisierung der indianischen Völker.
Von Urbarmachung und Evangelisierung sticht hier allerdings wenig durch. Vielmehr drängt sich die Erinnerung auf, dass ein Jesuit sich den Klimaextremisten angeschlossen, und auch bei Aktionen mitgemacht hat – es handelt sich um den Pater Jörg Alt. Seit 2022 arbeitet Alt am Ukama-Zentrum in Nürnberg. Eben dort kam es zum Kontakt mit dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann. Alt vermittelte ein Gespräch mit der Letzten Generation. Mit diesem jesuitischen Trick wertete Alt die Extremisten auf und stellte – wie Kollege Klaus-Rüdiger Mai richtig analysiert – eine Falle für den CSUler.
Zu diesem Trick gehört es auch, eine viel größere Gefahr als den Klimaextremismus aufzubauen, nämlich einen diffusen „Populismus“. Wie dieser wirkt, und was er genau tut, bleibt geheim. Er muss jedoch sehr mächtig und einflussreich sein, wenn er sogar die Ampel-Bundesregierung sowie den klimatisch bewegten Massenstrom der Medien aushebeln kann. So ruft auch der Appell zum Kampf dagegen auf:
„Wir laden weitere katholische Verantwortungs- und Funktionsträger_innen ein, sich diesem Appell anzuschließen, um dem zunehmenden Populismus Einhalt zu gebieten und die nötige Transformation hin zur Klimaneutralität zeitnah und effektiv umzusetzen.“
Dabei stellt sich die Frage: Wie will man zunehmendem Populismus über einen Appell Einhalt gebieten? Ging es nicht eben um sachliche Lösungen? Offenbar ist Ignatius von Loyola, der sein Schwert abgelegt hatte, wieder aus dem geistlichen ins weltliche Leben zurückgekehrt. Der politische Kampf motiviert die Kirche mehr als der geistliche. Man könnte annehmen, dass es auf die Liste der Unterzeichner nur die üblichen Verdächtigen geschafft hätten. Bezeichnend ist jedoch, dass nicht nur Bätzing, sondern auch der Kölner Erzbischof Rainer Woelki ganz oben steht. Dagegen fehlt (bisher) Kardinal Reinhard Marx.
Eigentlich verwunderlich, gelten doch der „konservative“ und der „reformerische“ Flügel in Deutschland als zerstritten. Was die beiden Prälaten eint, ist vor allem die Ablenkung von internen Problemen – und nur so ist die gesamte Aktion zu verstehen. Bätzing fällt nicht nur der missglückte Synodale Weg auf die Füße, sondern auch der Fall des Regens und Bischofsvikars Christof May. Der war nach einem persönlichen Gespräch mit Bätzing verschwunden. Später fand man heraus, dass er sich das Leben genommen hatte. Auf Woelki lasten dagegen die Skandale im Zusammenhang mit Missbrauch und Vertuschung im eigenen Bistum, deren (vorerst) letzter Akt eine Durchsuchung durch die Staatsanwaltschaft war.
Folgerichtig ist es Woelki, der auf den Appell noch eins draufsetzt: Denn mit Klima+Kirche hat das Erzbistum Köln ein eigenes Projekt ins Leben gerufen, um noch einmal zu zeigen, wer jetzt den klimagesellschaftlichen Hammer schwingt. „Das Erzbistum Köln hat das Thema Klima- und Umweltschutz lange vernachlässigt, aber wir holen mit großem Tempo auf. Unser Ziel ist, bis 2030 klimaneutral und schöpfungsfreundlich zu sein und dafür müssen alle Christinnen und Christen in unserer Kirche mitmachen“, sagt der Umweltbeauftragte des Erzbistums, Christian Weingarten.
Es sind Bilder aus einer Kirche, die endgültig Politik und Gesellschaft über den eigentlichen Auftrag gestellt hat. Mit dem Anspruch, die Kirche müsse „auch“ politisch sein, begründet man nun, weshalb man sich primär auf das weltliche Evangelium, statt auf die Evangelisierung konzentriert – neuerlich mit den Jesuiten an der Spitze, aber ohne Missionsauftrag. Hauptsache, man bleibt im Gespräch und mischt sich ein. Nach den vor kurzem veröffentlichten desaströsen Austrittszahlen hat man in den Bistümern wohl ganz klar analysiert, dass es die bisher mangelnde Klimapolitik war, die die Gläubigen vertreibt. Vielleicht besteht aber auch schlicht die Lust, den Austrittsrekord bereits im nächsten Jahr einzustellen. Wenigstens etwas, wo die Una Sancta dann vorne liegt.