Tichys Einblick
"Absolute Killervariante"

Karl Lauterbach riskiert mit seinen Medienspielen Leben

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat vor der "absoluten Killervariante" des Corona-Virus gewarnt. Dafür erntet er Kritik von Virologen. Eine Studie der Charité belegt, dass das Medienspiel Lauterbachs für manche Menschen höchst gefährlich ist.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach

IMAGO / Gottfried Czepluch

Der Ostersonntag war endlich wieder so, wie er sein sollte. Für Karl Lauterbach. Seit fast zwei Monaten stiehlt ihm dieser Krieg in der Ukraine schon die Show. Zu Anne Will wurden andere eingeladen und als er mal zu Lanz durfte, lief es auch nicht ausschließlich gut für ihn. Obendrein endete seine Impfpflicht-Taktik mit einem 0:3 durch einen Eigentor-Hattrick.

Doch am Ostersonntag war die Welt wieder in Ordnung für Lauterbach. Die Schlagzeilen gehörten wieder ihm. Allein Bild.de präsentierte auf der Startseite vier unterschiedliche Geschichten mit dem Medienminister. Eine davon war sogar der Aufmacher. Lauterbach warnt darin vor der „absoluten Killervariante“. So tödlich wie Delta, so ansteckend wie Omikron soll diese Variante sein. Angesichts der weiten Verbreitung könnte es eine solche Variante geben.

Virologen kritisierten das Vorgehen Lauterbachs. Hendrik Streeck warf ihm vor, er schüre Panik. Der Hamburger Professor Jonas Schmidt-Chanasit machte sich auf Twitter lustig über Lauterbach: Was das denn eigentlich seien? Absolute Killervarianten? Er habe dazu weder bei der Weltgesundheitsorganisation WHO noch bei den europäischen und amerikanischen Behörden ECDC und CDC etwas gefunden.

Sogar innerhalb der Ampelkoalition scheint die Geduld mit Lauterbachs Alarmismus allmählich an Grenzen zu kommen. Der stellvertretende Bundestagsfraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz, hält Lauterbachs „vage Prognosen“ für „wirklich wenig hilfreich“.

Lauterbachs schlagzeilenträchtige Warnung beruht einzig auf dem Wort „könnte“. Demnach droht ebenso tausenden Frankfurtern der Tod nach einem Absturz: Es könnte sein, dass ein Flugzeug beim Start vom Kurs abkommt. Es könnte sein, dass es voll beladen mit Kerosin abstürzt. Und es könnte sein, dass dadurch tausende Frankfurter den Tod finden. Es könnte sein. Aber es passiert nicht. Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr.

Dieser Alarmismus mag sich für Lauterbach in der für Politiker wichtigen Währung Aufmerksamkeit auszahlen. Doch der Preis ist hoch. Und andere müssen ihn tragen. Der Hamburger Rechtsmediziner Claas T. Buschmann und Professor Michael Tsokos von der Berliner Charité haben bereits im Mai 2020 eine Arbeit eingereicht. Darin haben sie das Phänomen des „Corona-Suizid“ untersucht. Bereits im Zeitraum vom 20. März bis zum 4. Mai 2020 hat es allein in Berlin acht Fälle gegeben, in denen die Angst vor den Folgen des Virus ein Auslöser für einen Selbstmord war.

In einem untersuchten Fall hatte sich ein 39-Jähriger vor eine U-Bahn geworfen. Er litt an einem grippalen Infekt, den er für eine Covid-19-Erkrankung hielt. Die Obduktion ergab, dass dies eine Fehleinschätzung war. Ein 23-Jähriger hatte durch die Pandemie seinen Arbeitsplatz verloren, sorgte sich um seine finanzielle Existenz und stürzte sich vom Dach eines elfgeschössigen Hauses, obwohl die Zusage für eine neue Stelle schon zu ihm unterwegs war. Ein 37-Jähriger erhängte sich, nachdem er erfuhr, dass seine Ärztin ihn nicht auf Covid untersucht hatte – obwohl sie ihm versichert hat, er sei nicht infiziert oder erkrankt.

Veränderte gesellschaftliche Umstände hätten immer das Potential, psychische Symptome zu verursachen oder vorhandene Erkrankungen zu verstärken. Unter den untersuchten Fällen hatte die Mehrzahl Vorerkrankungen wie Depressionen. Die Fachliteratur spreche in solchen Fällen von „geringer Ungewissheitstoleranz“. Schon im Mai 2020 kamen Buschmann und Tsokos zur Erkenntnis: „Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie 2020 besteht eine mediale Omnipräsenz des Themas mit teilweise apokalyptischer Überzeichnung“. Apokalyptische Überzeichnung. Oder was alles passieren „könnte“, wenn es nur Lauterbach die Schlagzeile bringt.

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Grundsätzlich ist solcher Alarmismus gefährlich, wie Buschmann und Tsokos schon im Mai 2020 festgehalten haben: „Dadurch kann das Gefühl einer in fast jedem Fall tödlichen Erkrankung und der gesundheitsschädlichen Bedrohung weiter Teile der Bevölkerung erzeugt werden.“ Für empfindliche Menschen, besonders für welche mit psychiatrichen Vorerkrankungen sei dieses „Triggern“ gefährlich: „Unter Umständen können die Folgen fatal sein, worauf die hier referierten Fälle hinweisen.“

Suizid ist laut Tsokos und Buschmann die am häufigsten vorkommende, durch Gewalt verursachte Todesart. Statistisch gesehen sterbe allein in Deutschland jede Stunde ein Mensch durch Selbsttötung. Die Medien berichten über dieses Thema zurückhaltend, da der „Werther-Effekt“ erwiesen ist. Demnach nimmt die Wahrscheinlichkeit eines Suizides zu, wenn die Menschen – auch allgemeine – Informationen zu dem Thema sammeln.

Was treibt Lauterbach an? Außer dem Wunsch nach der Schlagzeile: Es geht um Impfstoff. Wie die „absolute Killervariante“ aussehen wird, stehe zwar noch nicht fest, sagt er. Und den Impfstoff gegen die neuen Varianten werde es auch erst im September geben. Doch gegenüber der Bild am Sonntag gibt sich Lauterbach sicher: „Unser Ziel ist, möglichst genug Impfstoff für jeden Bürger zu haben, egal, welche Variante kommt.“

Neben dem Scheitern der Impfpflicht steht Lauterbach in der Kritik, weil er zu viele Impfdosen eingekauft hat, diese jetzt ablaufen und weggeworfen werden müssen. Doch bis Ende Juni würden das „höchstens vier Millionen Dosen“ sein. Vorausgesetzt sei aber, dass sich genug Deutsche eine vierte Impfung geben lassen wollen. Vielleicht passiert das ja. Es könnte zumindest sein.


Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können. Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – Beispielsweise bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.

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