Tichys Einblick
Ausgebrannte Kanzlerschaft Olaf Scholz’

Der „Kampf gegen Rechts“ ist das letzte Gefecht der SPD

Olaf Scholz’ Kanzlerschaft ist so ermüdet wie die von Helmut Kohl und Angela Merkel nach 16 Jahren. Aber Scholz ist die letzte Kugel der SPD. Die verlässt sich daher in ihrer inhaltlichen Verzweiflung auf den „Kampf gegen Rechts“.

IMAGO

Joe Weingarten trägt auf Facebook eine Jacke mit Kunstfell am Kragen und eine Mütze mit dem Logo von Heckler und Koch. Wie ein Fanboy. Nur das Heckler und Koch kein Football-Team ist, sondern eine große Waffenschmiede. Der SPD-Bundestagsabgeordnete grinst in die Kamera. Ein wenig verschmitzt, ein wenig verträumt. Dazu hält er den Unterbau einer Pistole in der Hand, beinahe liebevoll. Solche Fotos tauchen sonst auf, nachdem sich der nette Junge von nebenan als Amokläufer entpuppt hat. Für einen PR-Berater ist das Foto das, was ein einstürzender Neubau für einen Architekten ist.

Doch das Foto Weingartens ist mehr als nur missglückt. Es sagt viel über die SPD 2024 aus. Der rheinland-pfälzische Abgeordnete hat schon jedes Stadion durchlaufen, das die Partei in diesen Tagen ausmacht. Zuerst hat er als Parteisoldat und Spitzenbeamter Geld und Karriere im rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerium gemacht. Dann kandidierte er für den Bundestag. Zwischenzeitlich bezeichnete er kriminelle Einwanderer als „Gesindel“. Im Landesverband der Parteilinken Malu Dreyer fiel Weingarten dafür in Ungnade. Doch er arbeitete sich zurück, rückte in den Bundestag für Andrea Nahles nach, als die aus der (direkten) Politik ausstieg.

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Dem Wirtschaftsexperten Weingarten blieb aber die Wunde, dass daher gelaufene Geisteswissenschaftler ihn in der Partei immer wieder von der Seite anmachten. Zum einen geben daher gelaufene Geisteswissenschaftler in der SPD 2024 den Ton an. Zum anderen ist Weingarten in der SPD Kurt Becks großgeworden. Die stand tatsächlich noch für Nestwärme. Für eine Partei, die wie eine Familie war. Im guten wie im schlechten Sinn. Im Bundestag versuchte sich Weingarten gegenüber seiner Familienpartei zu rehabilitieren, indem er nun im Kampf gegen den Erzfeind der Geisteswissenschaftler hervortat: die AfD. Hier zeigte Weingarten dann wieder seine Schwäche, dass er sich in Sachen Bildern nicht mäßigen kann. Auch nicht in Sprachbildern.

Weingarten ist ein Einzelschicksal. Aber es sagt auch viel über die SPD 2024 aus. Zu Willy Brandts Zeiten ein Foto veröffentlichen, in dem ein Sozialdemokrat verträumt eine Waffe streichelt? Die Mütze eines Rüstungsproduzenten auf dem Kopf? Undenkbar. In Zeiten der Zeitenwende will zumindest der Seeheimer Kreis in der SPD, zu dem Weingarten gehört, Agnes-Marie Strack-Zimmermann und Roderich Kiesewetter nicht das Feld überlassen, wenn es darum geht, den Hardliner gegen Wladimir Putin zu spielen. Auch wenn das kaum gelingt. In dieser Verzweiflung kommt es dann halt zu einem Foto mit „Heckler und Koch“-Fanmütze.

Der linke Flügel der SPD schweigt sich beharrlich zum Krieg in der Ukraine aus. Ralf Stegner vertritt ihn noch in Talkshows. Aber der in Schleswig-Holstein gescheiterte Abgeordnete würde jede Chance nutzen, vor die Kamera zu kommen. Der linke Flügel der SPD orientiert sich schon seit gut zehn Jahren an den Grünen. Die sind umgeschwenkt zu Kriegsunterstützern. Also machen das die einstigen Pazifisten in der SPD nach – selbst wenn sie nicht so recht verstehen, warum.

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Doch Verstehen ist ohnehin nicht die Königsdisziplin eines jungen SPD-Mitglieds. Zumindest nicht dann, wenn es ein Studium der Geisteswissenschaft angefangen hat, um einen der zahlreichen Jobs zu bekommen, über deren Vergabe die Partei entscheidet: in den Parlamenten, Behörden, Ministerien, Gewerkschaften, NGOs, Krankenkassen, Medien … Wer in der Parteihierarchie und deren Arbeitswelt steigen will, muss dienen und schweigen. Plakate aufhängen, an Ständen stehen und neuerdings „gegen Rechts“ demonstrieren. Der Wissenschaftliche Mitarbeiter hat zu sagen, was der Abgeordnete sagt. Der Abgeordnete hat zu sagen, was der Minister sagt. Der Minister hat zu sagen, was der Kanzler sagt. Wer das Jahrzehnte durchgehalten hat, wird selbst Kanzler – und kann dann nichts damit anfangen, was sagen und entscheiden zu dürfen. Die Kanzlerschaft von Olaf Scholz wäre damit zu Ende erzählt.

Was aber kommt nach einer Kanzlerschaft, in der ein Sozialdemokrat den Leuten gebietet zu schweigen, denn er wisse schon, was er tue? Dann tut er aber meistens gar nichts. Und wenn er aktiv wird, scheitert er wie der PR-Berater, der seinem Chef eine Pistole in die Hand drückt und eine „Heckler und Koch“-Mütze auf den Kopf setzt. Scholz weist die schlechtesten Anerkennungswerte aller Bundeskanzler auf. Und viel schlimmer: Unter seiner Führung sprechen die beiden wichtigsten Minister offen darüber, dass die deutsche Wirtschaft „nicht mehr wettbewerbsfähig“ sei und Scholz lässt das so stehen. Nach nur zwei und einem Viertel Jahr wirkt seine Kanzlerschaft erschöpfter als die von Helmut Kohl und Angela Merkel (beide CDU) nach jeweils 16 Jahren.

Was kommt nach Olaf Scholz für die SPD? Die Partei hatte schon vor ihm keinen Plan. 2019 hat die Basis ihn wie Stegner als Kandidaten für den Parteivorsatz abgelehnt. Damals sprachen führende Sozialdemokraten darüber, dass die SPD 2021 besser gar keinen Kanzlerkandidaten aufstellen solle – so aussichtslos schien das Unterfangen. Parteivorsitzende wurde Saskia Esken. Über ihr Unvermögen lassen sich Dutzende von Artikeln schreiben. Aber 2020 war sie hellsichtig. Sie hat erkannt, dass die Deutschen träge und feige geworden sind und sich in der Mehrheit eine Verlängerung von Merkels Kanzlerschaft wünschen. Und dass Olaf Scholz als Vizekanzler eher der Kandidat war, der für diese Kanzlerschaft stehen wird, als der jeweilige Kandidat der Union. Wer diesen Plan 2020 lobte, musste sich viel Spott anhören, so unrealistisch schien der. Das (vorläufige) Ende ist bekannt.

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Aber was folgt auf dieses Ende? Was? Olaf Scholz ist die letzte Kugel der SPD. Deswegen klammert sich die Partei verzweifelt ans Kanzleramt. Sie weiß, dass sie da vielleicht nie wieder hineinkommt. Auch deswegen ist sie bereit, auf den „Kampf gegen Rechts“ als Strategie zu setzen. Unter Federführung der Wahlverliererin Nancy Faeser. Die Juristin und Innenministerin ist daher im „Kampf gegen Rechts“ bereit, einstige Werte wie Anstand oder Rechtsstaatlichkeit aufzugeben. Für die SPD zählt nur noch der Machterhalt.

Der „Kampf gegen Rechts“ ist das ideale Mittel für die Parteisoldaten der SPD. Haushalt? So viele Zahlen, so kompliziert, widersprechen die sich doch so oft. Die Wirtschaft? Komplett verstaatlichen und dann von staatlichen Experten führen lassen. Wie von dem mit der „Heckler und Koch“-Mütze. Wird schon irgendwie klappen, auch wenn man selbst nicht so genau versteht wie. Aber „Kampf gegen Rechts“ ist super. Da muss man nur pünktlich zur Demo kommen und skandieren, was sich jemand anderes erdacht hat. Wie als Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Abgeordneten. Wie als Abgeordneter beim Minister. Und wie als Minister beim Kanzler.

Nur: Die Menschen finden keine neuen Wohnungen mehr. Falls doch, können sie die Mieten nicht zahlen. Ebenso wenig wie den Strom oder die Lebensmittel im Supermarkt. Wenn sie fleißig arbeiten gehen, lässt ihnen der Staat davon kaum etwas übrig und verteilt es dafür unter den Leuten, die gar nicht arbeiten gehen. Den Weg zur Arbeit mit dem Auto verbaut die Politik ihnen. Sie sollen Busse und Bahnen nehmen. Die fahren zwar nicht oft und nicht regelmäßig genug. Aber die Politik arbeitet daran. In knapp 40 Jahren steht der Deutschlandtakt. Voraussichtlich. Die Geisteswissenschaftler in der SPD und den Medien glauben, von all dem mit dem „Kampf gegen Rechts“ ablenken zu können. Doch schon nach wenigen Wochen geht ihnen die Luft aus.

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In ihren guten Zeiten hat die SPD die Arbeiter und die Aufsteiger erreicht. Sie hat sich darum gesorgt, den Wohlstand zu mehren und die aufzufangen, die durchs Gitter fallen. Sie hat die Menschen erreicht, die hart arbeiten und sich, aber vor allem ihren Kindern, einen eigenen Wohlstand aufbauen wollen. Heute verschreckt die SPD diese Zielgruppe. Das Wirtschaftsinstitut IFO hat jüngst Zahlen veröffentlicht, nach denen es netto kaum einen Unterschied von 100 Euro ausmacht, ob man 3.000 oder 5.000 Euro brutto verdient. Wer mehr arbeitet, wer besser arbeitet, der erwirtschaftet den Wohlstand, der im Bürgergeld verfrühstückt wird – er selbst und seine Kinder gehen leer aus. Warum sollte er die Partei wählen, die für diese Politik steht?

Wer mit Basismitgliedern der SPD spricht, bekommt einen Satz zu hören: „Es gibt ja kaum noch Arbeiter.“ Zum einen stimmt das nicht. Zum anderen sind Arbeitnehmer in der exakt gleichen Situation wie Arbeiter. Doch das dringt zu den besagten Basismitgliedern nicht durch. Es ist ohnehin intellektuell enorm frustrierend, sich mit SPD-Mitgliedern zu unterhalten. Viele von ihnen sind wie Sprechpuppen, die auf drei Sätze programmiert wurden, die sie nun gnadenlos wiederholen. Früher oder später endet das Gespräch darin damit, dass der „Kampf gegen Rechts“ wichtig sei. Haltung. Die ist für Parteisoldaten bequemer als eigenes Denken.

Die SPD 2024 hat viel von der SPD 1914. Sie stellt den Krieg über alles. Auch über die, die sie gewählt haben. Im Kriegsdeutschland arbeiteten die Arbeiter unter Bedingungen, die längst überwunden schienen – wenn sie nicht eh auf dem Feld verbluteten. Über fünf Jahre haben sich die Sozialdemokraten in einen Rausch hineingeredet, fürs Vaterland Grundsätze aufgeben bereit zu sein. Das endete damit, dass ihr „Bluthund“ Gustav Noske auf die eigene Klientel schießen ließ. Die SPD hetzte auf ihre Arbeiter Milizen, die nach diesen Einsätzen die Mörder von Walter Rathenau und Matthias Erzberger wie später den Kern von SS und SA stellten. Heute erklärt Bluthund Faeser den Rechten den Krieg. Wobei die Hardlinerin im Staatsfernsehen selbst erzählt, dass sie schon die Mitte für anschlussfähig für Rechtsextremismus hält.

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Geschichte wiederholt sich nicht. Der Vergleich ist bestenfalls strukturell aussagekräftig. Geschichte wiederholt sich auch deshalb nicht, weil den Bürgern in der Wiederholung die alten Erfahrungen präsent sind. Die Arbeiter sind 1914 von der SPD weggelaufen, haben die Waffe in die Hand genommen und gegen ihre einstige Partei gekämpft. Die Arbeiter 2024 – sorry Arbeitnehmer – sind von der SPD weggeschlichen. Nach und nach. 2013 bedeuteten 25,7 Prozent noch eine herbe Niederlage für die SPD. 2021 waren 25,7 Prozent ein Riesenerfolg. Von Ergebnissen über 40 Prozent, wie sie noch 1998 möglich waren, ist die SPD weit entfernt. Deutlich unter 20 Prozent ist 2025 für die SPD durchaus realistisch.

Die SPD ist eine Machtmaschine. Sie ist stark darin, Jobs zu vergeben. Das hält die Partei zusammen. Im Bund und in ihren Hochburgen Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Mechlenburg-Vorpommern, Brandenburg und Rheinland-Pfalz. In Ländern wie Bayern und Baden-Württemberg, in denen die SPD schon lange weit von der Macht entfernt ist, droht der Partei mittlerweile sogar die Fünf-Prozent-Hürde. Es ist demnach auch die Jobelite der SPD, die für die Partei ins letzte Gefecht „gegen Rechts“ zieht. All diese Karrieristen aus den Parlamenten, Behörden, Medien, Verbänden, Gewerkschaften und NGO.

Der OERR-Blog hat auf Twitter eine wertvolle journalistische Arbeit vollbracht. Der Account hat einen Missstand bei den Staatsmedien aufgedeckt, die eigentlich für journalistische Arbeit zuständig wären. Über 90 mal haben ARD und ZDF in ihren Berichten über Demos „gegen Rechts“ Teilnehmer interviewt, die sich dank OERR-Blog als Funktionsträger herausstellten. Der Schluss lag nahe, dass ARD und ZDF gezielt Etikettenschwindel betrieben, um ihre linke Agenda zu vertreten. Möglich. Vielleicht sogar wahrscheinlich. Aber es gibt noch einen anderen möglichen Schluss: Auf den Demonstrationen gegen Rechts gehen einfach nur Leute mit, die ihre Jobs direkt oder indirekt dem Parteienkartell zu verdanken haben. Allem voran der SPD.

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Damit bleiben der SPD zwei Machtstrategien: Unter Faesers Führung hebelt sie unter dem Vorwand „Kampf gegen Rechts“ Demokratie und Rechtsstaat aus, um sich selbst an die Macht zu binden. Oder die SPD baut den Staat so weit aus, dass eine Mehrheit der Wähler der Parteienallianz ihren Job verdankt. Dafür muss nur die Wirtschaft implodieren, der Öffentliche Dienst aufgestockt werden, zur Not mit enormer Staatsverschuldung. An allen drei Punkten arbeitet Scholz‘ Bundesregierung.

Wir haben an Wohlstand verloren und wir werden weiter an Wohlstand verlieren. Diese Aussage stammt von Scholz‘ Finanzminister Christian Lindner (FDP). Der Kanzler widerspricht nicht. Der Kanzler wird nicht dagegen aktiv. Er lässt’s laufen. Die arbeiten, müssen damit leben, dass die Löhne nicht so stark steigen wie die Preise für Strom, Mieten und Lebensmittel. Die nicht abeiten, denen gewährt der letzte SPD-Kanzler eine Erhöhung der Bezüge um 25 Prozent innerhalb eines Jahres. Sie sollen keinen Kaufkraftverlust durch die Inflation erleiden. Arbeiter – sorry Arbeitnehmer – und Aufsteiger, die SPD wählen, bestrafen sich selbst. Immer weniger sind so dumm.

Damit bleiben der SPD als Wähler die Geisteswissenschaftler und Parteisoldaten, die Aufsteiger im öffentlichen Dienst und NGOs, Gewerkschaften, Verbänden und so weiter. Ein Land so zu gestalten, dass diese Klientel zur Mehrheit wird, ist ein grotesker Versuch. Ein Land, in dem diese Klientel die Mehrheit hat, ist dysfunktional. Beides ist kein Grund, sich sicher zu sein, dass die SPD es nicht trotzdem versuchen wird. Die Partei hat in ihrer Geschichte schon bewiesen, dass sie zu Amokläufen bereit ist. Und die ersten Abgeordneten streicheln schon wieder öffentlich Waffen.


Transparenzhinweis: In 2020 war der Autor Mitarbeiter im Büro Joe Weingarten

 

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