Tichys Einblick
Globalisierung

Kampf gegen Armut

Die weltweite Ausbreitung von wirtschaftlicher Freiheit und Kaptalismus hat in den letzten 35 Jahren fast eine Milliarde Menschen aus Armut befreit. Von Norbert F. Tofall

An elderly woman picks out discarded grocery items from a recycling bin behind a supermarket on October 6, 2016 in Berlin, Germany. The number of elderly people below the poverty line has been steadily increasing in Germany over the last decade and many experts warn that a growing percentage of people will be unable to live solely from their retirement pensions.

© Sean Gallup/Getty Images

Ungleichheit ist etwas anderes als Armut. Und oft wird der Kampf gegen Armut gerade dadurch verhindert, dass der Kampf gegen materielle Ungleichheit ausgerufen und quasi religiös überhöht wird. Selbstverständlich ist jeder Christ zur Armutsbekämpfung verpflichtet (Caritas). Eine Pflicht zur Bekämpfung von Ungleichheit besteht für ihn jedoch nicht und erst recht nicht, wenn der Kampf gegen Ungleichheit die Armutsbekämpfung behindert oder sogar verhindert.

Vielfach unter den Teppich gekehrt wird heute, dass der Kampf gegen Ungleichheit in China durch den sogenannten „Großen Sprung nach vorn“ zwischen 1958 und 1962 die größte Hungerkatastrophe der Weltgeschichte erzeugt hat. Mindestens 45 Millionen Menschen von damals 650 Millionen Chinesen verhungerten elendig. Und auch im real existierenden Sozialismus des Ostblocks ist durch den Kampf gegen Ungleichheit keine Wohlstandsgesellschaft entstanden, sondern die Verarmung der Massen.

Hingegen sind durch die weltweite Ausbreitung von wirtschaftlicher Freiheit und Kaptalismus in den letzten 35 Jahren annähernd eine Milliarde Menschen aus Armut befreit worden. Die vielgescholtene Globalisierung ist damit das erfolgreichste Armutsbekämpfungsprogramm der Geschichte. Wirtschaftliche Freiheit – und das ist nichts anderes als Kapitalismus, auch wenn man diesen in Deutschland lieber etwas verschämt Marktwirtschaft nennt – ist aber immer mit materieller Ungleichheit verbunden.

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Wenn sich der eine Sohn eines reichen Mannes entscheidet, als Künstler zu leben und Bilder zu malen (Produzentensouveränität), die sich aufgrund der Konsumentensouveränität anderer Menschen (Freiheit etwas zu kaufen oder eben nicht zu kaufen) einfach nicht verkaufen wollen, der andere Sohn dieses reichen Mannes aber Güter und Dienstleistungen anbietet, die von vielen Menschen gewünscht und gekauft werden, dann sind die wirtschaftlichen Folgen der beiden freien Entscheidungen der Brüder ungleich.

Natürlich geht auch die Globalisierung der letzten 35 Jahre mit Ungleichheit einher, jedoch in anderer Form, als heute vielfach behauptet wird. Die einschlägigen ökonometrischen Studien im Blick stellt der Bonner Soziologe Erich Weede fest, dass die plausibelste Zusammenfassung lautet:

„In vielen großen Volkswirtschaften, einschließlich der USA und China, hat die Ungleichheit im Lande zugenommen, aber die Ungleichheit zwischen den (nach Bevölkerungszahl gewichteten) Ländern hat eindeutig abgenommen, so dass es per Saldo zu einer leichten Abnahme der Ungleichheit unter den Menschen gekommen ist. Ganz eindeutig ist die Reduktion der Ungleichheit, wenn man nicht das Einkommen, sondern die Überlebenschancen der Menschen betrachtet. Nie waren die Überlebenschancen so egalitär verteilt wie heute. Denn die Entwicklungsländer profitieren gleich doppelt von der Existenz fortgeschrittener und reicher Länder. Erstens können sie von dort Technologien übernehmen und dort kaufkräftige Märkte finden, was das Wachstum beschleunigt. Zweitens profitieren sie von dem in reichen Ländern erreichten medizinischen Fortschritt, der auf asiatischem Einkommensniveau heute ein längeres Leben ermöglicht als in der europäischen Geschichte auf dem gleichen Niveau. Nicht nur die armen Länder profitieren vom wirtschaftlichen Erfolg der reichen Länder, sondern umgekehrt profitieren auch die reichen Ländern jetzt vom stürmischen Wachstum in China und anderer Schwellenländer.“

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Diese Einsichten werden in den politischen Debatten der westlichen Demokratien gerne unterschlagen. Denn es müsste zugegeben werden, dass eine grundsätzliche Interessenharmonie zwischen armen und reichen Ländern besteht. Anti-Globalisierung und Anti-Kapitalismus, wie sie in den letzten Jahren vermehrt von rechten und linken Bewegungen vertreten werden, erweisen sich angesichts dieser Ergebnisse als die durch moralisierende Scheinbegründungen verdeckten Besitzstandswahrungsinteressen einzelner Gruppen, die dem internationalen Wettbewerb durch die Durchsetzung von Sonderinteressen ausweichen wollen.

Besonders deutlich wird dies in einem kürzlich von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung verbreiteten Beitrag „Bekämpfung der Ungleichheit“, der das Thema Armutsbekämpfung ignoriert, dafür jedoch auf pure Besitzstandswahrung von Sonderinteressengruppen und den Ausbau der nationalen Staatstätigkeit hinausläuft. Zentrales Argument dieses Beitrags ist die Behauptung, dass in Deutschland seit Jahrzehnten die Ungleichheit zugenommen habe und dass alles auf eine weitere Verschärfung hindeute.

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Die zunehmende Ungleichheit bedrohe die sozialen, aber auch ökonomischen Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Erforderlich sei ein mutiges umfassendes Konzept zur Bekämpfung von Ungleichheit. Das „neue, alte Megathema“ Ungleichheit könne nur bewältigt werden, wenn in jedem Politikbereich eine Prüfung erfolge, ob die Maßnahmen dort geeignet sind, gesellschaftliche Ungleichheit zu reduzieren. Diese zielgenaue Prüfung müsse fest verankert werden, weil sich nur so verhindern lasse, dass die Ungleichheitsbekämpfung auf der Strecke bleibe, weil sich einzelne Politikbereiche nicht für zuständig hielten. Mit Berufung auf den britischen Verteilungsforscher Anthony Atkinson wird betont, dass die Bekämpfung der Ungleichheit keine exklusive Aufgabe der Lohnpolitik oder der Steuerpolitik, der Sozialpolitik oder der Bildungspolitik sei, sondern sich in all diesen Politikbereichen abspiele. Gefordert sei daher ein umfassendes Gesamtkonzept, das die Bekämpfung der Ungleichheit als langfristige Querschnittsaufgabe aller Politikbereiche begreife und die Entstehungsfaktoren von Ungleichheit auf allen Ebenen einbeziehe. Eine solche Politik erhöhe nicht einfach nur den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer, nein, sie würde mit den Markteinkommen beginnen, ende dort aber noch lange nicht.

Um eine gute Beschäftigungs- und Lohnpolitik zu ermöglichen, müsse die funktionale Einkommensverteilung – die Verteilung des Volkseinkommens auf Arbeits- und Kapitaleinkommen – mittels der Wettbewerbspolitik, der Stärkung der Gewerkschaften, der Festsetzung von Mindestlöhnen, aber auch durch Leitlinien für die Entlohnung im hohen Einkommensbereich stärker als bisher beeinflusst werden. Eine Beschäftigungsgarantie zum Mindestlohn für Arbeitslose im öffentlichen Sektor müsse zum politischen Ziel erhoben werden.

Erforderlich sei aber auch eine gleichmäßigere Verteilung der Kapitaleinkommen. Kleinanlegern solle ein positiver Realzins garantiert werden. Alle Erwachsenen sollten mit einem Mindestkapital ausgestattet werden. Der Staat solle über einen Sozialkapitalfonds Anteile am gesamtwirtschaftlichen Produktivvermögen halten und ausbauen.

Begleitet werden müssten diese Maßnahmen von einer Steuerpolitik, die auf eine deutlich progressivere Einkommenssteuer setze. Zugleich solle die Erbschafts- und Schenkungssteuer auf sämtliche zugeflossenen Erträge entrichtet werden. Über eine allgemeine Vermögenssteuer und über die Mindestbesteuerung von Unternehmen müsse nachgedacht werden.

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Wie gesagt, Ausgangspunkt für die Legitimierung dieses interventionistischen, staatlichen Zwangsinstrumentariums zur Steuerung der Gesellschaft, ist die Behauptung, dass die Ungleichheit in Deutschland über Jahrzehnte gewachsen sei und alles auf eine weitere Verschärfung hinweise. Bei derart ambitionierten politischen Programmen zur Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit hätte man indes zumindest eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Studie „Faktencheck Gerechtigkeit und Verteilung: eine empirische Überprüfung wichtiger Stereotype“ des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft erwartet, die zu ganz anderen Ergebnissen gelangt. Die Klärung dieser Frage scheint den Autoren jedoch weniger wichtig zu sein. Denn offensichtlich ist die Frage der Ungleichheit als Vehikel besonders geeignet, um in demokratischen Prozessen die Sonderinteressen einzelner gesellschaftlicher Gruppen durchzusetzen.

Leider gerät dadurch vollkommen aus dem Blick, dass Armut zu bekämpfen ist und zwar weltweit und nicht Ungleichheit. Und unterdrückt werden soll wohl die Erkenntnis, dass Kapitalismus und Globalisierung die erfolgreichsten Armutsbekämpfungsprogramme der Geschichte sind.

Der Beitrag ist ursprünglich als Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute in Köln veröffentlicht worden: www.fvs-ri.com

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