Tichys Einblick
Kampf gegen die AfD

„Es ist die Realität, Dummkopf“

Die Kampagne gegen die AfD war für die Parteien und ihre Medien ein Erfolg. Erstmal. Doch nachhaltig wird der nicht sein. Dafür sorgt schon der Endgegner der Parteien: die Realität.

IMAGO / Emmanuele Contini

Ein legendäres Schild hing im Büro von Bill Clinton, als der 1992 für die amerikanische Präsidentschaft kandidierte: „It’s the economy, Stupid.“ Das Schild sollte ihn daran erinnern, was im Wahlkampf das Gewinnerthema sein sollte: „Es ist die Wirtschaft, Dummkopf.“ Alle redeten 1992 über Außenpolitik. Amtsinhaber George Bush Senior hatte gerade den Kalten Krieg und den Golfkrieg gewonnen. Wäre es um Außenpolitik gegangen, hätte Clinton keine Chance gehabt. Also schwor er sich auf die Wirtschaft ein.

Die Parteien in Deutschland erwarten für die vier großen Wahlen in diesem Jahr schlechte Ergebnisse. Die Ampel taumelt wie ein Boxer kurz vorm K.O. durch den Ring, die Linke löst sich quasi auf und die Union kann von der Schwäche der anderen nicht profitieren. Da lag es nahe, einen medialen Befreiungsschlag zu versuchen. Mit der zweifelhaften Correctiv-Recherche und den sich anschließenden Demos gegen die AfD ist das auch erstmal gelungen. 900.000 verkündete Teilnehmer und mediale Dauerberieselung – so haben die Parteien im Schulterschluss mit ARD, ZDF, Süddeutsche und Co das Thema Kampf gegen die AfD erstmal gesetzt.

Nur. Das trägt nicht. Es ist zweifelhaft, ob sich die Kampagne kurzfristig auf den Konten der Parteien einzahlt. Sicher aber ist, dass diese Kampagne keinen langen Atem haben wird. Denn diese Kampagne trifft ziemlich bald auf einen Endgegner: die Realität. Aktuell können Hörer und Zuschauer keinen öffentlich-rechtlichen Sender einschalten, ohne mit dem „Kampf gegen die AfD“ dauerberieselt zu werden. Wie lange wollen ARD und ZDF das durchhalten? Vier Wochen lang jeden Tag so tun, als ob der Kampf gegen die AfD das wichtigste Thema für die Zuhörer und Zuschauer sein? Vier Monate? Vier Jahre?

Die Verantwortlichen in ARD und ZDF sind mittlerweile derart abgehoben, dass sie es tatsächlich versuchen könnten. Zumal die nächste Gebührenerhöhung nicht von den Zuschauern abhängt, sondern von den Parteien in den Landtagen. Die Politiker sind faktisch die Geldgeber von WDR, Deutschlandfunk und Co. beziehungsweise die Entscheider übers Geld. Doch es ist die Realität, die in ihrer Kampagne nicht mitspielt. Zuhörer und Zuschauer lassen sich nicht jeden Tag sagen, die AfD sei ihr größtes Problem. Denn die Realität sagt ihnen immer wieder etwas anderes. Die Parteien sind zwar gut in Symbolpolitik und darin, ihre Fußtruppen auf die Straßen zu schicken. Doch sie sind schlecht darin, echte Probleme zu lösen. Deshalb bleiben diese Probleme Realität – und nehmen weiter an Dramatik zu.

Da sind für alle Kunden erstmal die Lebensmittelpreise. Mit der AfD haben die wenigsten in der Realität unter der Woche zu tun, mit den Preisen für Fleisch, Gemüse und Brot die meisten aber täglich. Die Preise sind im vergangenen Jahr im zweistelligen Prozentbereich gestiegen. Und was diskutieren die Parteien? Landwirtschaftsminister Cem Özdemir will neue Steuern auf Fleisch und auf Zucker einführen. Zum einen, weil der Grüne die Bürger erziehen will. Zum anderen, weil die Ampel mit dem Geld des Steuerzahlers nicht umgehen kann und Löcher in ihrem Haushalt stopfen muss.

Mit Folgen in der Realität der Bürger. Weltweit kühlt die Inflation ab. Auch weil die Leitbanken der USA und der EU die Zinsen wieder erhöht haben. Doch in Deutschland kühlte die Preissteigerung im vergangenen Jahr bereits langsamer ab als im Schnitt der Eurozone. Die Ampel hat das Ihre getan, diesen Trend mit weiteren Erhöhungen von Steuern und Abgaben anzuheizen: LKW-Maut, CO2-Steuer, Mehrwertsteuer in der Gastronomie, Plastiksteuer, Agrardiesel für Landwirte oder Kassenbeiträge.

Außer für Lebensmittel spüren die Bürger die hohen Preise vor allem auf der Stromrechnung. Berichte von Fällen mehren sich, in denen Mieter mittlerweile mehr für den Strom zahlen als für die Wohnung selber. Die Ampel feiert, dass die Bürger den Verbrauch runtergefahren haben. Dass dahinter oft genug Menschen stecken, die an Strom und Wärme sparen müssen, ignorieren sie in der Abgehobenheit der Berliner Blase.

Die hohen Strompreise spüren nicht nur die privaten Verbraucher in ihrer Realität. Sondern vor allem die Unternehmer. Die Ampel feiert sich dafür, dass sie 2023 ihre Klimaschutzziele erreicht hat. Doch oft genug stehen dahinter Unternehmen, die wegen der Strompreise ihre Produktion gedrosselt oder ganz eingestellt haben. Das schlägt sich in der Leistungsbilanz nieder. In den anderen Industriestaaten wächst die Wirtschaft – in Deutschland schrumpft sie.

Schrumpfende Wirtschaft ist anfangs etwas Theoretisches. Doch sie spiegelt sich bald auch in der Realität wider. Die Arbeitslosigkeit ist im vergangenen Jahr um über 150.000 Betroffene gestiegen. Im Schnitt sind 2,6 Millionen Menschen bis zu einem Jahr lang arbeitslos. 3,9 Millionen Menschen sind es länger und erhalten dann Bürgergeld. 3,9 Millionen erwerbsfähige Empfänger von Bürgergeld sind es wohlgemerkt. Kinder und Kranke nicht mitgezählt. In einem Land, in dem „Arbeitskräftemangel“ herrscht. Wie stärkt die Ampel die Wirtschaft in der Situation? Finanzminister Christian Lindner (FDP) zieht Geld aus Renten- und Krankenkasse heraus, um seinen verfassungswidrigen Haushalt zu retten – und schmälert somit die Chancen der deutschen Wirtschaft weiter.

Deren Chef-Lobbyist hat sich nun zu Wort gemeldet. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hat der Ampel eine Strafpredigt gehalten. Um die hohen Steuern und Energiepreise ging es darin nicht einmal so sehr. Sondern um die Verwaltung. Die Ampel erzählt fast jeden Tag, sie wolle die Bürokratie abbauen – tut aber dann das Gegenteil. Immer mehr Berichtspflichten für die Wirtschaft, beklagt Dulger. Immer mehr Auflagen, immer mehr Detailregelungen machten den Unternehmen das Leben schwer.

Es ist aber nicht nur die Wirtschaft, die dank Ampel eine ausufernde Bürokratie in ihrer Realität erlebt. Den Bürgern geht es ebenso. Etwa durch den Heizungshammer von „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne). Der schreibt dem Bürger nicht nur vor, wann er welche Heizung in sein privates Haus einzubauen hat. Der Heizungshammmer drückt dem Bürger auch eine Beraterpflicht auf. Die grüne Klientel der oft prekären, freien Energieberater freut sich, bei ihnen bricht der Wohlstand aus. Bezahlen muss dieser Wohlstand der Bürger. Mit Geld. Aber auch mit Zeit und Nerven, die ihn die Pflichtberatung kosten.

Der Haushalt hat im November die Ampel in die Defensive gebracht, aus der sie sich derzeit mit dem Kampf gegen die AfD rausarbeiten will. Doch der Haushalt wird sich wieder in die Realität der Politik einmischen. Der Ampel bröselt die Infrastruktur weg. In Form von maroden Schienen, Straßen und Brücken. Der Netzempfang ist weltweit nur drittklassig. Investieren tun Firmen nur noch, wenn die Ampel Millionen und Milliarden an Subventionen dazulegen. Und das grüne Lieblingsprojekt, die „Energiewende“ kostet über die Jahre fast eine Billion Euro. Geld, von dem Lindner und die Ampel derzeit nicht wissen, wo sie es hernehmen sollen. Das gilt in wenigen Jahren auch für den Schuldendienst, die Rentenversicherung, die Kosten der Armee oder das Bürgergeld. Diese Kosten steigen bereits 2024 schon allein deshalb, weil die Ampel das Bürgergeld innerhalb eines Jahres um 25 Prozent erhöht hat.

Der Anstieg der Kosten durchs Bürgergeld hängt aber auch stark mit dem Thema zusammen, an dem die Ampel ihr Ablenkungsmanöver Kampf gegen die AfD festmachen: der Einwanderung. Kanzler Olaf Scholz (SPD) empört sich am lautesten über die Debatte einer losen Runde von Menschen ohne politische Verantwortung in Potsdam – zum Stichwort Remigration. Doch er selbst ist Regierungschef und hat vor wenigen Wochen gefordert, dass „im großen Stil“ abgeschoben wird. Aber das hat Scholz heute vergessen, darauf will er nicht mehr angesprochen werden.

Doch auch und gerade die Einwanderung wird sich vehement in der Realität zurückmelden. Es gibt ja gute Gründe, warum Scholz die Remigration „im großen Stil“ wollte. Diese Gründe sind Bürgermeister und Landräte, viele davon mit rotem Parteibuch. Sie haben 2023 immer wieder die Folgen der Rekordzuwanderung beim Namen benannt: übervolle Wohnheime, miese Lebensqualität in diesen Wohnheimen und in der Folge davon Gewaltausbrüche. Fehlende Kurse zur Integration – und oft genug auch fehlende Bereitschaft. Überfüllte Kitas und Schulen. Gegen die AfD kann die Ampel ihr Fußvolk vielleicht marschieren lassen, gegen überfüllte Wohnheime und Schulen, die mit der Integration überfordert sind, hilft das aber nicht.

Die Integration von Einwanderern läuft schief. Und das ist eine konkrete Folge der Ideologie, die Grüne und SPD in der Ampel vertreten – und gegen die sich die FDP nicht stellt. Ein Beispiel: 90 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge gehen in Polen arbeiten, in Dänemark sind es 80 Prozent – in Deutschland 18 Prozent. So sehr sich Grüne und SPD gegen die Realität wehren, dass ein derart hohes Bürgergeld wie in Deutschland zum Nichtstun verleitet – die ukrainischen Flüchtlinge beweisen zu 82 Prozent das Gegenteil.

ARD, ZDF und Süddeutsche mögen den Deutschen erzählen, die AfD sei ihr größtes Problem. Doch wenn Restaurants und Supermärkte die Preise erhöhen, die Miete nicht mehr bezahlbar oder erst gar keine Wohnung da ist, der Betrieb schließt oder abwandert, am 20. des Monats das Geld ausgeht, die Entscheidung zwischen neuer Hose, laufender Heizung oder etwas zu Essen auf dem Tisch ansteht oder wenn mehr Einwanderer in Container leben als Einwohner im Dorf.

Dann können die Parteien zwar erzählen, dass sie an den diversen Regierungen sind, aber die AfD die Folgen ihrer Politik zu verantworten habe. ARD, ZDF und Co können diese Botschaft auch weiterverbreiten. Sie können über Tage, Wochen, Monate und Jahre ihren Lesern, Zuhörern und Zuschauern erzählen, deren größtes Problem sei die AfD. Es werden ihnen halt immer weniger Menschen glauben. Selbst dann nicht, wenn die Parteien dieses eine ihrer Probleme erledigen und ein Verbot der AfD durchsetzen. An ihrem eigenen schlechten Ruf ändert das nichts. Im Gegenteil. Neue Parteien, die in den Startlöchern stehen, um gegebenenfalls die AfD zu beerben, gäbe es im Zweifelsfall genug: Freie Wähler, Bündnis Sahra Wagenknecht, Werteunion, Bündnis Deutschland …

Wollen die Parteien ihren Ruf reparieren, müssen sie an die Realität ran: niedrigere Steuern, Abgaben und Preise. Eine Bürokratie, die den Bürgern dient, statt jedes Engagement abzuwürgen. Eine Einwanderung, die kontrolliert ist. Die Fachkräfte anlockt, aber Faulenzer und Kriminelle fernhält. Damit sie all diese Ziele nicht aus den Augen verlieren, sollten es die Parteien so tun wie einst Bill Clinton und sich Schilder in ihren Büros aufhängen. Mit der Inschrift: „Es ist die Realität, Dummkopf.“

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