Im dreißigsten Jahr der Wiedervereinigung Deutschlands wird in den nächsten Wochen bis zum 3. Oktober noch öfter als sonst vom „Ende des Kalten Krieges“ oder auch der „Blockkonfrontation“ zwischen Ost und West die Rede sein. In einem Beitrag zur Schließung des legendären alliierten Sektorenübergangs „Checkpoint Charlie“ in der Friedrichstraße, wo sich im Oktober 1961 amerikanische und russische Panzer mit scharfer Munition gegenüberstanden, hieß es in einem Bericht im Morgenmagazin des Deutschlandfunk, dass mit dem Schlusszeremoniell im Juni 1990 „ein Symbol des Gegensatzes der Systeme“ für immer Vergangenheit sei. Wie seltsam technisch und inhaltsleer diese Bezeichnung doch klingt – ohne jeden Bezug zur damaligen Realität, die die Menschen durch das Grenzregime der DDR erleiden mussten. Warum wählt man Begriffe, die jederzeit völlig neutral auf andere Situationen in der Welt übertragbar sind? Stecken schlichtes Unwissen oder bloß Bequemlichkeit dahinter?
Der Gegensatz zwischen den Ideen der Freiheit und ihren Gegnern ist damit aber nicht überwunden. Immer wieder aufs Neue wird der Traum vom „Paradies aller Werktätigen“ geträumt. Angetrieben von einer ideologisierten Elite und ihren Jüngern wird die Selbstverwirklichung des Menschen in Gleichheit propagiert, der freilich noch durch die selbsternannte Elite erzogen werden muss. Da macht es sich nicht gut, an die bereits in der Geschichte grausam gescheiterten Experimente dieser Art zu erinnern. Da darf die DDR eben nicht mehr Unrechtsstaat genannt werden, wird mit den Stimmen der CDU ein bis heute die Mauer bejahendes SED-Kader in Mecklenburg-Vorpommern zur Verfassungsrichterin gewählt. Andererseits wird der Leiter der Stasi-Gedenkstätte in Hohenschönhausen – einem besonders widerwärtigen Ort der Stasi-Herrschaft – Hubertus Knabe durch eine schamlose Intrige in Stasi-Tradition aus dem Amt gesäubert – abgenickt von ganz oben. Ein leidenschaftlicher Demokrat, der vor unzähligen Schulklassen gegen das Vergessen des DDR-Unrechts kämpfte – geholfen hat ihm niemand.
Es macht Sinn, immer wieder an die Mahnung des Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zu erinnern: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht begreifen und die Zukunft nicht gestalten“. Gemessen daran ist es ernüchternd, wie wenig die heranwachsende Generation über den Charakter beider deutscher Diktaturen des 20. Jahrhunderts weiß. Doch solange selbst der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, wie in seiner Erklärung zum 30. Jahrestag des Mauerfalls geschehen, den Einheitsprozess als die Vereinigung zweier Systeme beschreibt, dürfte sich daran wenig ändern. Es bleibt zu hoffen, dass die weitere Geschichte für die Verirrungen unserer Zeit nicht eines Tages die Quittung präsentiert.