Tichys Einblick
EU-Fremdschämen

Junckers „Ischias“, und der Zwang zum Küssen

EU-Präsident Jean-Claude Juncker ist krank, offensichtlich schwer krank. Und er ist peinlich. Seine Küsserei, Tatscherei - alles nur Folge eines früheren Verkehrsunfalls?

JOE KLAMAR/AFP/Getty Images

Die Europäische Union (EU) taumelt derzeit genauso ungelenk wie ihr Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker. Ob bei den Brexit-Verhandlungen, der Flüchtlingskrise, oder dem Umgang mit den Abweichlern aus Ungarn, Österreich, Italien oder Polen, die EU wirkt konfus wie lange nicht mehr.

Zu allem Überfluss sorgt Jean-Claude Juncker als oberster Repräsentant für dermaßen peinliche Bilder und Auftritte, so dass man diese EU kaum mehr ernst nehmen kann. Zumal viele Beobachter der Meinung sind, alles drehe sich nur um die „Motoren“ Deutschland und Frankreich; und immerhin: Juncker war bei den Europawahlen Merkels Favorit; Spitzenkandidat der bürgerlichen Parteien, insbesondere der CDU. Seine Krankheit war zum Zeitpunkt der Nominierung bekannt. Sein Alkoholismus wurde als Ausschlußkriterium diskutiert. Merkel setzte ihn durch, weil er vorübergehend trocken wirkte und mit seinem weichen Deutsch Wähler zur Union lockte. Er gilt als der deutsche Präsident in Europa. Aber auch in Frankreich brodelt es unter Macron. Der Präsident machte den Gelbwesten teure Zugeständnisse, somit steigen die Steuerausgaben und der Haushalt über jedes Maß, das in den diversen Verträgen festgelegt ist. Wie möchten Jean-Claude Juncker oder Donald Tusk und Pierre Moscovici, der Kommissar für Wirtschaft und Finanzen, da die Italiener zur Räson bringen, das Defizit herunterzufahren? Juncker jedenfalls wird es nicht sein.

Matteo Salvini, so wird kolportiert, meinte ganz trocken, er würde nur mit „nüchternen“ Personen diskutieren, und zielte dabei auf Juncker. Geäußert in der Phase, als Italiens Regierung von Juncker und der EU massivst angegangen wurde. Und als Jean-Claude Juncker wieder verstärkt durch Ausfälle von sich reden machte. Physischer wie kognitiver Natur.

Taumelnd und torkelnd vom Dienstwagen zum roten Teppich. Wankend und schunkelnd wie eine Dschunke, stand Juncker auf dem Podium der jüngsten  Gipfeltreffen und Tagungen. Höhepunkt waren verschiedenfarbige Schuhe.

Viele Menschen kennen das Kreuz mit dem Kreuz, besonders, wenn die Hexe irgendwo hineinfährt. Der Hexenschuss, oder wenn der Ischias-Nerv brutal drückt.

Auch wenn starke Medikamente nur kurzzeitig helfen, aber so neben der Spur wie Juncker, dem studierten Juristen und Berufspolitiker, erlebte man Ischiasgeplagte noch nie. Im Gegenteil, die meisten nahmen eine Auszeit; Krankengymnastik und Reha standen auf dem Programm, eben so, wie es Zeit und Schmerzen diktieren.

Juncker, dessen Sprecher innerhalb der Kommission alle Alkohol-Gerüchte zu zerstreuen versuchen, will dagegen stets an vorderster Front dabei sein – wo Kameras und Mikrofone stehen und alles live einfangen. Juncker goes viral.

Ischias? Rotwein oder Gin? Alles zusammen? Vielleicht tut man dem gebürtigen Luxemburger auch Unrecht, denn er hatte vor über 20 Jahren einen schweren Autounfall – und, der Rücken und der Ischiasnerv wurde in Mitleidenschaft gezogen. Aber entschuldigt das Jahrzehnte später peinliche Auftritte? Und verführt Ischias dazu, Frauen anzumachen, und zwar in einer solch peinlichen Form, dass man nicht einmal eine #metoo-Debatte braucht, um es einfach unterirdisch, ungehörig, jedenfalls komplett daneben zu finden.

Oder mit Tippelschritten und schwankend auf Besucher zuzugehen? Es gibt natürlich noch andere gravierende Alterserkrankungen, doch wäre an dieser Stelle Aufklärung gut, um Spekulationen entgegenzutreten. Aber Politik ist keine Privatsache. Letztlich, so ein großes, dramatisches aber dennoch wichtiges Wort, letztlich geht es um Krieg und Frieden. Da darf die Bevölkerung schon wissen, in wessen Händen ihr Schicksal ruht. In anderen Staaten wird darüber offen diskutiert; stelle wir uns vor, Donald Trump träte auf wie Juncker. Unvorstellbare Erregung allenthalben. In Europa dagegen versuchen alle, einfach wegzuschauen. Man empfindet geradezu Mitleid mit Theresa May, wenn sie von Juncker belästigt wird.

Die jüngsten Szenen lösen nur noch Fremdschämen aus; lassen die europäischen Staatschef, die vielen Kommissare und hochbeförderten Privat-Sekretäre, Kabinettschef, kurz der gesamte Hofstaat dem EU-Patriarchen wirklich alles durchgehen?

Man stelle sich vor ein deutscher Politiker oder Donald Trump hätten auch nur annähernd so ein Verhalten an den Tag gelegt wie zuletzt Jean-Claude Juncker mit der Protokoll-Chefin Pernilla Sjölin. Einfach das Haar verwuscheln, ihr dann einen Kuss geben und öffentlich tätscheln? #Metoo lässt grüßen. Offenbar fliegt „Schonklod“ unter dem Radar von Feministinnen hindurch und all denen, die ansonsten bei der leisesten Form einer unerwünschten Übergriffigkeit laut und vernehmlich protestieren können.

Überhaupt glaubt der 65-jährige Luxemburger, sein kindisch-väterliches Auftreten mit der südländischen Patriarch-Attitüde des Umarmens, Tätschelns und Händchenhaltens (auch bei männlichen Kollegen) würde Vertrauen schaffen. Nein, dieses Verhalten suggeriert nur Zusammengehörigkeit, wo alles verloren und zerstört ist. Wo Abhängigkeiten geschaffen wurden.

Juncker versucht eine Art Kitt der EU zu sein. Alle, die zur EU und „Papa“ Juncker halten, werden sicher belohnt. Die einzigen, die dieses Schmuddelspiel nicht mitmachen wie die Italiener, Ungarn, Polen und Slowaken, werden schlecht gemacht, obwohl sie in ihren Ländern mit ihrer Politik „bella figura“ machen. Genauso die Österreicher. Sie emanzipieren sich von der EU. Und wieder hatte Juncker einen Ausfall, dieses Mal bei einem offiziellen Gala-Dinner.

Juncker musste gestützt werden. Abermals keine guten Bilder, die da transportiert wurden. Nach Ansicht des FPÖ-Generalsekretärs und EU-Abgeordneten Harald Vilimsky wäre es „mehr als hilfreich“, wenn Juncker noch vor der EU-Wahl im Mai 2019 „den Hut nähme“, wurde Vilimsky in zahlreichen Medien zitiert. Dass die EU durch Juncker noch zur „Lachnummer“ verkommt, äußern viele Politiker und Medienschaffende nicht nur in Brüssel und Straßburg.

Es spiegelt oft diese Ignoranz und Arroganz der Macht wieder, dass sich die etablierten Politiker und Parteien meinen vieles erlauben und über sehr vieles hinwegsetzen zu können. Nur die Wähler wenden sich eben angewidert ab – Protestparteien steigen auf.
Diese scheinen den Nerv der Zeit früh erkannt zu haben. Und der ist vielleicht noch nicht so gereizt, wie der Ischias von Juncker. Aber schmerzhaft allemal für die EU.


Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist. Seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.

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