Tichys Einblick
Verbale Kniebeuge vor der Kanzlerin

Journalismus mit dem Bauchpinsel

Vielen fehlt die Distanz zu den Mächtigen – genauer gesagt zu denen im eigenen Land (bei Trump scheut sich kaum einer vor massiver Kritik). Manche verhalten sich wie Glaubenskrieger und Ideologen, scheinen mehr erziehen zu wollen, als zu berichten.

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Im selbsternannten „besten Deutschland aller Zeiten“ geht der Journalismus merkwürdige Wege. In der Ausbildung wurde uns einst gelehrt, dass es eines der heiligen Prinzipien unseres Berufsstandes ist, Distanz zu halten. Gegenüber allen, und vor allem denjenigen, die Macht haben. Und sei es auch nur ein bisschen: Vom Gemeinderat bis zum Bundestagsabgeordneten, vom Bürgermeister bis zum Regierungschef.

Interviewtechnik war ein wichtiges Fach in meinem Volontariat 1995 bis 1997 bei der Augsburger Allgemeinen. Wer in den Trainings-Interviews, die auf Video aufgezeichnet wurden, nicht kritisch genug war und nicht nachhakte, bekam vor versammelter Runde den Kopf gewaschen. Unser Volontärsvater – der Ausbildungsleiter – verdrehte dann theatralisch gequält die Augen: „Du warst kein Journalist, sondern Stichwortgeber“ – das war eine Schmach, die man sich merkte. So ging es in Fleisch und Blut über, kritisch nachzuhaken. Auch wenn man sich später im Berufsleben damit oft nicht beliebt macht.

Mein Volontärsvater von damals ist längst aus dem Journalismus ausgeschieden. Wie übrigens sehr viele Kollegen, die es sehr ernst nahmen mit dem Berufsethos. Bei den durch den wirtschaftlichen Niedergang erzwungenen Entlassungswellen wurden tendenziell eher diejenigen aussortiert, die kritisch und unbequem waren, oder es gar wagten, der Chefredaktion zu widersprechen. Kritisches Hinterfragen ist im eigenen Haus nicht immer erwünscht.

Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie mein Volontärsvater die Augen verdrehen würde, sollte er dieser Tage einen Text in der ZEIT lesen, der offiziell als Interview mit Angela Merkel vorgestellt wurde (exklusiv für ZEIT-Abonnenten). Schon die Vorgeschichte dieses Textes hat es in sich.

Die Autorin, Jana Hensel, hatte im Oktober für das gleiche Blatt eine Eloge auf die Bundeskanzlerin verfasst, die eher an Lobeshymnen für Herrscher in autoritären Staaten als an kritischen Journalismus erinnerte. Überschrift: „Mein Angela-Merkel-Gefühl. Plötzlich wird der Abschied von der Kanzlerin real. Für unsere Autorin ist das eine Zäsur, auch im eigenen Leben.“ Weiter heißt es unter anderem: „Auch deshalb gebe ich gern zu, dass ich vor diesem Tag, also vor dem Tag, an dem Angela Merkel ihren Rücktritt ankündigen würde, immer ein wenig Angst hatte. Selbst wenn er in den vergangenen Wochen beharrlich näher zu kommen schien. Manchmal war diese Angst kleiner, in anderen Momenten war sie größer. Aber ohne Angela Merkel wäre dieses Land nicht zu meinem geworden, ohne sie hätte ich darin als Frau, als Ostdeutsche keinen Platz gefunden. Oder anders gesagt: mich wahrscheinlich sehr viel unsicherer gefühlt.“

Oder: „Ihre Entscheidung, nicht noch einmal für den Vorsitz der CDU zu kandidieren und auch das Amt der Bundeskanzlerin nach dem Ende der Legislatur niederzulegen, hat Angela Merkel mit jener Größe und Würde verkündet, die ich vermissen werde. Für mich ist ihre Kanzlerschaft eine große, wichtige Zeit gewesen, die mich geprägt hat, mich sicher noch lange beschäftigen wird.“ In dem Text schimmert ein Hauch vom „Neuen Deutschland“ durch.

Später feierte die gleiche Autorin in der ZEIT die Entlassung von Hubertus Knabe, einem der wichtigsten Aufklärer des DDR-Unrechts sowie der Verbrechen der Stasi und heute einer der lautesten Kritiker der „Linken“ (die nach eigenem Bekenntnis „rechtsidentisch“ mit der SED ist). Der Rausschmiss Knabes, der in vielem an die Methoden der Organisationen erinnerte, über die er forschte, sei eine Chance für einen „lässigerer Blick“ auf die DDR, heißt es in dem Bericht – ausgerechnet in der ZEIT, die schon zu DDR-Zeiten viel Gutes in der Diktatur dort fand. Klar habe es damals Unrecht gegeben – aber man dürfe doch auch nicht alles schwarzsehen, so der Tenor des Stückes. Wenigstens enthält es kein Lob für Autobahnen.

Im Kanzleramt scheinen die beiden Werke auf Gefallen gestoßen zu sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass Angela Merkel der Autorin jetzt die Gunst einer ihrer seltenen Interview-Einladungen gewährte. Auf Twitter verkündete Hensel das Stück wie folgt:

„Ich habe mit der Bundeskanzlerin gesprochen. Mal so von Frau zu Frau, mal so von Ostdeutscher zu Ostdeutscher.“ Da würde mein alter Volontärsvater wohl fast in Ohnmacht fallen. „Einfach mal so“? „Von Frau zu Frau“? Schon anhand dieser zwei Zeilen drängt sich der Verdacht auf, das „Interview“ werde sich möglicherweise eher als Plauderei mit ehrfürchtiger Stichwort-Gebung entpuppen.

Der Text beginnt denn auch in Manier einer Schülerzeitung mit kaum verhohlener Faszination für die Macht – einer Art verbaler Kniebeuge: „Die Wachleute an der Pforte des Kanzleramts sind freundlich, der Chef der Presseabteilung geleitet den Fotografen Dominik Butzmann und ZEIT-Mitarbeiterin Jana Hensel mit dem Fahrstuhl in den siebten Stock, Regierungssprecher Steffen Seibert kommt hinzu, und beinahe auf die Sekunde genau zum vereinbarten Termin darf man ins Büro der Bundeskanzlerin eintreten. Angela Merkel wirkt konzentriert und ruhig, vielleicht ein wenig angespannt.“

So lesen sich Audienz-Protokolle. Es kommt noch schlimmer. Schon bei den ersten drei Fragen sehe ich förmlich, wie mein Volontärsvater mit den Augen rollt:

ZEIT: Frau Bundeskanzlerin, als Sie verkündet hatten, sich vom CDU-Vorsitz zurückzuziehen, habe ich in der ZEIT einen sehr persönlichen Abschiedstext geschrieben – auch darüber, wie wichtig Ihre Kanzlerschaft gerade für viele ostdeutsche Frauen ist. Mögen Sie es, aus ostdeutscher Perspektive betrachtet zu werden?

ZEIT: Sind Ihre ostdeutschen Wurzeln Ihnen wichtig?

ZEIT: Ich war nach dem Erscheinen meines Textes überrascht, wie viele Frauen mir geschrieben haben, denen Sie wichtig sind. Ist Ihnen klar, dass viele Frauen in unserem Land eine besonders emotionale Beziehung zu Ihnen aufgebaut haben?

Es wird dann leider kaum besser im Text. Rund vierzig Fragen. Und keine wirklich kritische. Schlimmer noch: Als die Autorin einmal Kritik an Merkel anspricht, wertet sie diese sofort selbst ab:

ZEIT: Das Paradoxe ist, dass sich die Wut der Ostdeutschen stark an Ihrer Person entzündet.

Oder

ZEIT: Wussten Sie damals, dass Sie Teile der ostdeutschen Gesellschaft mit der Entscheidung, die Grenzen nicht zu schließen, überfordern könnten?

Alexander Will, Nachrichtenchef der Nordwest-Zeitung in Oldenburg, kommentiert das „Interview“ auf Twitter mit Galgenhumor: „Lesenswerter Text – wenn man Volontären im ersten Jahr den Unterschied zwischen „Interview“ und „Stichwortgeben“ erklären will als Beispiel für Letzteres.“

Doch bei weitem nicht alle Journalisten sehen das so kritisch. Einige wirken regelrecht begeistert über diesen Journalismus mit dem Bauchpinsel.

Natürlich ist es legitim, auch in einem Gespräch mit einer Regierungschefin das Persönliche in den Vordergrund zu stellen. Grundlegendes anzusprechen. Nicht das politische Tagesgeschäft in den Mittelpunkt zu rücken. Wenn aber ganz auf kritische Töne verzichtet wird, wenn an deren Stelle das Zuspielen von wohlfeilen Stichworten tritt, dann ist das ein Rollentausch vom Journalismus zur Hofberichterstattung, wie man sie sonst eher aus autoritären Systemen kennt.

Noch erschreckender als das Interview selbst ist, dass es zahlreichen Journalisten-Kollegen gefällt. Offenbar ist bei einigen der journalistische Kompass derart verstellt, dass sie gar nicht mehr merken, wie massiv und häufig inzwischen die Grundsätze des eigenen Metiers verletzt werden. Dass etwa vielen die Distanz zu den Mächtigen fehlt – genauer gesagt zu denen im eigenen Land (bei Trump scheut sich kaum einer vor massiver Kritik). Dass sich manche verhalten wie Glaubenskrieger und Ideologen, mehr zu erziehen scheinen als zu berichten.

Aber nicht nur vor Kritik an der Bundesregierung schrecken viele zurück. Der Medienforscher Matthias Kepplinger beklagte unlängst hier, dass Journalisten auch nicht bereit sind, sich gegenseitig zu kritisieren. Bei einer Befragung von 130 Journalisten und 160 Wissenschaftlern zur Notwendigkeit namentlicher Kritik in der Tagespresse am fachlichen Fehlverhalten von Kollegen waren laut Kepplinger nur ein Prozent der Journalisten und 37 Prozent der Wissenschaftler für eine namentliche Kritik an dem Kollegen.

Wer Kommentare wie diesen hier schreibt ist für viele ein „Nestbeschmutzer“. Dabei ist es gerade dieses Wegsehen, das den Journalismus massiv beschädigt. Weil so viele dessen Grundsätze verraten, untergraben sie Legitimität des eigenen Berufsstandes und gefährden damit längerfristig nicht nur die eigene Existenzgrundlage, sondern auch Freiheit und Demokratie.

Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer: Viele Kollegen sehen die Entwicklung ihres Berufsstandes durchaus selbstkritisch. Das ist nur nicht so bekannt, weil es weniger diejenigen sind, die im Fernsehen oder in bundesweiten Medien sowie auf twitter lautstark den Ton angeben. Wer zur Selbstreflexion tendiert, neigt eher zu leiseren Tönen. Und wird oft überhört. Die Nachdenklichen im Journalismus müssen lauter werden. Und Nicht-Journalisten müssen ihr Gehör spitzen. Jeder kann Weichen stellen, und sei es nur im Kleinen: Etwa mit einem Abonnement einer Regionalzeitung. Viele von denen sind regelrechte Trotzburgen des guten Journalismus.

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