“Lassen Sie mich Ihnen etwas zeigen. Das hier ist die Make-Up-Palette, die Amber über ihre gesamte Beziehung mit Johnny Depp in ihrer Handtasche getragen hat. Sie ist eine Schauspielerin, glauben Sie tatsächlich, sie wäre ohne Make Up vor die Tür gegangen? Glauben Sie, sie hätte gewollt, dass jemand die blauen Flecken und Schnitte in ihrem Gesicht sehen kann? Das hier hat sie benutzt. Sie werden in ihrer Aussage hören, wie Amber Heard die unterschiedlichen Farben mischen musste, für die unterschiedlichen Stadien der Hämatome“, erklärt die Anwältin Elaine Bredehoft, der Jury zugewandt, in ihrem Eröffnungsplädoyer. In ihrer Hand hält sie eine kleine Make-Up-Palette von Milani Cosmetics.
Die Hollywood-Schauspieler Johnny Depp und Amber Heard standen sich vor Gericht gegenüber, denn sie hatten sich gegenseitig verklagt. Amber Heard hat jahrelang behauptet, sie sei von ihrem Ex-Mann misshandelt worden. Johnny Depp streitet dies ab und verklagt sie wegen Diffamierung. Ihre Vorwürfe, die sie zuerst 2016 vorbrachte, kamen genau zur richtigen Zeit: #metoo war zu dieser Zeit auf seinem Höhepunkt, alle Veranstalter von #metoo oder #timesup Events, wollten sie dabei haben. Amber Heard, die zu diesem Zeitpunkt erst eine wirklich signifikante Rolle hatte, wurde plötzlich zu einem viel gefragten Star, der auf sämtlichen roten Teppichen zu bewundern war.
Wenn man eine Bewegung startet, die speziell auf sexuellen Missbrauch und Gewalt gegen Frauen in der Filmbranche abzielt, wer ist da besser geeignet als die Frau, die von niemand geringerem als Johnny Depp misshandelt wurde? Die Medien feierten sie auf der ganzen Welt. In der britischen Zeitung The Sun erschien ein Artikel, der sich an J.K. Rowling richtete. Ob sie wirklich wolle, dass ein Frauenschläger in ihrem Film mitspielte, fragt der Autor. Kurze Zeit darauf verlor Depp die Rolle. Der Prozess ist mehr gewesen als ein Medienrummel – er zeigt wie selten zuvor eindrücklich, zu welchen Kollateralschaden die MeToo-Bewegung führte.
Aus dem Scheidungsprozess ging Amber 7 Millionen Dollar reicher hervor. Nun, sie hätte es einfach dabei belassen und mit ihren Millionen in den Sonnenuntergang reiten können – und gut ist. Doch endlich Ruhm und Ehre zu erlangen, hat sie offenbar unvorsichtig gemacht. Öffentlich gab die #metoo-Ikone bekannt, sie würde all das Geld spenden, um anderen Frauen in ähnlichen Situationen zu helfen. 2018 schrieb sie dann einen Meinungsartikel in der Washington Post: „Ich habe mich gegen sexuelle Gewalt ausgesprochen – und musste mich dem Zorn unserer Kultur stellen. Das muss sich ändern.“ Sechs Tage nach dem Artikel feuerte auch Disney Johnny Depp aus dem eigentlich geplanten sechsten Teil von Fluch der Karibik. Heard hat zwar nicht namentlich Depp genannt, doch wen hätte sie sonst meinen sollen?
„Die öffentliche Hinrichtung einer Frau“
Ich habe mich nie wirklich für Johnny Depp interessiert, allgemein nicht für Klatschgeschichten. Als ich vor Jahren irgendwann mal am Rande mitbekommen habe, dass er seine Frau geschlagen hat – denn den Konjunktiv gab es in diesen Meldungen nicht –, war ich enttäuscht. Noch so ein Hollywood-Typ, der sich die Birne weggesoffen hat, schade um das Talent. Damit war die Geschichte für mich vorbei. Als nun vor kurzem der Prozess anlief, habe ich mir trotzdem die stundenlangen Übertragungen angeschaut, weil ich neugierig war.
Wann hat man schon mal die Möglichkeit, im Gericht dabei zu sein? Ich hab mal in einem Amtsgericht gesessen, aber da waren die Verhandlungen ganz schnell vorbei, nachdem die Richterin gebrüllt hat: „Haben Sie ihm nun in die Fresse geschlagen oder nicht?“ Solche hochkarätigen Prozesse wie eine millionenschwere Diffamierungsklage kriegt man als Babyjuristin normalerweise nicht mit.
Ich hatte also eine relativ neutrale Einstellung, mit Tendenz gegen Johnny Depp. Trotzdem bin ich jetzt überzeugt, dass er unschuldig ist. Die Fakten stehen meiner Meinung nach eindeutig auf seiner Seite. Erstens sind die Verletzungen von Johnny Depp eindeutig schwerwiegender. Er hat in Folge eines Angriffs, in dem Amber ihn mit Whiskeyflaschen beworfen haben soll, einen Teil seines Fingers verloren, der nur durch eine Operation wiederhergestellt werden konnte. Heard behauptet, er hätte sich diese Verletzung selbst zugefügt. In einer Audioaufnahme gibt sie aber zumindest zu, dass sie ihn schon mit Gegenständen wie Flaschen beworfen hat, und auch, dass sie ihn geschlagen hat. Das bringt mich zum nächsten Punkt: Audioaufnahmen. Das Paar hat während seiner Ehe viele Streitgespräche aufgenommen, wohl als Teil einer Paartherapie. So ist auch der Ausschnitt entstanden, den ich vorhin ansprach. Beide wussten zu dem Zeitpunkt, dass sie aufgenommen werden. Die Art wie Amber hier trotzdem mit ihm spricht, lässt nur vermuten, wozu sie fähig wäre, wenn keiner zuhört.
Stattdessen führt sie aus, dass die Audiodatei, eine der wichtigsten Beweisstücke im Gerichtsprozess für Johnny Depp, aus dem Kontext gerissen sei. „Depps Fans, Männerrechtsaktivisten und fehlgeleitete Feminist:innen waren wild auf diese Aufnahme.“ In dieser Aufnahme hört man Amber Heard, wie sie in triumphierender Stimme Depp auffordert: „Los, mach doch, sag der Welt: Ich, Johnny Depp, ein Mann, bin Opfer von häuslicher Gewalt. Und dann sieh, wer dir glauben wird.“ Aber sicher, wenn man nach solchen Sätzen an Amber als Unschuldslämmchen zweifelt, muss man fehlgeleitet sein. Und nachdem das Gericht im Wesentlichen für Johnny Depp und gegen Amber Heard entschied, titelte der Spiegel „Sie glaubten dem Mann“.
Vor Gericht werden nur Teile der Audioaufnahmen vorgespielt und zwar nicht aus dem Kontext gerissen. Die kompletten Versionen sind weit über eine Stunde lang – und übrigens zum großen Teil in voller Länge auf YouTube verfügbar. Ich habe mir die meisten angehört. Und ich kam immer noch nicht umhin, Amber als den Aggressor auszumachen. In einer Aufnahme beginnt sie mit ihm einen Streit, weil sie sich darüber aufregt, dass er in Auseinandersetzungen immer wegläuft – sich in andere Zimmer einsperrt und so weiter. „Du läufst immer weg und ich bin die einzige, die für diese Beziehung kämpft“, schreit sie. Nach welcher verqueren Logik sollte das Opfer von häuslicher Gewalt sich wünschen, dass ihr Peiniger in einem Streit mit ihr kämpft, statt sich in einem anderen Zimmer einzuschließen? Sie brüllt ihn in diesen Audios größtenteils an, er bleibt ruhig. Trotzdem hört man es nach der Hälfte plötzlich rascheln. „Was machst du da?“, fragt Johnny. „Ich gebe dir eine Beruhigungstablette“, antwortet Amber.
Später wird ihr Anwalt als Hauptargument anführen, dass Johnny Depp aufgrund von Tabletten-, Alkohol- und Drogenmissbrauch durchaus zu Gewalt in der Lage wäre.
Krokodilstränen, die nicht fließen wollen
Naja, und dann ist da noch das Verhalten vor Gericht. Wallendes blondes Haar, große blaue Augen, perfekt symmetrisches Gesicht, eine ausgeglichene Mischung aus eleganten Gesichtszügen und niedlichen Lächeln – ganz objektiv gesehen, ist Amber Heard eine wahre Schönheit. Doch wie sie dort im Gerichtssaal sitzt, mit hochgezogenen Augenbrauen und runtergezogenen Mundwinkeln, hat sie ihre Schönheit verloren. Anders als Johnny Depp, der die meiste Zeit nach unten starrt oder denjenigen anschaut, der gerade spricht, hat sie einen ganz anderen Fokus: die Kamera, die auf sie gerichtet ist. Sie blickt ganz tief hinein. Mehr noch, man hat das Gefühl, sie blickt hindurch, dem Zuschauer zu Hause auf der Coach direkt in die Augen. Und das hält sie lange durch, manchmal guckt sie sogar für eine halbe Stunde kaum irgendwo anders hin.
Eigentlich sollte man denken, dass sie darin geübt wäre, Gefühle glaubhaft vorzuspielen, sie ist schließlich Schauspielerin. Doch als Johnny Depp gerade schildert, wie er sich von ihr schlagen ließ, und sie anflehte, ihm nicht nachzulaufen, ihn nicht zu verfolgen, ihn doch bitte einfach in Ruhe zu lassen und sie dabei krampfhaft versucht, sich eine Träne abzudrücken – immer noch mit ununterbrochenem Blickkontakt mit der Kamera – da wird klar: Sie könnte nicht mal schauspielern, wenn ihr Leben davon abhinge. Weinende emotionale Menschen sind nicht starr im Gesicht. Sie durchlaufen unterschiedliche Stadien von Trauer, zittern mit der Unterlippe, zucken mit den Augenbrauen. Auch wenn sie versuchen, das Weinen zu unterdrücken, können sie ihr Gesicht nicht kontrollieren. Doch Amber sitzt da wie eine Statue, eingefangen in genau einer Emotion.
„Können wir aufhören, über die Muffins zu reden?“
Selbstverständlich tricksen beide Seiten, doch die Beweise, die Johnny Depp vorbringt, wirken wesentlich handfester – oder zumindest nicht ganz so aus der Luft gegriffen wie die von Ambers Seite. Auch wenn ihre Anwälte noch so oft mahnen, sie wollen nicht die wertvolle Zeit des Gerichts verschwenden, hat man doch mehr und mehr das Gefühl, dass sie genau das tun.
Da erheben sie mal Einspruch gegen die eigene Seite, mal verhören sie stundenlang einen Zeugen um auf einen komplett nebensächlichen Punkt zu kommen, der am Ende gar nichts ändert – und dann gibt es da noch die Geschichte mit den Muffins. Die Kreuzverhöre von Ambers Seite teilen sich eine Frau und ein Mann. Der Mann ist etwas erträglicher, die Frau, Elaine Bredehoft – naja, hat sich in diesem Prozess nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Ganz vorne weg: das Kreuzverhör mit der forensischen Psychologin Dr. Shannon Curry. Sie wurde von Johnny Depps Seite engagiert, um ein psychologisches Gutachten zu Amber Heard zu erstellen.
Eins müssen Sie verstehen: die Aussage von Dr. Shannon Curry ist eine der relevantesten in diesem Fall und auch die, die Amber Heard am meisten geschadet hat. Sie diagnostizierte bei Amber eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Curry ist der Traum eines jeden Anwaltes – solange er auf ihrer Seite ist: sie wirkt sympathisch, ist sehr attraktiv und kann sehr flüßig und verständlich ihre Erkenntnisse erklären. Man hört ihr gerne zu, denn sie strahlt eine Kompetenz aus, die mehr bewundernswert als einschüchternd ist. Sie nimmt sich die Zeit alles verständlich zu vermitteln ohne dabei von oben herab zu erklären. In Amerika mit Jury-System ein großer Gewinn.
Unabhängig von den Inhalten, hat man ihr gegenüber ein viel offeneresVerhältnis, ist gewillt, ihr zu glauben und zu vertrauen. Für den Anwalt der Gegenseite ist das natürlich verheerend. Wenn man so eine Person als Gegnerin im Gerichtssaal hat, gibt es im Grunde nur zwei Möglichkeiten: entweder man zerstört sie, oder man lässt sie so wenig reden wie möglich. Wenn es einem nicht möglich ist, die Sympathie und die Glaubwürdigkeit wieder einzureißen, dann sollte man sie am besten unter den Tisch fallen lassen. Nur eins sollte man nicht machen – ihr eine Plattform bieten, indem man sie immer weiter befragt und reden lässt.
Ambers Anwälte dachten wahrscheinlich, sie hätten sich für Variante 1 entschieden, die Zerstörung. Nach etwa einer Stunde Aussage, folge deshalb ein Kreuzverhör von über einer Stunde. Der zentrale Punkt, den die Anwältin ihr um die Ohren warf: Muffins. Um ihre Analyse zu Amber Heards Gemütszustand anfertigen zu können, musste sie Zeit mit ihr verbringen. Bei dem Termin mit ihr, haben sie Muffins gegessen. Amber meint sich erinnern zu können, dass Dr. Curry gesagt hat, ihr Mann hätte diese Muffins extra für Amber Heard gekauft. Die Anwältin will daraus irgendwas in der Richtung drehen, sie hätte die Schweigepflicht gebrochen und ihrem Mann erzählt, wer in ihre Praxis kommen würde, weil sie so aufgeregt war. Dr. Shannon Curry reagiert genervt: „Kann ich bitte endlich mal erklären was da passiert ist, damit wir aufhören über die Muffins zu reden?“
Tatsächlich war es laut der Psychologin so, dass sie oft Muffins mit in die Praxis nahm, an diesem Tag aber spät dran war, weshalb ihr Mann für sie die Muffins von der Bäckerei abgeholt hat. Wer jetzt Recht hat, kann man wahrscheinlich nicht mehr nachvollziehen – aber ist es nicht auch absolut irrelevant? Doch genau solche Manöver sind typisch für das Anwaltsteam von Ambers Seite. Sie versuchen glaubwürdige Sympathieträger zu zerstören, bringen aber leider nur Wasserpistolen mit und schießen sich damit selbst ins Bein. Jeder der sich das Spektakel von zu Hause aus anschaut ist damit gezwungen zu denken: Wenn Johnny Depp seine Frau wirklich über einen so langen Zeitraum schlimmsten erniedrigt und misshandelt haben sollte – musste dann nicht mehr gegen ihn vorzubringen sein, als dieser Kleinkram?
Der Preis für die Gerechtigkeit
Johnny Depp hat die richtige Entscheidung getroffen, als er die Welt auf die Jurybank dazu holte. Sonst wären Details wie das Veröffentlichungsdatum der Make-Up-Palette vielleicht gar nicht ans Licht gekommen, denn darauf machte Milani Cosmetics selbst auf Instagram aufmerksam.
Johnny Depp zahlt einen hohen Preis, in seinem Kampf gegen die Medien und die Vorverurteilung im Zuge von #metoo. In diesem Prozess sagte seine Schwester, über die Misshandlung aus, die Depp seine Geschwister und sein Vater durch seine Mutter erlitten haben. Seine finanzielle Lage wurde offengelegt, seine Krankenschwester sollte über seine Sucht sprechen, sein bester Freund wurde ins Kreuzverhör genommen – selbst die wenigen Details, die Johnny Depp in seinem öffentlichen Leben noch geheim halten konnte, sind nun vor der ganzen Welt breitgetreten. Das ist der Preis den man heute als Mann zahlen muss, wenn man Gerechtigkeit erlangen will. Dabei ist es ein Fluch und Segen für ihn, berühmt zu sein.
Ein Segen ist es aber, weil Depp die Möglichkeit hat, nicht aufzugeben. Seine Scheidungsanwältin Laura Wasser nimmt 750 Dollar die Stunde, wer weiß was ihn dieser Prozess kostet? Wäre er kein Promi, wäre sein Leben endgültig zerstört. Doch es ist noch nicht vorbei und nun wendet sich das Blatt. An den Reaktionen in den YouTube-Kommentaren erkennt man, dass diese Bewegung nun seinen Lauf nimmt.
Sicher, es gibt auch einige, die wie immer über die Stränge schlagen. Morddrohungen gegen Amber Heard sind genauso falsch, wie Morddrohungen gegen Johnny Depp. Doch man liest auch sehr viele, die sich ausgiebig mit dem Prozess beschäftigt und ihre Informationen selbst zusammengetragen haben, statt sie nur aus Klatschzeitungen zu ziehen. Als sie noch auf Zeitungen vertrauen mussten, waren sie auf der Seite von Amber. Jetzt bekommen wir alle nur die gleichen Informationen wie die Jury, überwacht durch eine Richterin und die Meinung hat sich gewandelt. Kein Wunder, dass sich die Frankfurter Rundschau so darüber aufregt. Sie kann ihr #metoo Weltbild nur solange aufrechterhalten, wie sie die Kontrolle hat.
Die Geschichte von Johnny Depp zeigt, welche gefährliche Macht die MeToo-Bewegung geschaffen hat. Eine Kultur der medialen Vorverurteilung gegen Männer wegen angeblicher Missbrauchsfälle – Karrieren werden zerstört und Menschen in den Abgrund getrieben, ohne davor zu klären, ob die Vorwürfe überhaupt stimmen. Es braucht dann schon die Reichweite eines Hollywood-Stars und viel Geld, um über Jahre diese Fälle zurück aufzurollen. Und es hat in jedem Fall etwas Gutes: Jetzt beginnt die notwendige Debatte über die Schäden, die die MeToo-Bewegung anrichtete und dass die Unschuldsvermutung einen guten Grund hat.