Tichys Einblick
Alles hat seine Zeit

Jogi Löw und das schleichende Ende einer Ära

Dieser Fußball scheint nach den letzten zwei Spielen fast verschüttet. Es war einmal der Weltmeister von 2014, lang scheint's her zu sein, als sich auch noch eine Kanzlerin gern im Glanze des Bundestrainers und der DFB-Elf spiegeln wollte.

Germany's coach Joachim Loew looks on during the UEFA Nations League football match between France and Germany at the Stade de France in Saint-Denis, near Paris on October 16, 2018

FRANCK FIFE/AFP/Getty Images

Man kann schon sagen, dass Bundestrainer Jogi Löw ein Influencer auch abseits des grünen Rasens (gewesen) ist. Stilvoll gekleidet, und ebenso über Gott und die Welt wie über Politik parlierend. Bundeskanzlerin Angela Merkel machte Politik mit dem DFB, und Löw Politik für sie – Merkel hatte stets freien Zugang zum Trainingslager und in die Kabine. Zur Zeit haben sie noch eines gemeinsam: den schleichenden Niedergang.

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Löw war nie wirklich aneckend, sondern angenehm für das aufgeklärte Bildungsbürgertum, dazu noch rund um Freiburg, das als bunt und gebildet gilt. In der Universitätsstadt hat Löw sein Stammcafè, wo er sitzen und seinen Espresso genießen, auch mal ein „Zigarettchen“ rauchen kann, ohne dass er ständig nach einem Selfie oder Autogrammen gefragt wird. Seit dem Misserfolg in Russland, von den No-Names von Südkorea gedemütigt, zieht sich „Bundes-Jogi“, einst ein nett gemeinter Kosename, in seine zweite Wahlheimat Berlin zurück. Noch größer, schöner und weiter, vor allem aber auch anonymer, sei die Hauptstadt.

Bitter war seine Stellungnahme nach dem 0:3 in Holland, vorgeführt wie selten. Noch bitterer die Schlagzeilen danach. Motiviert und sachlich die PK vor dem gestrigen Nation-Cup-Match gegen Frankreich, einem Wettbewerb, den Löw starkredete, den seine Spieler aber nicht wirklich verstehen (wollen), entweder so wie Stürmer Timo Werner (das System), oder wie Jürgen Klopp in Liverpool (ein unnötiger Wettbewerb).

Nun also das 1:2 in Paris gegen Weltmeister Frankreich, und wie der Kommentator schon tröstlich meinte, zwar eine Niederlage, aber „versenken“ müsse man das Team auch nicht. Unterm Strich stehen zwei Niederlagen, und das Tor nur durch einen Elfmeter erzielt.

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„Ich bin ein ästhetischer Trainer, der guten Fußball sehen will“, meinte Joachim Löw kurz vor der Weltmeisterschaft in Brasilien, die dem DFB den goldenen Weltcup und den vierten Stern bescherte. Doch mit dem ästhetischen Fußball war danach erst einmal Schluss. Schritt für Schritt bis heute, macht zusammengenommen: Rückschritt.

Der saubere Schnitt wurde verpasst, und es ist wie so oft, wenn Stars den Rücktritt auf dem Höhepunkt einfach sausen lassen. Was sollte denn noch besseres kommen?

Kapitän Philipp Lahm schlug den richtigen Weg ein, zum Privatier und Geschäftsmann, außerdem holten Lahm und seine Unterstützer jüngst die EM 2024 nach Deutschland. Rekordtorschütze Miroslav Klose und Per Mertesacker taten es Lahm gleich. Löw, Oliver Bierhoff, Hummels und Boateng oder Müller dagegen? Undenkbar, die Hybris, sich fit und überlegen zu fühlen, ließ sie weiter machen. Angst vor der Leere danach kann es wohl kaum sein. Ein Jogi Löw bekommt ständig Club-Angebote. Nur, muss sich das ein Weltmeistertrainer antun? Das tägliche „klein-klein“?

Auf der Höhe ihres Karrieregipfels meinten viele Experten und Beobachter, dass zumindest auch der Bundestrainer am Ziel aller Träume das Zepter übergeben würde. Nichts da, er sei noch hungrig, beschrieb sich der Freiburger selbst.

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Frankreich führte Deutschland nicht nur im Halbfinale der Europameisterschaft 2016 (die am Ende Portugal gewann), mit 2:0 vor. Hüftsteif kam die DFB-Elf bisher rüber. Und als würden Jogis Anweisungen und Trainingsübungen nimmer so recht ankommen.

Nun steht Jogi Löw da, wo er wohl nie hinwollte. Am Scheideweg selbst zu gehen oder „gegangen“ zu werden. Doch wer kündigt schon gern einem Weltmeister?

Es scheint, als setze Löw gerade tatsächlich das Sprichwort, „vom Stall zu den Sternen und zurück in den Stall“, in die Tat um.

Schließlich war sein Weg bisher eine wahre Traumkarriere. Jürgen Klinsmann holte Jogi Löw einst als seinen Assistenten ins Team, um am „Sommermärchen“ bei der WM 2006 zu basteln. Viel Zeit hatten sie nicht, und wurden dennoch Weltmeister der Herzen, auf dem dritten Platz zuhause.

Löw war davor schon Fußballprofi und wurde Trainer, nur kaum einer erinnerte sich seiner.

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Die sportliche Bilanz Löws, fasst Autor Bausenwein in einer gelungenen (und von Löw nicht autorisierten) Biografie zusammen, sei recht überschaubar gewesen: 52 Bundesligaspiele (als Spieler), sieben Tore, 252 Einsätze und 81 Tore in der 2. Liga für den SC Freiburg. Immerhin firmiert er bis heute als Rekordtorschütze der Breisgauer. Als junger Trainer des VfB Stuttgart holte Löw den DFB-Pokal gegen Energie Cottbus (2:0) und stand im Europapokal der Pokalsieger gegen Chelsea im Finale, das allerdings knapp verloren ging. Es folgten Stationen und Titel in Österreich (beim FC Tirol), sowie Aufenthalte in der Türkei. Aber eigentlich schien nicht mehr viel zu kommen, obwohl Löw innerhalb der schwäbischen „Trainerconnection“ schon als tiefgründiger Tüftler galt.

Das Projekt bis zum verdienten WM-Titel nahm seinen Anfang mit einem Treffen Klinsmanns und Löws in Como, kurzfristig und fernab neugieriger Journalisten, überzeugte Jürgen Klinsmann Jogi Löw von einem Engagement an seiner Seite.

Löw, so betonte Klinsmann immer, „sei alles andere als nur ein Hütchenaufsteller“, Jogi sei viel mehr ein Assistent auf Augenhöhe. Löw sei voll verantwortlich für die Trainingslehre und –ausführung. Das sollte sich bis zum Weltmeistertitel auch bewahrheiten, dass Löws Handschrift bereits von Beginn an erkennbar war.

Der Rest ist Geschichte, aber wir wollen hier ein paar interessante Details aus dem Buch von Christoph Bausenwein, „Joachim Löw – Ästhet, Stratege, Weltmeister“ (Verlag die Werkstatt), herauspicken, die vielleicht doch einiges erklären, zu Jogi Löw, aber auch über den deutschen Fußball momentan.

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Brachte Löw quasi den Spielern und auch Juniorentrainern sofort die „Taktikgrundschule“ bei, scheint heute nun vieles vergessen oder das falsche Stilmittel, für dieses Team aus vielen älteren, und zu wenigen jüngeren Spielern – man horchte erstaunt auf, als Löw ausgerechnet Sané (ManCity), aber auch Werner und auch Brandt, die totale Reife noch absprach.

Co-Moderator Thomas Hitzlsperger meinte im „Ersten“, Löws „Ballbesitzfußball“ sei nicht mehr aktuell, Frankreich sei mit seinem schnellen Umschaltspiel Weltmeister geworden. Jetzt müsse der Bundestrainer seine Philosophie umstellen, das dauere eben. Wer vergisst je den 7:1-Kantersieg über Brasilien? Und nun? Wen möchte Ästhet und Nachahmer Löw jetzt noch „kopieren“? Das DFB-Trainerteam profitierte bis zum WM-Titel 2014 sehr von Spielern, die durch die Hände anderer Trainer gingen und reiften.

Sprich, die Bayern-Spieler setzten damals Pep Guardiolas Ideen auf dem Platz auch mit der Nationalelf um. Löws Motto ist sowieso, wer den Job als Trainer ernst nimmt, dürfe mit dem Lernen nie aufhören.

Ein anderer Faktor ist natürlich der Teamspirit und die Psychologie. Löw hat auf dem Weg zum WM-Titel 2014 zwar ein paar Krisen beheben müssen (Ballack gegen Lahm, Löw und den Rest; Das Trainerteam bei den Vertragsverhandlungen mit dem DFB; der tragische Tod Enkes), nicht immer wirkte Joachim Löw souverän, aber letztendlich ging alles gut, wer fragt oder erinnert sich schon nach dem Mega-Erfolg daran?

Aber derzeit? Die WM in Russland ging unter anderem auch deshalb verloren, weil die Mannschaft nicht als „Team“ auftrat, weil es in der „Causa Özil“ eben nie eine echte offene Aufarbeitung gab. Probleme auf Anweisung wegzudrücken funktioniert nicht mehr.

Jogi Löw wirkt „ausgebrannt“, auch wenn er dies so natürlich nie zugeben würde. Eigene Befindlichkeiten interessieren auch nicht. Aber die gefestigte Psychologie des Kaders, den Teamspirit, sucht man derzeit vergeblich.

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Ein guter Bekannter Löws ist Norbert Stippel, ein Sonderschulpädagoge und Fußballlehrer aus der schwäbischen Provinz. Sie stehen in losem Kontakt, und Stippel weiß, dass Löw bevorzugt Trainern mit dem Fachwissen aus der „Schwäbischen Fußballschule“ vertraut. Zuerst Thomas Schneider als Assistent, und jetzt Marcus Sorg (war DFB-Juniorentrainer und dritter Assistent und Analyst in Russland; sowie Profispieler beim SSV Ulm, wo wiederum RB-Coach Rangnick einst Trainer war).

Uefa-Pro-Coach Stippel, der Lehrer und Fachmann für Inklusion von Schülern mit speziellen Schwierigkeiten (oftmals wie bei Fusballern auch), weiß, Jogi Löw sei ein akribischer Arbeiter, aber eben auch ein „Schöngeist“, für die schönen Dinge im Leben stets offen. Einen schönen Fußball bitte, aber kontrolliert und diszipliniert, sei Jogis Maxime.

Dieser Fußball scheint nach den letzten zwei Spielen fast verschüttet, da machen auch die schönen Dinge des Lebens nicht mehr so viel Spaß. Es war einmal der Weltmeister von 2014, lang scheint’s her zu sein, als sich auch noch eine Kanzlerin gern im Glanze des Bundestrainers und der DFB-Elf spiegeln wollte. Ob Angela Merkel oder Jogi Löw, der Glanz ist weg – Patina macht sich breit an der Oberfläche, diese werden dann die Nachfolger wegpolieren müssen.


Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist. Seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.

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