Sein größtes politisches Ziel ist ihm leider verwehrt geblieben: Bundesminister der Verteidigung zu werden. Merkel wollte ihn nicht, er war ihr zu kompetent, zu eigenständig, zu konservativ. Mit ihm als Verteidigungsminister wäre die Bundeswehr, zumindest in seiner Amtszeit, nicht das geworden, was sie heute ist: eine Reformruine. Nun ist er, 81jährig, in der Nacht vom 7. auf 8. Februar einem Herzinfarkt erlegen. Im Jahr 2012 hatte er einen Schlaganfall erlitten, den er über die Jahre hinweg mit viel Energie halbwegs überstanden hatte.
Schönbohm hat eine Vita hinter sich, wie man sie beim heute üblichen stromlinienförmigen Politikertypus kaum noch findet. 1937 in Neu Golm unweit Fürstenwald (Brandenburg) geboren, kam er 1945 mit seinen vier Geschwistern in den Westen Deutschlands. Nach dem Abitur 1957 in Kassel trat er in die junge Bundeswehr ein. Seine Karriere beschleunigte sich dort. 1989 wurde er Generalleutnant. Für Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg (CDU) war er 1988/89 Leiter des Planungsstabes. Seine größte Herausforderung und zugleich größte Leistung als Soldat war im Zuge der Wiederherstellung der deutschen Einheit die Umformung der Bundeswehr zu einer Armee der Einheit. Mit dem 3.Oktober 1990 wurde Schönbohm Befehlshaber des Bundeswehrkommandos Ost in Strausberg und damit „Vater“ dieser Armee der Einheit. Er hatte die Nationale Volksarmee (NVA) aufzulösen und Teile davon in die Bundeswehr zu integrieren. Ab Herbst 1991 war er für ein halbes Jahr Inspekteur des Heeres. Nach seiner Pensionierung als General wurde er von 1992 bis 1996 beamteter Staatssekretär im Verteidigungsministerium, zunächst unter Stoltenberg, dann unter Volker Rühe (CDU).
Danach folgte Schönbohms Einstieg in die Politik. Für zwei Jahre (1996 bis 1998) war er unter dem Regierenden Bürgermeister Diepgen (CDU) in Berlin für die CDU Innensenator, von 1999 bis 2009 Innenminister von Brandenburg. Parteipolitisch hatte er ebenfalls hohe Ämter, zum Beispiel als Landesvorsitzender der CDU Brandenburgs sowie von April 2000 bis November 2006 als Mitglied im Präsidium der Bundes-CDU.
Vor allem der Merkel-CDU war er stets ein sehr kritischer Begleiter. Er zerpflückte die Sprach- und Gesinnungsdiktatur der „political correctness“ als „Schlachtfeld der Tugendwächter“ – und er hatte keine Scheu, von Zuwanderern eine Integration in die deutsche Leitkultur mit ihrer Grundlage des christlichen Abendlandes einzufordern. Als Innensenator und als Innenminister stand er für eine konsequente Politik der Inneren Sicherheit.
Eindrucksvolle persönliche Begegnungen
Ich hatte die Ehre, Schönbohm 2010/2011 näher kennenzulernen. Wir hatten uns bei Tagungen kennengelernt und waren uns zusammen mit anderen schnell einig in der Sorge, welchen Weg die CDU unter Merkel genommen hatte. Der Mensch Schönbohm beeindruckte mich mit seiner persönlichen Autorität, mit seinen schier diabolisch nach oben gedrechselten Augenbrauen und vor allem mit seiner Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Bekannten. Ich war geradezu stolz, als er mir eines Abends das „Du“ anbot. Rasch fassten wir zusammen mit Arnulf Baring und Mechtild Löhr den Entschluss, ein Bändchen über den eigenwilligen Kurs der Merkel-CDU zu basteln. Dazu trafen wir uns im Frühjahr 2011 für ein Wochenende in Mainz, analysierten dort die CDU rauf und runter und ließen ein Tonband mitlaufen. Aus dem Mitschnitt ist der Band „Schluss mit dem Ausverkauf!“ geworden, den wir bewusst vor dem damals anstehenden CDU-Parteitag unters Volk brachten. Nun ja, der Weckruf blieb aus, viele Parteitagsdelegierten gaben das 126 Seiten starke Bändchen nicht ohne Wohlwollen, aber eben nur als „Bückware“, also unter den Tischen weiter. Der etwas voluminöse, gleichermaßen aber unsere Kritik komprimierende Untertitel des Bändchens lautete: „Den traurigen Niedergang der Union, ihre bedingungslose Kapitulation vor dem Zeitgeist und den allgemeinen Verfall unserer Parteiendemokratie erörtern, obwohl sie niemand darum gebeten hat: Arnulf Baring, Josef Kraus, Mechtild Löhr, Jörg Schönbohm“.
Darin finden sich so markante und zutreffende Aussagen Schönbohms wie die folgende: „Wenn es überhaupt noch ein Lebensmodell gibt, das unserer gegenwärtigen Führungsschicht echte Angst einjagt, dann ist das die wirtschaftlich unabhängige, gebildete, kinderreiche, christlich orientierte Großfamilie, die ihre Kinder selbst erzieht und sich in keiner Weise von Staat und Medien hineinreden und bevormunden lässt.“
Wie hellsichtig angesichts des beschleunigten Niedergangs einer Merkel-CDU, die für alles und nichts stand und steht! Spätestens nach 2015 wäre eine Neuauflage dieses Bandes notwendig gewesen. Das gilt auch 2019. Vielleicht finden sich Leute, die als Schönbohms Vermächtnis eine solche Neuauflage zustandebringen. Denn alle Forderungen aus diesem Bändchen haben nach wie vor Gültigkeit: „Schützt Europa vor dem Euro und der EU … Schützt die Bundeswehr, die uns und Europa schützt … Schützt die Familie vor dem Staat … Schützt das Parlament vor der autoritären Regierung … Schützt die CDU vor der Selbstversenkung…!“
Ich bin sehr traurig, dass Jörg Schönbohm tot ist. Auch weil ich ihn gerne für ein Geleitwort gehabt hätte für ein neues Buch mit dem Titel „Nicht einmal bedingt abwehrbereit – Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine.“ (Dort Seite 42/43) Nun weiß ich, warum er auf meine Anschreiben und Anrufe nicht mehr geantwortet hat.