Zwei Bilder der Propaganda waren für den Sozialismus verheerend. Eines davon hat der Sozialismus überlebt: die Berliner Mauer. Denoch hat die Mauer jedem klar gemacht, dass der Sozialismus kein Arbeiterparadies sein kann. Um echte Paradiese muss nicht den ganzen Tag eine Armee von Wächtern Streife laufen, damit keiner daraus entflieht – um jeden über den Haufen zu schießen, der es trotzdem versucht.
An dem anderen Bild ist der Sozialismus zugrunde gegangen. Dabei handelte es sich um die Tattergreise, die in seinen Politbüros saßen. Die Weltreiche vom Krankenzimmer aus regierten und die sich auf Tribünen von 40-jährigen Berufsjugendlichen feiern ließen, wobei sie versuchten, Falten in die Imitation eines Lächelns zu legen. Zwar kann eine solche Führung Lieder singen, dass ihr die Zukunft gehört – aber dann lacht das Volk halt irgendwann seine Führung aus. Oder läuft ihm weg. Wie im Fall der DDR.
Die USA halten sich seit über 200 Jahren erst als regionale dann als Weltmacht. Dieser Erfolg kommt auch daher, dass in den Staaten das System der Übergabe bisher funktionierte. Selbst während den Katastrophen des Zweiten Weltkriegs und des eigenen Bürgerkriegs hielten die Amerikaner Wahlen ab. Als Franklin D. Roosevelt starb, frohlockte Adolf Hitler in seinem Bunker, die Zarin sei tot. Er meinte, mit dem Tod des Präsidenten falle das politische System der USA in sich zusammen und diese als Feind im Krieg aus. Doch den Amerikanern gelang der Übergang zu Harry Truman nahtlos – und auch der Sieg.
Eben diese USA haben nun eine Eliteauswahl hinter sich. Deren Ergebnis hat die vermeintlich besten beiden Kandidaten für das Amt des Staatsoberhaupts hervorgebracht. Der eine ist ein verurteilter 78-Jähriger, der andere ein 81-Jähriger mit offensichtlichen Problemen, seinen Geist zusammen zu halten. Inhaltlich kann man von Joe Biden und Donald Trump halten, was man mag. Aber mit einer Eliteauswahl, die diese beiden als Sieger hervorbringt, kann etwas nicht stimmen.
Was daran nicht stimmt, ist zum einen ein uramerikanisches Problem: Der amtierende Präsident gilt in seiner Partei für die Kandidatur zur Wiederwahl als gesetzt. Ganz egal, wie schlecht seine Bilanz auch ist. Lyndon B. Johnsons größter Verdienst für die Demokraten war es, 1968 angesichts des verheerenden Verlaufs des Vietnamkriegs freiwillig auf eine zweite Kandidatur zu verzichten. Diesen Gefallen hat der 81 Jahre alte Biden seiner Partei nicht getan. Die sah sich genötigt, ihn aufzustellen – und steht jetzt mit einem offensichtlichen Tattergreis da, der sich hilflos durch die Debatte mit seinem Konkurrenten mümmelt.
Deutschland hat eine an entscheidenden Punkten andere Verfassung als die USA. Folglich unterscheiden sich auch die Probleme im Vergleich zu den Staaten. Trotzdem ähneln sie sich – sind auf ihre Weise sogar noch schlimmer als in den USA. In Deutschland können die Bürger Politiker nicht abwählen. Egal, wie sehr der Wähler sie auch abstraft, sie halten sich weiter an der Macht. Das System der Parteiklüngeleien – mit in Hinterzimmern ausgehandelten Landeslisten und Amtsabsprachen – macht es möglich:
– Frank-Walter Steinmeier (SPD). Kein anderer verliert als Spitzenkandidat einer Bundestagswahl jemals so viele Prozentpunkte wie er. Die Partei macht ihm zum Bundespräsidenten und damit zum Staatsoberhaupt.
– Katrin Göring-Eckhardt (Grüne). Die Grünen kommen unter ihrer Führung nicht aus dem Quark, dümpeln vor sich hin und müssen zwischenzeitlich den Rauswurf aus dem Bundestag fürchten. Als Spitzenkandidatin lehnen die Wähler sie ab. Als Belohnung für die verlorenen Wahlen erhält Göring-Eckhardt das Amt der Vizepräsidentin des Bundestags.
– Katarina Barley (SPD). Als Direktkandidatin scheitert sie bei der Wahl zum Bundestag, zur Belohnung wird sie Ministerin. Als Spitzenkandidatin zur EU-Wahl fährt sie das historisch schlechteste Ergebnis ihrer Partei ein. Zur Belohnung wird sie Vizepräsidentin des EU-Parlaments. Barley übernimmt noch einmal die Spitzenkandidatur und erreicht erneut das historisch schlechteste Ergebnis. Vermutlich bleibt sie Vizepräsidentin oder wird sogar Präsidentin. Egal, wie sehr der Wähler auch deutlich macht, dass er Katarina Barley nicht haben will, das Parteiensystem hält sie im Amt und befördert sie sogar.
– Jens Spahn (CDU). Als Gesundheitsminister verantwortet er die Pandemie-Politik samt Maskendeals, die Parteifreunden Millionen an Schmiergeldern einbrachten und Unternehmern Milliardengewinne auf Kosten des Steuerzahlers. Seine Partei sieht in Jens Spahn weiter den kommenden Wirtschaftsminister, wenn nicht sogar den zukünftigen Bundeskanzler.
– Nancy Faeser (SPD). Die Innenministerin verliert die Hessenwahl marianengrabentief und bleibt Innenministerin. Obwohl auch hier wieder ein historisch schlechtestes Wahlergebnis vorlag.
– Annalena Baerbock (Grüne). Die lebende 360-Grad-Wende startet mit zehn Prozentpunkten Vorsprung in den Wahlkampf, verbaerbockt den aber. Sie ist nicht mal in der Lage, einen richtigen Lebenslauf zu schreiben. Wobei bei all ihren Verfehlungen nie geklärt werden kann, ob sie lügt oder einfach nur unfähig ist.
– Hubertus Heil (SPD). Als Generalsekretär verantwortet er die zwei größten Wahlniederlagen der SPD im Bund. Die Partei macht ihn zum Arbeitsminister.
– Ursula von der Leyen (CDU). Die Präsidentin der EU-Kommission treibt das System der unabwählbaren Politiker auf die Spitze. Sie stellt sich gar nicht erst einer Wahl. Nicht einer Wahl des Volks. Ursula von der Leyen ist in jedes Amt durch politische Deals in Hinterzimmern gekommen.
Die Unfähigkeit, unfähiges Personal auszutauschen, wird zur ernsten Gefahr für die Demokratie. Wenn die Verantwortlichen den Bürgern keine Wahl zugestehen, bei der sie die Unfähigen loswerden können, dann werden sich die Bürger einen Weg suchen. Für die Verantwortlichen steht fest, dass die Demokratie dadurch gefährdet sei, dass „die Falschen“ dabei in Verantwortung kämen. Doch tatsächlich ist die Demokratie vielmehr in Gefahr durch die Maßnahmen, die Wahlverlierer ergreifen, um sich selbst an der Macht zu halten.
Die Demokratie ist in Gefahr. Nicht weil ein anderes politisches Personal die Faesers, Steinmeiers, Spahns und Göring-Eckardts ablösen könnte. Sei dieses neue Personal von Volt, dem Bündnis Sahra Wagenknecht oder der AfD. Im Gegenteil. Die Demokratie funktioniert, wenn der Wähler offensichtlich überfordertes Personal ablöst. In Gefahr ist die Demokratie erst, wenn die Mächtigen die Grenzen des Rechtsstaates überschreiten – oder „erweitern“, wie es Faeser nennt. Um die Demokratie müssen wir uns erst Sorgen machen, wenn Innenministerinnen die Beweislast umkehren, Persönlichkeitsrechte aufheben, den Inlands-Geheimdienst zur Bekämpfung ihrer Gegner missbrauchen oder die komplette öffentliche Kommunikation aller Bürger überwachen wollen. Wenn sie schon so reagieren, weil ihre Partei bei 15 Prozent steht, wie gefährlich werden sie dann noch, wenn diese Partei erst mal bei zehn oder fünf Prozent steht? Im Sinne der Demokratie müssen wir dringend Wege finden, solche Politiker wie Nancy Faeser abwählen zu können.