Tichys Einblick
Das Virus und die Etatisten

Jetzt erst recht: Den Staat einschränken – nicht die Bürger

Die Einflüsterer des Establishments überschlagen sich mit Vorschlägen, was der Staat gegen die Corona-Krise tun könnte. Warum kommt keiner auf die Idee, dass es am meisten hilft, wenn der Staat nicht die Bürger einschränkt – sondern sich selbst?

© Sean Gallup/Getty Images

Das deutsche Volk krankt seit vielen Jahrzehnten in allen seinen Schichten an einer falschen Auffassung vom Staat, von der Macht, von der Stellung der Einzelperson. Es hat den Staat zum Götzen gemacht und auf den Altar erhoben. Die Einzelperson, ihre Würde und ihren Wert hat es diesem Götzen geopfert.“ (Konrad Adenauer: Grundsatzrede über das Programm der CDU – NWDR, 06. März 1946)

Auf neue Probleme reagiert jede Verwaltung mit zwei Routine-Reflexen: neue Vorschriften und mehr Geld.

Mehr Geld: Die EU-Kommission hat den Stabilitätspakt ausgesetzt, damit die Mitgliedsstaaten mehr Schulden machen können. Die Bundesregierung will genau das tun – und deshalb auch die nationale Schuldenbremse lockern.

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Hilfspakete, Finanzspritzen, Helikoptergeld, Corona-Anleihen… all diese Vorschläge – ob man sie im Einzelnen nun für sinnvoll hält oder nicht – folgen demselben Prinzip: Der Staat (oder eine von ihm autorisierte Einrichtung) verteilt Geld, das er den Bürgern vorher abgeknöpft hat (auch Staatsschulden müssen irgendwann mit Steuergeld zurückgezahlt werden).

Dahinter verbergen sich ein gruppenegoistisches Interesse einerseits und ein grundsätzlicher Gedanke andererseits.

Das gruppenegoistische Interesse ist, dass die hier verkürzt als „Staat“ bezeichnete Menge (Verwaltung plus die von Zuwendungen und Aufträgen der Verwaltung abhängigen Einrichtungen) überhaupt nur überleben kann, wenn sie dem Bürger dessen selbst verdientes Geld abnimmt – um es dann, zuallererst, unter sich aufzuteilen. Der Rest wird danach, in einem zweiten Schritt, nach eigenem Gutdünken wieder ausgeschüttet.

Im Ergebnis zweigt der Staat einen (stetig wachsenden) Teil des eingesammelten Geldes für sich selbst ab. Was übrig bleibt, wird neu verteilt. So ist das Überleben des Staates immer gesichert. Der Bürger hingegen, von dem das Geld stammt, bekommt grundsätzlich IMMER weniger zurück, als er in die große Finanzumwälzungsmaschine eingezahlt hat. Insgesamt ist nicht einmal sicher, dass er überhaupt etwas zurückbekommt.

Wenn der Staat Geld ausgibt, spricht die Verwaltung von der „Verwendung von Haushaltsmitteln“. Das ist ein blanker Euphemismus: Er täuscht vor, dass der Staat über eigene Mittel verfügen würde. Tatsächlich hat der Staat kein eigenes Geld, er arbeitet ausschließlich mit Steuergeld.

Der Staat lebt allein vom Geld anderer Leute – auch und gerade in Krisenzeiten.

Der grundsätzliche Gedanke ist, dass der Staat (oder die von ihm autorisierte Einrichtung) besser weiß, wie das Geld der Bürger sinnvoll ausgegeben werden sollte, als der Bürger selbst, der das Geld erarbeitet hat.

Angela Merkel
Regieren bei verstummter Kritik
Wie unsinnig der Gedanke ist, zeigt nicht nur sehr anschaulich das jährliche Schwarzbuch der staatlichen Geldverschwendung vom Bund der Steuerzahler. Auch beim Berliner Flughafen, der Hamburger Elbphilharmonie oder dem Stuttgarter Hauptbahnhof lässt sich die chronische und unheilbare Inkompetenz des staatlichen Umgangs mit Geld anschaulich besichtigen.

Mit weiteren Beispielen (Deutsche Bahn, Landesbanken, kommunale Wohnungsbaugesellschaften, …) könnte man das Internet zum Überlaufen bringen.

Der Staat weiß nicht besser als der Bürger, wie man Geld sinnvoll ausgibt – auch nicht in Krisenzeiten.

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Trotzdem überschlagen sich Politiker, Zentralbanker und steuergeldabhängige „Experten“ mit Vorschlägen, was der Staat gegen die Krise tun könnte. Das fängt an bei Helikoptergeld…

 

… und geht über Corona-Anleihen …

 

… bis hin zu Verstaatlichungen:

Wenn ein hauptamtlicher Establishment-Einflüsterer wie DIW-Chef Marcel Fratzscher so etwas sagt – der quasi sein ganzes Leben ausschließlich öffentlich alimentiert verbracht hat und wertschöpfende Arbeit fast nur aus Büchern kennt – dann sollten alle Alarmglocken schrillen: Der Staat (und das von ihm alimentierte Milieu) will den Bürger noch abhängiger machen.

Natürlich kommt keiner von all diesen direkt oder indirekt öffentlich Bediensteten auf die Idee, wie der Staat dadurch helfen könnte, dass er sich selbst zurücknimmt. Stattdessen kommen als Wohltat verkleidete Zumutungen wie diese:

Wäre es dem Bundesfinanzminister ernst, dann würde er nicht eine SteuerSTUNDUNG verfügen – sondern einen mindestens teilweisen SteuerVERZICHT. Dann würde das Geld beim Bürger bleiben, dem damit tatsächlich geholfen wäre.

Problem: Der Staat müsste sich wegen geringerer Einnahmen selbst beschränken. Wenn dann für Krankenhäuser weiter Geld da sein soll, wäre vielleicht für Steuerprüfer, Gleichstellungsbeauftrage, Sozialpädagogen oder Dozentinnen in Gender-Studien keines mehr da. Die gehören aber alle zum quasi-staatlichen Milieu, es sind sozusagen die eigenen Leute.

Dann soll sich doch lieber der Bürger einschränken.

Opfer sollen, bitteschön, nur die anderen erbringen. Dieselbe asoziale Heuchelei führen leider auch Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Medien vor:

Ein Mann mit einem aus Zwangsabgaben finanzierten Monatsgehalt im geschätzt satt fünfstelligen Bereich könnte auch vorschlagen, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio eine Zeit lang zumindest auf einen Teil ihrer mehr als acht Milliarden Euro an Jahresgebühren verzichten.

Er könnte. Er tut es aber nicht.

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Neue Vorschriften: Das ist der andere Routine-Reflex, mit dem die Verwaltung auf neue Probleme reagiert.

Auf der ersten Ebene produziert der Staatsapparat wegen des Coronavirus in Mengen Vorschriften. Einiges ist auf den ersten Blick sinnvoll – und auf den zweiten auch noch. Einiges ist vordergründig sinnvoll – wird dann aber beim zweiten Hinsehen fragwürdig.

Und manches ist von vorne bis hinten nur offensichtlicher Quatsch.

In letztere Kategorie fällt die Aufforderung der Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) kürzlich, den Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen zwei Menschen auch auf Kinderspielplätzen anzuwenden. Sie hätte ebensogut schreiben können: „Liebe Eltern, geht mit Eurem Vierjährigen ruhig weiter auf den Spielplatz. Erklärt ihm aber, dass er da nicht mit anderen Kindern spielen darf. Und erklärt ihm, was anderthalb Meter sind.“

Erde an Berliner Senat… hallo?

Praktisch wohl sinnvoll, aber demokratietheoretisch äußerst schwierig ist das Versammlungsverbot.

Dass sich (mit den genannten Ausnahmen) jetzt bundesweit nicht mehr als zwei Menschen an öffentlichen Orten treffen dürfen, wird vermutlich die Verbreitung des Coronavirus verlangsamen. Praktisch klingt das gut.

Demokratietheoretisch kommt dieser massive Eingriff in die bürgerlichen Grundrechte aber von einer Regierung, deren eigene Untätigkeit erst zu dem Zustand geführt hat, der jetzt mit der Beschneidung von Grundrechten bekämpft werden soll.

„Die Gefahr für die Gesundheit der Menschen durch diese neue Atemwegserkrankung aus China bleibt nach unserer Einschätzung weiterhin gering.“

Das sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CD) allen Ernstes noch am 28. Januar. Glauben Sie nicht? Sehen Sie selbst:

Der Clip war zwischenzeitlich gelöscht, was weder das Vertrauen in Spahn noch in die ARD so richtig fördern dürfte. Noch Anfang März erklärte Spahn dann Grenzschließungen für „unverhältnismäßig“ – zu einem Zeitpunkt, als andere Länder schon längst dicht gemacht hatten.

Am 11. März sagte Angela Merkel über das Virus: „Jetzt ist er halt da.“ Ganz so, als ob die Untätigkeit ihrer Regierung damit rein gar nichts zu tun hätte. Vielleicht würde sie heute über die einschneidendsten Beschränkungen der Grundrechte seit dem Zweiten Weltkrieg sagen: „Jetzt sind sie halt da.“

Das Grundgesetz ist die Geschäftsgrundlage sowohl der Bürger als auch der Regierung. Es ist höchst problematisch, wenn eine Regierung diese Geschäftsgrundlage fleddert, um ein Problem zu lösen, das sie durch Ignoranz zumindest teilweise selbst verschärft hat.

Übrigens: Für das Versammlungsverbot und all die anderen Maßnahmen wurde keine zeitliche Begrenzung verfügt. Kann man harmlos finden – muss man aber nicht.

Wegen des Coronavirus soll auch – und damit sind wir eine Ebene höher – die Produktion von Vorschriften erleichtert werden. Das ist der eigentliche Hintergrund für die Pläne, das Grundgesetz zu ändern, um die Gesetzgebung im Bundestag während der Corona-Krise ohne einige dieser lästigen Verfahrensvorschriften zu organisieren.

Roland Tichy interviewt Thomas Mayer
Interview mit Thomas Mayer: Corona und die EZB
Natürlich ließe sich der gesamte Parlamentsbetrieb auch in Krisenzeiten problemlos per Telefon bzw. Videokonferenzen aufrechterhalten. Das wäre zwar etwas weniger komfortabel für die Abgeordneten und die Bundesregierung, würde aber keine Amputation an unserem Grundgesetz erfordern – das, vor allem anderen, dem Schutz der Bürger vor einem übergriffigen Staat dient.

Außerdem braucht es in der Krise nicht mehr, sondern weniger Vorschriften.

Es ist sinnvoll, darüber zu reden (und zu streiten), wie wir mit zwei offensichtlich widerstreitenden Zielen umgehen: dem Ziel, die Ausbreitung einer mindestens für einen Teil der Menschen tödlichen Seuche einzudämmen – und dem Ziel, unsere freiheitliche und rechtsstaatliche Gesellschaftsordnung nicht aufzugeben.

Ebenso sinnvoll ist es aber, darüber zu reden (und zu streiten), wie wir eigentlich nach der Pandemie leben wollen.

Wenn in der Zeit nach dem Virus (und die wird kommen) die Wirtschaft wieder in Schwung kommen soll, muss nicht der Staat die Wirtschaft de facto übernehmen. Im Gegenteil: Es müssten massenweise Vorschriften und Genehmigungspflichten ausgesetzt werden – im Baurecht, bei der Anmeldung von Gewerbebetrieben, bei der Wohnungsvermietung… 

Beamte aus repressiven Bereichen (Ordnungsamt) müssten massenhaft in produktive Bereiche (Wirtschaftsansiedlung) versetzt werden. Alles, was die Entfaltung bürgerlicher Aktivität hemmt, ist schädlich.

Der Staat hemmt bürgerliche Aktivität.

Sowohl in der Krise wie auch danach brauchen wir vom Staat Krankenhäuser, Bundeswehr, Polizei, Justiz und Feuerwehr.

Ansonsten brauchen wir: nichts.

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