Tichys Einblick
BEKENNTNISSE EINES FREIWILLIGEN

Jeder muss seinen Beitrag leisten

Nur Deppen gehen zur Bundeswehr. Dieses Vorurteil war bis vor ein paar Wochen weit verbreitet. Unser Autor ist 2019 nach dem Abitur zur Bundeswehr gegangen. Er bricht eine Lanze für den Dienst in der Truppe: Es ist der Preis für die Verteidigung der Freiheit. Von Adrian Hurtado

Soldaten sind in Deutschland ent­weder Mörder oder Deppen, Nazis oder lächerlich – oder alles gleich­zeitig. Je nachdem, wen man fragt. Als ich erzählte, dass ich freiwilligen Wehrdienst leisten möchte, wurde ich oft mit schrägen Blicken angeguckt, aus denen man lesen konnte: Was bist denn du für ein Rassistenfascho? Oder: Was hast du ausgefressen, dass du da gelandet bist?

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Für mich gilt jedenfalls: Ich habe Abi­tur und könnte ohne Weiteres studie­ren. Und Ausländer jagen wir bei den Panzergrenadieren schon lange nicht mehr – sonst wäre ich wohl als Erstes dran. Ich habe nicaraguanische Vor­fahren und sehe nicht gerade wie ein typischer Europäer aus. Und damit bin ich hier bei Weitem nicht allein. Die Anfeindungen gegen die Bun­deswehr sind maßlos. Jeder Kamerad hat schon Szenen wie diese erlebt: Ich komme in Uniform abends am Berli­ner Hauptbahnhof an und werde von einer angetrunkenen Person aus dem linken Milieu angepöbelt. Sie ruft Phrasen wie „Deutschland verrecke“ oder „Soldaten sind Mörder“ und verfolgt mich bis in die U­-Bahn­-Station.

Aber auch aus anderen gesellschaft­lichen Schichten hält sich der Respekt gegenüber der Truppe in Grenzen. Immer häufiger kommen Fragen wie: Müsst ihr euch eigentlich die Gewehre teilen? Fahren eure Panzer überhaupt noch? Natürlich sind die Fragen nicht unbe­rechtigt. Die Probleme der Bundeswehr werden für uns jeden Tag sichtbar.

Sei­en es frisch reparierte Panzer, die sich direkt auf dem Weg von der Instand­setzung zum Übungsraum wieder ver­abschieden, oder Übungsdurchgänge, bei denen ich mit 30 Schuss einen Be­reich über Stunden überwachen soll. Über fehlendes und kaputtes Großgerät wird gern mal berichtet, aber die Lage im Kleinen ist viel dramatischer. Mei­ne Ausrüstung besteht im Kern aus ei­nem Tragegestell auf dem technischen Stand des Vietnamkriegs.

Plattenträger? Fehlanzeige. Immer mehr Kameraden gehen dazu über, sich privat alle möglichen Schutzmateria­lien zu kaufen für teilweise mehrere Tausend Euro, die sie ansonsten ein­fach nicht bekommen. Und so doll ist der Sold nicht.

Die Politik hat uns vergessen

Mit den Pannenserien in der Verwal­tung werden die ganze Bundeswehr und ihre Soldaten lächerlich gemacht. Die Politik hat uns vergessen. Alle paar Monate gibt es große Lippenbekennt­nisse, dass sich die Lage „bald“ bessern solle. Und auch die Medien hat es über Jahre hinweg nicht ernsthaft interes­siert, wie der Zustand ist.

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Ursula von der Leyen war als Mi­nisterin ja schon legendär – aber man tröstete sich damit, dass diese Zeit vor­beigehen würde. Dann kam AKK, An­negret Kramp­Karrenbauer – auch sie war ahnungslos, auch sie verkörperte wenig Führungsstärke. Immerhin en­gagierte sie sich und zeigte bedingt Interesse.

Und jetzt haut man uns Christine Lambrecht hin. Das grenz­te für viele schon an Verhöhnung. Bei uns war die Reaktion auf die Persona­lie schlicht die Frage: „Wer?“ Von der Frau hatte man bei der Bundeswehr vorher nichts gehört. Nachdem die Unzufriedenheit in der Truppe jahrelang bekannt war, besetzt man den Posten der Vertei­digungsministerin wieder mit je­mandem, der absolut keinen Bezug zum Thema hat. Die Botschaft ist klar: Die Bundeswehr ist ein Witz.

In der Tat stellt sich die Frage: Wer braucht sie überhaupt? Niemand, war offensichtlich eine weitverbreitete Einschätzung, mit der die Regierung spätestens mit dem Angriff auf die Ukraine auf die Nase gefallen ist.

Landesverteidigung ist kein Witz

Es fühlte sich bislang so an, als würde keine der jüngsten Regierungen ihre Soldaten wirklich wertschätzen. Nach Angriffen auf Soldaten gab es, wenn überhaupt, nur oberflächliche Solidaritätsbekundungen. Nur so viel zu den Problemen der Bundeswehr. Und jetzt kann man lange darüber lachen und den Kopf in den Sand stecken. Aber Landesverteidigung ist kein Witz, und wenn doch, dann geht er gänzlich auf unser aller Kosten. Die Soldaten geben sich jedenfalls alle Mühe. Es sind in den allermeisten Fällen wirklich gute Leute. Die haben es nicht verdient, Hohn und Spott ausgesetzt zu sein.

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Die Motivation ist zumindest in unserem Bataillon hoch, denn wir wollen zeigen, was wir trotz der schlechten Umstände draufhaben. Eigentlich ist es so, dass wir versuchen, „aus Scheiße Gold zu machen“. Die Kameradschaft, den Zusammenhalt kann uns keiner nehmen. Trotz Ministern, die den Job nur haben, weil sie noch „untergebracht“ werden mussten.

Ich habe mich 2019 dazu entschieden, zum Bund zu gehen. Das Heer hat mich schon länger interessiert, vor allem die Kampftruppe. Ich war schon immer sehr heimatverbunden, obwohl mich niemand wirklich in diese Richtung erzogen hat. Ich will meine Heimat, meine Familie und meine Freunde verteidigen. Das klingt etwas aus der Zeit gefallen – falsch wird es dadurch aber nicht. Gerade diese Tage zeigen, wie wichtig ein einsatzfähiges Militär ist. Leute, die heutzutage freiwillig Wehrdienst leisten, werden oft belächelt – es bleibt dennoch richtig.

Anfangs war ich unsicher, wie lange ich mich verpflichten sollte. Deshalb trat ich zunächst für ein Jahr ein, also nicht als Offiziers- oder Unteroffiziersanwärter, sondern als Mannschaftsdienstgrad. Ich wollte erst mal reinschnuppern, mir angucken, ob die Truppe etwas für mich ist. Mittlerweile bin ich seit mehr als zwei Jahren bei den Panzergrenadieren und werde auch noch eine Weile dort bleiben. Die Kameradschaft ist großartig, und man lernt eine Menge, vor allem über sich selbst; jedenfalls mehr als auf einer Selbstfindungstour nach Sri Lanka.

Ich möchte mich einer Wahrheit stellen, die viele ausblenden: Unsere Freiheit hat ihren Preis. Wir lassen diesen Preis gerade schamlos von unseren Verbündeten zahlen, die für unsere Sicherheit aktuell einfach mitsorgen. Aber so wird es nicht ewig gehen. Deutschland muss seinen Beitrag leisten. Wir alle müssen einen Beitrag leisten, um die Freiheit zu erhalten. Das ist meiner.

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