Die Grünen: Buhmann der Nation als regelwütige, ideologisch verbrämte Partei mit überaltertem Spitzenpersonal, dass sich opportunistisch als Koalitionspartner andient? Oder doch Teil einer DNA, die Deutschland ein stückweit lebenswerter und freier gemacht, die den Mief unter den Talaren abgeschüttelt hat?
Alexander Wallasch (AW):
Müsste man sich nicht auch einmal bei den Grünen bedanken? Wie würde die Bundesrepublik heute ohne sie aussehen?
Hasso Mansfeld (HM):
Dankbarkeit ist immer dann angesagt, wenn jemand mehr als seine Pflicht tut. Dann noch mehr, wenn Ruhe die erste Bürgerpflicht ist. Die Grünen haben diese Pflicht und den alten Konservativismus der Vorkriegs- und Kriegsjahre, der sich in die Bundesrepublik rübergerettet hat, verweigert. Also in diesem Sinne mehr als ihre Pflicht getan. Darüber kann man tatsächlich sprechen. Dafür kann man den Grünen auch einmal „Danke“ sagen.
AW: Kann man am Ende sogar sagen, dass auch die AfD ihre politische Partizipation den Grünen und ihrem Engagement in den 1980er Jahren zu verdanken hat? War die grüne „alternative“ Bewegung so Wegbereiter der AfD?
HM: Ideologisch mit Sicherheit nicht. Allerdings waren sie die ersten die es geschafft hatten eine neue Partei außerhalb des etablierten Parteienspektrums dauerhaft im Bundestag zu installieren.
AW: Aber es ging ihnen nicht um Partei, sondern doch viel mehr darum, alternative Themen und Inhalte im deutschen Bundestag zu platzieren. Ich bin sicher, ohne die Grünen sehe die Republik heute anders aus. Und das meine ich keineswegs negativ: Angefangen vom Kampf gegen die vielen familiären Tabus, gegen familiäre Gewalt. Heute kann man nicht mehr so einfach über bestimmte Sachen hinwegsehen. Tatsächlich ist das Private öffentlicher geworden. Bis hin zu einem kritischen Blick auf die Mächtigen und ihre Institutionen.
HM: So gesehen sind die Grünen die Anti-AfD und die AfD die Anti-Grünen. Der AfD geht es ja darum, dass alles ein wenig wie früher wird.
AW: Mal zurück zu en Anfängen der Grünen: Mit Pullover stricken im Bundestag die parlamentarische Demokratie lächerlich machen? „Herr Präsident, sie sind ein Arschloch“ (Fischer) – aber jetzt pingelig sein, wenn es um die AfD geht?
HM: Die parlamentarische Demokratie ist doch nicht an eine äußere Form gebunden. Lächerlich machen können sich nur Personen, keine Institution. Unsere parlamentarische Demokratie ist zudem eine repräsentative. Heißt, alle Bevölkerungsgruppen sollen vertreten sein, warum also soll man sie nicht als solche im Einzelnen erkennen können. Aber was anderes: Der Cem Özdemir könnte doch auch in der CDU sein, oder?
AW: Nein, denn wenn es mit Jamaika klappt, verbucht Özedmir für sich den Obama-Effekt als erster türkischstämmiger Außenminister. Die Gesichter in Ankara möchte ich sehen. So etwas würde die CDU aus sich heraus nie riskieren. Hier könnte sich sogar mit einem Außenminister Özdemir eine Art neues grünes Selbstbewusstsein etablieren. Wir müssen später noch über die Gewaltbereitschaft der Grünen der Anfangsjahre sprechen, Stichwort „Schottern“ usw.
HM: Das ist für mich Geschichte mit dem Ergebnis, dass die Grünen zu dem Schluss gekommen sind, dass Gewalt keine Option im politischen Diskurs ist.
AW: Stimmt, die Grünen zum Grundübel der heutigen Verwerfungen zu machen, greift nicht wie selbstverständlich. Ein neuer, ein zukunftsfähiger Weg muss doch zwingend damit beginnen, auch die Verdienste der Grünen anzuerkennen. Das politische System Bonn war Nachkriegsparlament mit provisorischer Ausrichtung. Stichworte: Kalter Krieg bis hin zu Berufsverboten usw. Ich erinnere mich noch gut: Mit den Grünen wurde das Parlament nicht nur bunter, sondern im TV auch in Farbe übertragen Ernsthafter: Die Schlacke der Wirtschaftswunderexplosion, musste doch am Ende einer wegräumen oder mindestens mit dem Finger darauf zeigen.
HM: Sehe ich genauso. Die Grünen haben maßgeblich dazu beigetragen den politischen Ordnungsrahmen auch auf den Bereich Umwelt zu beziehen. Ich erinnere mich noch an meine Kindertage in Bonn, als wir am Rhein spielten. Da war der Fluss noch eine stinkende Phenoljauche und es war nicht vorstellbar da seine Füße rein zu stellen. Heute baden wir wieder im Rhein. Das ist großartig und die Grünen haben den Anstoß dafür gegeben.
HM: Mit den Grünen kam eine neue Kultur in die innerparteiliche Debatten. Sie waren die ersten die den innerparteilichen Streit „kultiviert“ haben. Gerade durch manche Unkultiviertheit. Sie haben als erste öffentlich um die Positionen gerungen. Das kannte man von den anderen Parteien so nicht. Die politische Partizipation von Frauen beispielsweise, ist auch durch die Grünen stark befördert worden. Die Grünen haben unser Land politisch modernisiert.
AW: Ok, wenn wir schon am Schwärmen sind, sollten wir es auch im Einzelnen benennen, bevor wir später besprechen, wo die grüne Bewegtheit ihre Unschuld verlor. Mir fällt spontan ein: sexuelle Befreiung, Schwulen- und Lesbenrechte, Friedensbewegung in Zeiten des Kalten Krieges, Integration der revolutionären Kräfte der DDR aus dem Bündnis 90, Antidiskriminierung, behindertengerechter leben, selbst bestimmter leben, Anti-Globalisierung, natürlich nach Tschernobyl, Anti-Atomkraft, Forschung an alternativen Energien, Müllvermeidung, Verbraucherschutz, politische Partizipation, Gründung erster NGOs, ganz wichtig, als grüne Keimzelle: regionale politische Partizipation/ Gorleben/Brockdorf/ Wackersdorf, ziviler Ungehorsam, Sitzblockaden, Bürgerinitiativen, Thematisierung des Elends der dritten Welt aus politischer und nicht nur aus dem kirchlichen Spenden für Biafra Blickwinkel, internationale Solidarität mit entsprechendem Druck auf die Internationale Gemeinschaft, Anti-Apartheid, Einhegung eines zügellosen Neokapitalismus mindestens im Sinne der Gewahrwerdung, Jugendarbeit. Habe ich was vergessen? Erstaunlich lang die Liste, oder?
HM: Ökolandwirtschaft….
AW: Stimmt, wahrscheinlich einer der größten Erfolge, wenn man es heute nach ihrer Präsenz im Supermarkt bewertet. Also was ist wann so furchtbar schief gegangen?
AW: Na gut, aber da würde ich noch einwenden wollen: So funktioniert eben das politische Geschäft, der Wettbewerb der Parteiprogramme. Erinnere Dich doch an die letzte Wahl: Was für ein sehnsuchtsvolles Scannen in allen Parteiprogrammen eben auf der Suche nach attraktiven absoluten Standpunkten. Wer viel fordert, der muss den Druck erhöhen, klar. Und wenn ich es recht bedenke: Als Partei der absoluten Wahrheiten kann man die Grünen doch heute nicht mehr verstehen. Schon alleine dieser unbedingte Willen zur Koalitionsfähigkeit in fast alle Richtungen, verbietet es ihr.
Es ist doch viel mehr so: Wenn heute jemand etwas zur absoluten Wahrheit erklärt hat, dann ist dass doch Angela Merkel mit ihrem humanistischen Imperativ. Nein, ich glaube, es ist viel schlimmer: Was Du als absolute Position erkennst, ist heute abseits jeder echten grünen Willensbekundung. Das sind Mantras, Worthülsen, die man als Legitimation für Pöstchen und Machterhalt einfach immer weiter mitschleppt. Die Wahlplakate der Grünen 2017 sprechen doch Bände. Auf Papier sieht das noch inhaltsleerer aus, als routiniert in die TV Kameras gesprochen. Erinnerst Du einen einzigen Slogan?
HM: Nee, die Kampagne war mau. Ich bleibe dabei. Die Grünen sind dafür mitverantwortlich dass das Primat der Moral jenes des Rechts zunehmend verdrängt. Eine persönliche Meinung, vorgetragen mit dem Gestus moralischer Überlegenheit, soll mehr und mehr konkrete, für alle geltende Regeln und Verfahrensweisen ausstechen. Man ist bestrebt, die – ausschließlich moralisch und deshalb mit umso mehr Emphase begründete – Ausnahme, wo immer es gelingen kann, als neue Regel zu etablieren. Das halte ich für eine gefährliche Entwicklung. Sie widerspricht den Prinzipien des Rechtsstaates.
HM: Das ist kein Hass. Das ist moralische Hybris, der die feste Überzeugung zugrunde liegt, sich für „das Gute“ in der Welt einzusetzen. Ich sage in solchen Fällen meinem Gegenüber, dass ich den selben Anspruch habe für das Gute in der Welt zu kämpfen.