Tichys Einblick
Strategien und Posten statt Positionen

Warum „Jamaika“ eine Chance hat – die Union wird alles anbieten

Niemand sollte glauben, dass es bei den anstehenden Verhandlungen um politische Positionen geht. Es geht um Macht und Posten. Und deswegen könnte am Ende doch noch ein CDU-Kanzler herauskommen, weil die Union den Grünen einen Posten im Bundespräsidialamt bieten könnte.

Mit der schönen Aussicht, in Schloss Bellevue einzuziehen, könnte die CDU die Grünen doch noch für sich gewinnen.

Sollte ich nicht besser meine Wette vom frühen Sonntagabend zurückziehen? Bei TE-live hatte ich Stein und Bein geschworen, es käme nun zu einer Ampel-Koalition, weil die FDP unbedingt „an die Fleischtöpfe will.“ Da war auch der Vorsprung der Scholz-SPD noch größer gewesen. Das mit den Fleischtöpfen (sprich: Finanzministerium für Christian Lindner) gilt zwar immer noch. Aber ist das nicht günstiger bei der fast untergegangenen Laschet/Söder-Union zu haben? Also mit „Jamaika“.

Auf jeden Fall steht fest: Wer zum Schluss das „Bündnis“ von Grün/Gelb anführt, SPD oder Union, Scholz oder Laschet, das entscheiden Macht- und Postenfragen. Wer denkt, es ginge vorrangig um Inhalte, der glaubt auch, dass der Klapperstorch die Kinder bringt. Zum Schluss ist für Grüne und FDP entscheidend: Wer hat was wem zu bieten. Und da wäre der mickrige Überrest der einst stolzen Kohl/Strauß-Union deutlich freigiebiger.

Übrigens, was das Drama überdeutlich macht: Beide brachten schon einmal das Doppelte auf die Waage, Kohl mit 48,6 Prozent im Jahr 1976 (und wurde „dank“ FDP nicht Kanzler) und Strauß in Bayern exakt 60 Prozent. Das also hat Merkel in 16 Jahren aus der CDU gemacht. Söder brauchte für den Niedergang der CSU nur 16 Monate!

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Die Union ist jetzt im strategischen Vorteil, weil das Amt des Bundespräsidenten in das Postengeschacher einbezogen werden kann. Die Scholz-SPD hat Steinmeier an der Backe, der im kommenden Mai wiedergewählt werden will. Die farbloseste Besetzung aller Zeiten, dagegen war Heinrich Lübke noch ein Highlight – für jüngere Leser: Das war der mit der legendären Anrede bei einem Afrika-Besuch „Meine Damen und Herren, liebe Neger!“ Die SPD kann Steinmeier kaum opfern, die Union kann hingegen sagen: Ja, wir unterstützen die erste Frau in diesem Amt, die grüne Göring-Eckardt. Man mag schaudern bei dem Gedanken, aber damit wäre die Union wieder in dem unsäglichen Weizsäcker-Milieu angekommen: Kirchentag und evangelische Kirche. Würde also bestens passen.

So wären die Grünen schon mal prominent abgefunden und Lindner bekäme sein begehrtes Finanzministerium. Und im Reißverschlussverfahren könnte ein Kanzler Laschet weitere Posten in dem Dreierbündnis besetzen. Wie weit die Rest-Wählerschaft der Union schon verkommen ist, zeigt ja die INSA-Umfrage jetzt nach der Wahl, wonach sich 47 Prozent eine Umweltministerin Baerbock wünschen. Der Unions-Wähler! Irre! Doch wo liegt da der Unterschied zum Greta-Fan Söder?! Der könnte auch nahtlos einen Gesundheitsminister Lauterbach akzeptieren, sind die beiden doch Brüder im Geiste, was die endlose Drangsalierung des Volkes durch den gemeinsamen Corona-Wahn angeht.

Wer gelb gewählt hat, bekommt grün
Lieber ganz schlecht regieren, als gar nicht regieren
Klar, jetzt schreien solche Helden wie Dobrindt, Bouffier und Altmaier auf, man habe durch die vergeigte Wahl keinen Regierungsanspruch. Doch die wollen auf Länderebene retten, was zu retten ist: die letzten Unionsregierungen, bevor das ganze Land auch offiziell rot/grün wird, was es ja unter Merkel und ihrer „C“-Mogelpackung schon längst war. Dazu passt auch, dass Sachsens MP Kretschmer nun diesem wahnwitzigen Wanderwitz, diesem Ost-Beschimpfungs-Beauftragten, die Mitschuld am sächsischen CDU-Desaster gibt. Lächerlich: Der Mann kommt sozusagen zur Belohnung mit Platz eins auf Kretschmers(!) Landesliste in den Bundestag.

Die Union weiß: Wenn sie sich jetzt in die Opposition verabschiedet, sitzt sie dort auf lange Zeit fest. Die kommende Koalition wird mindestens acht Jahre halten, das zeigt die Erfahrung. Und zusammen mit der viel lauteren und konsequenteren AfD im Bundestag Opposition zu machen, davor graut es den Granden der Union. Auch Söders Dreamteam, die Doro, der Andy und der Alexander wissen: In der Opposition gibt es kaum noch attraktive Posten, kaum Profilierung. Wie will man sich da von der AfD absetzen?! Ja, man müsste mit den Verhassten und Verteufelten sogar gemeinsam stimmen. Die grüne CSU mit dem blauen Sachsenblock der Schwefelpartei. Eine herrliche Vorstellung.

Die Schwachen müssen regieren
Wenig Zukunft mit so einer halblinken Regierung und schwachem Personal
Auf die Oppositionsbänke will nur die Unions-Resterampe, deren Zeit ohnehin abgelaufen ist: Bouffier, Schäuble, Altmaier und Co. Auch Julia Klöckner wirft schon mal selbst das Handtuch, bevor sie von anderen aufs Abstellgleis geschoben wird. Aber für all die Merzens, Linnemanns, Röttgens oder Dobrindts ist es die letzte Chance, noch mitspielen zu dürfen. Und für Laschet ohnehin, der ja in NRW bereits abgewickelt wird. Die Union wird dem sich am Mittwoch bildenden grün-gelben Bündnis (so etwas gab es auch noch nie) mehr bieten können, als eine selbstbewusste gestärkte SPD es kann.

Strategisch nicht zu verachten: FDP und Grüne haben ein Interesse daran, die Union weiter zu schwächen. Das ginge kurioserweise leichter durch eine Regierungsbeteiligung, weil das die weitere Abwärtsspirale eher befördern würde als eine eventuelle Regenerierung in der Opposition. Laschet als Kanzler von Lindner/Habecks Gnaden, das wäre für grün-gelbe Strategen doch der Knüller. Die nächsten Wahlergebnisse kann man sich schon plastisch ausmalen.

Noch ist alles offen. Aber eins ist klar: Die Union mit ihren donnernden Niederlagen von Söder und Laschet muss kleine Brötchen backen, um an den Fleischtöpfen weiter beteiligt zu sein. Das zeigt die dramatische Wahrheit des 26. September. Das ist die Quittung für das, was man ursprünglich mal Sozialdemokratisierung von CDU und CSU nannte. In Wahrheit wurde die Union von Jahr zu Jahr grüner und damit nichtiger und überflüssiger. Die allerletzte Chance ist jetzt.


 

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