Bisher betonen Deutschland und die Ukraine ihre Partnerschaft gegen Russland. Doch nun steht eine Frage im Raum, die wie ein Spaltpilz wirken könnte. Bisher gab es die nicht. Die deutschen Waffenlieferungen waren den Ukrainern zwar immer zu wenig, aber aus einem deutschen Niemals wurde nach kurzer Zeit und Auftritten von Roderich Kiesewetter (CDU) oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) bei Anne Will immer ein Okay. Und Geld war sowieso kein Problem. Die Ampel war und bleibt bereit, für die Ukraine mehr Schulden zu machen, als es der Verfassung lieb ist.
Doch nun stehen die Wehrpflichtigen zur Debatte. Nach der gescheiterten Offensive gehen der Ukraine die Soldaten aus. Das Militär will daher 500.000 Mann nachverpflichten. Zum Vergleich: Das sind fast drei Mal so viele Männer, wie aktuell in der Bundeswehr dienen. Eine solche Aufstockung wird nicht möglich sein ohne die Wehrpflichtigen, die sich ins Ausland abgesetzt haben – vor allem nach Deutschland.
Das bringt die Ampel in ein Dilemma – vor allem die einstige Partei des Pazifismus. Dass diese im Zusammenhang mit der Ukraine all ihre Grundsätze über Bord geworfen hat, haben ihre Anhänger verziehen. Die Älteren unter diesen Anhängern haben in den 80ern jeden moralisch verurteilt, der nicht für Pazifismus war und tun dies heute mit jedem, der nicht dagegen ist. Grüne Jakobiner haben mit solchem Twist kein Problem – in der Kurve zeigt sich die Linientreue. Doch der grüne 180-Grad-Schwenk war auch deshalb möglich, weil das Kriegsgeschehen in der Ukraine bisher abstrakt war. Für Deutsche: Bilder aus einem fernen Land. Vorzensiert. Mitunter in ihrer Herkunft fragwürdig.
Doch mit den ukrainischen Wehrpflichtigen in Deutschland wird es konkret. Wollen eine Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und eine Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Ukrainer zwangsweise ihrem Vaterland überlassen, wenn dort Schlachten mit einer Überlebenswahrscheinlichkeit von 20 Prozent auf sie warten? Das gibt hunderttausende Männer, die sich an RTL, die Bunte oder die jeweilige Lokalzeitung wenden können, um mit Tränen in den Augen zu bitten, dass sie im sicheren Deutschland bleiben dürfen. Um es im Sinne von Angela Merkel (CDU) zu sagen: keine schönen Bilder.
Zwar werden die grünen Journalisten versuchen, der Ampel zu helfen. Vor allem im Staatsfunk verteidigen sie stärker grüne Lebenslügen als ein Achtjähriger seinen Glauben an den Weihnachtsmann. Doch wird das tragen? Im Falle von Moldau und Georgien hat es funktioniert. Die beiden Länder hat die Ampel zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt und diesen Schritt auf ihrem Punktekonto in Sachen Kampf gegen Einwanderung verbucht.
Doch der Hintergrund ist ein anderer: Zwar droht den beiden Staaten ein Krieg, aber sie führen ihn noch nicht. Da war es leicht, so zu tun, als ob die Entscheidung nichts mit der Wehrpflicht zu tun habe – was aber so ist. Das wird in Sachen Ukraine anders sein – da wird es jedem Betroffenen klar sein, um was es für ihn geht, und auf staatsnahe Medien kommt eine Heidenarbeit zu, das schönzureden.
Wie sehr sich Deutschland in der Frage spreizen wird, hat bereits ein erster Aufschlag des ukrainischen Militärs gezeigt. Die deutsche Reaktion: Justizminister Marco Buschmann (FDP) will für den Verbleib der ukrainischen Wehrpflichtigen in Deutschland kämpfen. Erledigt er das so überzeugend und erfolgreich wie seine Jagd auf die Saboteure der Nord-Stream-Pipeline, können sich ukrainische Männer in Deutschland schon mal nach ihrer Konfektionsgröße für Uniformen erkundigen.
Roderich Kiesewetter hat einen besonders hübschen Vorschlag gemacht: Wer bisher in Deutschland Schutz gefunden hat, solle in der Ukraine nach der Rückkehr nur im Heimatschutz eingesetzt werden. Das ist das Schöne an Deutschland: seine Inklusion. Du kannst dich als komplett weltfremd erweisen und dennoch als Experte hofiert werden. Wer außer Kiesewetter kann sich die folgende Ansprache eines ukrainischen Feldwebels vorstellen? „Du hast dich bisher in Sicherheit gebracht, während wir unser Leben riskiert haben? Schön, dass du jetzt da bist, setz dich, es reicht, wenn du ab und zu ans Telefon gehst. Kann ich dir noch einen Tee machen, bevor ich in den Tod ziehe? Nein, dann mach’s dir bequem und tu dir nicht weh. Falls ich doch zurückkomme, mach‘ ich was zu essen.“ Vorschläge wie die von Kiesewetter kommen zustande, wenn jemand den Krieg nur aus dem Fernsehen und von inszenierten Truppenbesuchen kennt.
Wie es um den Krieg in der Ukraine steht, erfahren die Deutschen aus den Medien. Doch, doch. Das tun sie. Sie müssen nur genauer hinsehen. 2022 und Anfang 2023 brachte die Bild gefühlt dreimal die Woche Meldungen, dass Putin todkrank sei oder kurz vor dem Sturz stehe. Drei Tage die Woche war genauso zu lesen, dass die Ukraine bald die entscheidende Schlacht gewinne. Dazwischen gab es eine Analyse über Putins baldiges Ende und den bevorstehenden Sieg der Ukraine. Doch diese Berichte sind Vergangenheit. Es geht auch nicht mehr um ukrainische Drohnenangriffe auf Russland, sondern um über der Ukraine abgeschossene russische Drohnen. Am Duktus des baldigen Sieges hält die Bild dabei fest – nur die Orte des Kampfgeschehens haben sich verschoben. Entscheidend verschoben.
Bisher sind deutsche Medien und Politik an der Seite der Ukraine marschiert: mit Geld, Waffen und schöngefärbter Berichterstattung – hart an der Grenze zur Propaganda. Männer in einen wahrscheinlichen Tod zurückzuschicken, dürfte der Ampel bedeutend schwerer fallen. Wie heikel die Frage ist, zeigt sich daran, wer sich bisher zu Wort gemeldet hat: ein Hinterbänkler, der medial vom Krieg lebt, und ein Minister, der schon bewiesen hat, dass er ein Leichtgewicht ist – spätestens, als Karl Lauterbach (SPD) Buschmann bei den Corona-Verhandlungen wie einen Schoßhund vorgeführt hat. Klügere Politiker als er schweigen noch zu dem Thema. Die Frage der geflohenen ukrainischen Wehrpflichtigen ist zu heikel.