Tichys Einblick
Islamdebatte

Strategie und Taktik im christdemokratischen Bruderkrieg

Seehofer hofft, mit seinen Aussagen zum Islam nicht nur die AfD in Bayern zurückzudrängen, sondern nach dem Vorbild der ÖVP dadurch auch einen integrationspolitischen Richtungswechsel in der Koalition herbeizuführen. Merkel betet deswegen möglicherweise heimlich für den Erfolg der AfD in Bayern.

© Michele Tantussi/Getty Images

„Die Strategie ist der Gebrauch des Gefechts zum Zwecke des Krieges; sie muss also dem kriegerischen Akt ein Ziel setzen, welches dem Zweck desselben entspricht, d.h. sie entwirft den Kriegsplan, und an dieses Ziel knüpft sie die Reihe der Handlungen an, welche zu demselben führen sollen, d.h sie macht die Entwürfe zu den einzelnen Feldzügen und ordnet in diesen die einzelnen Gefechte an.“ Mit diesen Worten hat der preussische General, Heeresreformer und Militärtheoretiker Carl von Clausewitz im Jahr 1832 das Zusammenspiel von Strategie und Taktik in der Kriegsführung treffend beschrieben. Seine diesbezüglichen Ausführungen gelten jedoch keineswegs nur für die Kriegsführung, die laut Clausewitz nur „eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ ist; sie gelten vielmehr in allen politischen Interessenkonflikten, egal ob sich diese zwischen Ländern, innerhalb eines Landes oder selbst innerhalb politischer Parteien abspielen.

Für Letzteres erleben wir in Gestalt der Konflikte um eine Obergrenze und die Rolle des Islam in Deutschland, die seit der Öffnung der europäischen Grenzen für „Flüchtlinge“ zwischen CDU und CSU ausgetragen werden, geradezu ein Paradebeispiel. Befeuert wird dieser Bruderkrieg in erster Linie von den Stimmenverlusten, die CDU und CSU bei den letzten Landtagswahlen und der Bundestagswahl hinnehmen mussten und die der CSU bei der anstehenden Landtagswahl in Bayern zusätzlich drohen.

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In der Zielsetzung sind sich die beiden Parteien dabei einig. Sie wollen insbesondere die an die AfD verloren gegangenen Wähler wieder zurückgewinnen und zusätzlich dafür sorgen, dass diese Partei aus den Parlamenten, in die sie mit teils erheblichen Stimmenanteilen gewählt worden ist, wieder verschwindet und in weitere nicht mehr gewählt wird. Es geht also um die möglichst umfassende Zurückschlagung und Vernichtung eines neu entstandenen politischen Gegners, die spätestens seit dessen Wahlerfolgen keineswegs nur von den beiden christdemokratischen Parteien, sondern von allen im Bundestag vertretenen etablierten Parteien in einer Art überparteilicher Feinderklärung zum gemeinsamen strategischen Ziel erklärt worden sind. Diese beruht durchaus auf Beidseitigkeit, da auch die AfD nicht müde wird, ihre radikale Gegnerschaft (Feindschaft) gegenüber den „Altparteien“ zu betonen, die sie in den Parlamenten erklärtermaßen jagen möchte.

Folgt man dem Juristen und Staatstheoretiker Carl Schmitt, dann hat mit diesen gegenseitigen Feinderklärungen das Prinzip des Politischen wieder Einzug in den Bundestag gehalten, nachdem dort jahrelang das Prinzip der politischen Konfliktarmut vorherrschte. Politik beruht seiner Meinung nach nämlich kategorial auf „der Unterscheidung von Freund und Feind.“ Diese Unterscheidung hat laut Schmitt den Sinn, „den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen.“ Das Wesen des politischen Feinds zeichnet sich daher dadurch aus, „dass er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so dass im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines unbeteiligten und daher unparteiischen Dritten entschieden werden können.“

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Dieser Schmittschen Feind-Charakterisierung des politischen Gegners folgen die etablierten Parteien gegenüber der AfD derzeit ebenso, wie umgekehrt die AfD gegenüber den etablierten Parteien. Diese haben dabei allerdings das Problem, mit ihrer Feinderklärung gegenüber der AfD deren Wähler, die sie von der AfD wieder zurückholen wollen, mit zu ihren Feinden zu erklären. Damit gewinnt man aber keine Wähler zurück. Daher versuchen sie, zwischen der Partei und deren Wählern zu unterscheiden. Handelt es sich bei den Parteimitgliedern um echte Feinde, sind die Wähler der Partei bloße Mitläufer, die aus Frustration und Angst vor der Zukunft oder aufgrund falscher Informationen aus Protest eine Partei wählen, die in keinster Weise ihren Interessen entspricht. Ob und in welchem Ausmaß eine solche, eher kryptische Unterscheidung zwischen Freund und Feind angesichts des politisch-medialen Bombardements auf die AfD, deren Mitglieder und Anhänger auf Dauer bei den Wählern verfängt, wird man sehen. Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass die Regierungsparteien mit ihren Ausgrenzungsversuchen mittels Stigmatisierung viele Wähler der AfD noch mehr in deren Arme treiben, als sie dies durch ihre Politik der letzten Jahre ohnehin schon getan haben.

Hinzu kommt, dass die CDU zusammen mit der SPD sowie den im Bundestag schon lange oder wieder vertretenen Oppositionsparteien zwar die Mitglieder und Anhänger der AfD zu ihrem innenpolitischen Hauptfeind erklärt, nicht jedoch die Mitglieder und Anhänger des politisch-fundamentalistischen Islam, der nicht nur Deutschland, sondern der ganzen westlichen Welt den Krieg erklärt hat. So ist jedenfalls die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zu verstehen, in der sie unmissverständlich erklärt hat, das Hauptziel ihrer Politik bestehe darin, die AfD wieder aus dem Bundestag zu verdrängen, indem dem Rechtspopulismus durch sozialpolitische Maßnahmen der gesellschaftliche Boden entzogen werden soll. Das mag zwar darin begründet sein, dass seit dem 24. September nicht eine islamistische, sondern eine rechtspopulistisch genannte Partei in den Bundestag eingezogen ist, wirft aber gleichwohl die Frage auf, warum die Feinderklärung sich gegen eine von mehreren Millionen Bürgern demokratisch gewählte Partei und nicht gegen einen demokratisch nicht legitimierten, politisch-fundamentalistischen Islam richtet, dessen erklärtes Ziel die Eroberung und Vernichtung der westlich-abendländischen Kultur ist.

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So lange derlei Feinderklärungen nur in den islamischen Ländern geäußert worden sind, sahen sich die europäischen Regierungen, inclusive der deutschen, nicht gezwungen, sich derlei verbalen Attacken zu stellen. Seit der politisch-fundamentalistische Islam aber nicht nur in seinen Herkunftsländern, sondern auch in Europa an Boden gewinnt, sowie dort in Gestalt des Islamismus zunehmend zum Mittel des Terrors greift, hat sich die Sachlage auch in Deutschland gravierend geändert. Dies ist nicht zuletzt auch eine Folge der Politik der offenen Grenzen, die von der Bundesregierung bis heute nicht abgestellt wurde. Die Gefährdung durch islamistische Dschihadisten hat laut deutschen Geheimdiensten seit 2015 deutlich zugenommen. Darüber hinaus ist jetzt schon zu erkennen, dass der politisch-fundamentalistische Islam in Deutschland nicht nur weiteren Zulauf durch die Entwicklungen in der Türkei, sondern auch durch die muslimische Zuwanderung aus dem Nahen Osten und Nordafrika bekommt.

Zwar sind keineswegs alle aus diesen Ländern gekommenen Muslime Islamisten, ihr Anteil unter ihnen ist heute aber gewiß weit höher als etwa zu Zeiten der ersten Gastarbeiterwellen aus der Türkei oder aus Nordafrika, als es dort noch keine nennenswerten politisch-fundamentalistischen Gruppierungen oder Parteien gab. Die in diesem Zusammenhang von allen Refugee-Welcome-Verfechtern gerne geäußerte Behauptung, alle zugewanderten Muslime suchten in Europa unter anderem Schutz vor dem Islamismus, ist durch die Tatsachen inzwischen als eine der vielen Beruhigungspillen widerlegt, mit denen auch die Regierung unter Merkels Führung immer wieder versucht, die eigene Bevölkerung zu sedieren.

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Nicht nur die AfD, sondern offenbar auch die CSU ist, im Unterschied zu allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien, nicht bereit, dies mitzutragen. Die CSU will, wie ihre Schwesterpartei, zwar die AfD wieder aus dem Bundestag drängen und zuvor schon dafür sorgen, dass sie nicht in den bayerischen Landtag einzieht; dabei bedient sie sich jedoch einer ihrer Schwesterpartei diametral entgegengesetzten Taktik, die sie sich vermutlich bei Sebastian Kurz in Österreich abgeschaut hat. Sie übernimmt Positionen der AfD nicht nur in der Migrations-, sondern auch in der Islamfrage. Nachdem Seehofer aus seiner Sicht das Gefecht mit seinen Koalitionspartnern von CDU und SPD in Fragen der Begrenzung der Massenzuwanderung gewonnen hat, steht als nächstes Thema offenbar die Frage auf seinem Gefechstplan, wie mit dem politisch-fundamentalistischen Islam in Deutschland umgegangen werden soll.

Allein dieser ist nämlich mit dem generalisierenden Ausspruch ins Visier genommen, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Er fungiert als Antithese zu der vom früheren Bundespräsidenten in die Welt gesetzten und der Kanzlerin mehrfach wiederholten, ebenso generalisierenden These, der Islam gehöre zu Deutschland. Seehofer eröffnet damit eine Art Dreifrontenkrieg sowohl gegenüber seinen Koalitionspartnern wie auch gegenüber der FDP, den Grünen und der Linken, vor allem aber gegenüber den islamischen Verbänden in Deutschland. Diese stehen bis heute gerade seitens muslimischer Islamkritiker (Häretiker) wie Bassam Tibi, Hamed Abdel Samad oder Ahmad Mansour in der Kritik, in der Frage des politisch-fundamentalistischen Islam keine klaren Positionen zu beziehen und stattdessen lieber zu lavieren.

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Solange dies zutrifft, ist Alexander Dobrindts Aussage zuzustimmen, der Islam gehöre, „egal in welcher Form“, nicht zu Deutschland. Hinter ihr steht der Versuch, die islamischen Verbände nach Jahren der Diskussion in- und außerhalb von Islamkonferenzen und an irgendwelchen sonstigen runden Tischen dazu zu zwingen, sich dem Kampf gegen den politisch-fundamentalistischen Islam nicht nur in Worten, sondern auch in Taten anzuschließen. Dies ist die Conditio sine qua non aller politisch-kulturellen Integration der in Europa lebenden Muslime in seine vom Christentum, Judentum und der religionskritischen Aufklärung geprägten Gesellschaften. Dabei kann und sollte nicht von jedem einzelnen Muslim erwartet werden, dass er sich in dieser Frage offen positioniert und aktiv engagiert; viele von ihnen leben einen rein spirituellen Islam und wollen mit Politik, gleich welcher Art, nichts zu tun haben. Eine solche Toleranz kann aber nicht gegenüber den islamischen Verbänden gelten, die sich als politische Sprachrohre der Muslime in Deutschland verstehen und sich schon alleine deswegen in Fragen des islamischen Fundamentalismus eindeutig zu positionieren und zu verhalten haben.

Ob Seehofers Gefechtsplan aufgeht, ist durchaus offen. Merkels CDU hat er nicht an seiner Seite, ebenso wenig die SPD, ganz zu schweigen von der FDP, den Grünen und der Linken. Einzig die AfD teilt in der Zuwanderungs- und Islamfrage weitgehend seine Positionen; diesen Partner will er mit diesen Positionen aber gerade vernichten. Eine ebenso komplexe wie schwierige, um nicht zu sagen verrückte Gefechtslage, bei der der Feldherr offenbar alles in der Hoffnung auf eine Karte setzt, dass die CSU nach der anstehenden Landtagswahl in Bayern wieder alleine weiterregieren kann und die AfD deutlich unter dem Stimmenanteil liegt, den sie bei der Bundestagswahl in Bayern erreicht hat. Sollte diese Rechnung aufgehen, hat Seehofer nicht nur zwei Gefechte gegen Merkel, sondern den gesamten zuwanderungs- und integrationspolitischen „Krieg“ zwischen CSU und CDU gewonnen. Der CDU wird dann nämlich nichts anderes übrig bleiben, als auf die von Sebastian Kurz inspirierte zuwanderungs- und integrationspolitische Linie der CSU einzuschwenken. Geht Seehofers Rechnung hingegen nicht auf, wird mit tatkräftiger Unterstützung der SPD Merkels Linie in Fragen der Zuwanderungs- und Integrationspolitik fortgeführt. Vielleicht beten Merkel, Kauder, Scholz und Nahles vor diesem Hintergrund heimlich für den Erfolg der AfD in Bayern.


Roland Springer arbeitete als Führungskraft in der Autoindustrie. Er gründete im Jahr 2000 das von ihm geleitete Institut für Innovation und Management. Sein Buch Spurwechsel – Wie Flüchtlingspolitik wirklich gelingt erhalten Sie in unserem Shop www.tichyseinblick.shop

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