„Die Strategie ist der Gebrauch des Gefechts zum Zwecke des Krieges; sie muss also dem kriegerischen Akt ein Ziel setzen, welches dem Zweck desselben entspricht, d.h. sie entwirft den Kriegsplan, und an dieses Ziel knüpft sie die Reihe der Handlungen an, welche zu demselben führen sollen, d.h sie macht die Entwürfe zu den einzelnen Feldzügen und ordnet in diesen die einzelnen Gefechte an.“ Mit diesen Worten hat der preussische General, Heeresreformer und Militärtheoretiker Carl von Clausewitz im Jahr 1832 das Zusammenspiel von Strategie und Taktik in der Kriegsführung treffend beschrieben. Seine diesbezüglichen Ausführungen gelten jedoch keineswegs nur für die Kriegsführung, die laut Clausewitz nur „eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ ist; sie gelten vielmehr in allen politischen Interessenkonflikten, egal ob sich diese zwischen Ländern, innerhalb eines Landes oder selbst innerhalb politischer Parteien abspielen.
Für Letzteres erleben wir in Gestalt der Konflikte um eine Obergrenze und die Rolle des Islam in Deutschland, die seit der Öffnung der europäischen Grenzen für „Flüchtlinge“ zwischen CDU und CSU ausgetragen werden, geradezu ein Paradebeispiel. Befeuert wird dieser Bruderkrieg in erster Linie von den Stimmenverlusten, die CDU und CSU bei den letzten Landtagswahlen und der Bundestagswahl hinnehmen mussten und die der CSU bei der anstehenden Landtagswahl in Bayern zusätzlich drohen.
Folgt man dem Juristen und Staatstheoretiker Carl Schmitt, dann hat mit diesen gegenseitigen Feinderklärungen das Prinzip des Politischen wieder Einzug in den Bundestag gehalten, nachdem dort jahrelang das Prinzip der politischen Konfliktarmut vorherrschte. Politik beruht seiner Meinung nach nämlich kategorial auf „der Unterscheidung von Freund und Feind.“ Diese Unterscheidung hat laut Schmitt den Sinn, „den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen.“ Das Wesen des politischen Feinds zeichnet sich daher dadurch aus, „dass er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so dass im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines unbeteiligten und daher unparteiischen Dritten entschieden werden können.“
Hinzu kommt, dass die CDU zusammen mit der SPD sowie den im Bundestag schon lange oder wieder vertretenen Oppositionsparteien zwar die Mitglieder und Anhänger der AfD zu ihrem innenpolitischen Hauptfeind erklärt, nicht jedoch die Mitglieder und Anhänger des politisch-fundamentalistischen Islam, der nicht nur Deutschland, sondern der ganzen westlichen Welt den Krieg erklärt hat. So ist jedenfalls die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zu verstehen, in der sie unmissverständlich erklärt hat, das Hauptziel ihrer Politik bestehe darin, die AfD wieder aus dem Bundestag zu verdrängen, indem dem Rechtspopulismus durch sozialpolitische Maßnahmen der gesellschaftliche Boden entzogen werden soll. Das mag zwar darin begründet sein, dass seit dem 24. September nicht eine islamistische, sondern eine rechtspopulistisch genannte Partei in den Bundestag eingezogen ist, wirft aber gleichwohl die Frage auf, warum die Feinderklärung sich gegen eine von mehreren Millionen Bürgern demokratisch gewählte Partei und nicht gegen einen demokratisch nicht legitimierten, politisch-fundamentalistischen Islam richtet, dessen erklärtes Ziel die Eroberung und Vernichtung der westlich-abendländischen Kultur ist.
Zwar sind keineswegs alle aus diesen Ländern gekommenen Muslime Islamisten, ihr Anteil unter ihnen ist heute aber gewiß weit höher als etwa zu Zeiten der ersten Gastarbeiterwellen aus der Türkei oder aus Nordafrika, als es dort noch keine nennenswerten politisch-fundamentalistischen Gruppierungen oder Parteien gab. Die in diesem Zusammenhang von allen Refugee-Welcome-Verfechtern gerne geäußerte Behauptung, alle zugewanderten Muslime suchten in Europa unter anderem Schutz vor dem Islamismus, ist durch die Tatsachen inzwischen als eine der vielen Beruhigungspillen widerlegt, mit denen auch die Regierung unter Merkels Führung immer wieder versucht, die eigene Bevölkerung zu sedieren.
Allein dieser ist nämlich mit dem generalisierenden Ausspruch ins Visier genommen, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Er fungiert als Antithese zu der vom früheren Bundespräsidenten in die Welt gesetzten und der Kanzlerin mehrfach wiederholten, ebenso generalisierenden These, der Islam gehöre zu Deutschland. Seehofer eröffnet damit eine Art Dreifrontenkrieg sowohl gegenüber seinen Koalitionspartnern wie auch gegenüber der FDP, den Grünen und der Linken, vor allem aber gegenüber den islamischen Verbänden in Deutschland. Diese stehen bis heute gerade seitens muslimischer Islamkritiker (Häretiker) wie Bassam Tibi, Hamed Abdel Samad oder Ahmad Mansour in der Kritik, in der Frage des politisch-fundamentalistischen Islam keine klaren Positionen zu beziehen und stattdessen lieber zu lavieren.
Ob Seehofers Gefechtsplan aufgeht, ist durchaus offen. Merkels CDU hat er nicht an seiner Seite, ebenso wenig die SPD, ganz zu schweigen von der FDP, den Grünen und der Linken. Einzig die AfD teilt in der Zuwanderungs- und Islamfrage weitgehend seine Positionen; diesen Partner will er mit diesen Positionen aber gerade vernichten. Eine ebenso komplexe wie schwierige, um nicht zu sagen verrückte Gefechtslage, bei der der Feldherr offenbar alles in der Hoffnung auf eine Karte setzt, dass die CSU nach der anstehenden Landtagswahl in Bayern wieder alleine weiterregieren kann und die AfD deutlich unter dem Stimmenanteil liegt, den sie bei der Bundestagswahl in Bayern erreicht hat. Sollte diese Rechnung aufgehen, hat Seehofer nicht nur zwei Gefechte gegen Merkel, sondern den gesamten zuwanderungs- und integrationspolitischen „Krieg“ zwischen CSU und CDU gewonnen. Der CDU wird dann nämlich nichts anderes übrig bleiben, als auf die von Sebastian Kurz inspirierte zuwanderungs- und integrationspolitische Linie der CSU einzuschwenken. Geht Seehofers Rechnung hingegen nicht auf, wird mit tatkräftiger Unterstützung der SPD Merkels Linie in Fragen der Zuwanderungs- und Integrationspolitik fortgeführt. Vielleicht beten Merkel, Kauder, Scholz und Nahles vor diesem Hintergrund heimlich für den Erfolg der AfD in Bayern.
Roland Springer arbeitete als Führungskraft in der Autoindustrie. Er gründete im Jahr 2000 das von ihm geleitete Institut für Innovation und Management. Sein Buch Spurwechsel – Wie Flüchtlingspolitik wirklich gelingt erhalten Sie in unserem Shop www.tichyseinblick.shop