Mit einem Interview in der Stuttgarter Zeitung vom 29. März hat sich nun auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann in die von Horst Seehofer erneut initiierte Islamdebatte eingeklinkt. Seine Äußerungen zeigen, dass Seehofers Aussage, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, selbst die Grünen dazu zwingt, sich erneut zur Rolle des Islam in Deutschland zu positionieren. Kretschmann tut dies allerdings zunächst nicht entlang der üblichen islamophilen grünen Religionsfolklore. Stattdessen beginnt er sein Interview wider Erwarten mit der Frage, wie in einem christlich geprägten, säkularen Land mit einer Religion umzugehen ist, die weder die Trennung von Staat und Religion noch ein Primat der Politik gegenüber der Religion kennt.
Gesetzlich verankerte Sonn- und Feiertage sind kulturelles Gut
Die christliche Prägung des Landes findet laut Kretschmann unter anderem seinen Niederschlag in den Sonn- und Feiertagen. Der Staat habe diese Tage verfassungsgemäß zu schützen und dürfe keine neuen schaffen. „Das kulturelle Gut bleibt. Wir werden auch den Muslimen keine neuen gesetzlichen Feiertage geben, ich jedenfalls nicht.“ Gleichwohl gelte für den Islam das grundgesetzlich geschützte Recht der Religionsfreiheit. Kretschmann betont aber, dass es Religionsfreiheit nur unter, nicht über dem Gesetz gebe. Dies unterscheide den Islam vom Islamismus. Da die meisten Muslime inzwischen aus Ländern nach Deutschland kommen, „in denen es die Trennung von Staat und Kirche nicht gibt“ und das öffentliche Bild vom Islam zunehmend „durch fundamentalistische, ja terroristische Strömungen“ geprägt sei, müssten die Muslime in Deutschland zeigen, „dass von ihren religiösen Orten Frieden ausgeht – und dass nichts gepredigt wird, was gegen die Verfassung verstößt.“
Buntheit und damit Profil, oder undefinierbare Mischfarbe
Die naheliegende Frage, wie dieser Umgang zu gestalten ist, wenn solche Gruppierungen der Meinung sind, ihren Mitmenschen ihre Orthodoxie mit Kalaschnikows und Sprengstoffgürteln nahe bringen zu müssen, erspart der Interviewer Kretschmann. Dafür kritisiert dieser gegen Ende seines Interviews das Leitbild eines „Melting Pot“, das fälschlicherweise davon ausginge, „im Schmelztiegel assimilieren oder integrieren sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen.“ Diese Annahme habe sich als falsch erwiesen. Er gehe daher inzwischen vom Leitbild einer „Salad Bowl“ (Salatschüssel) aus, „das ist unsere Verfassungsordnung, und darin herrscht Buntheit.“ Diese Buntheit, zu der laut Kretschmann nicht nur Muslime und andere Migranten, sondern auch Einheimische zählen, die Deutschland nicht für ein Einwanderungsland halten, gelte es zusammenzuhalten.
Kretschmann landet so nach einigen vielversprechenden Einsichten wieder bei der multikulturellen Vielfältigkeits- und Buntheitsvision seiner Parteifreunde, mit dem Unterschied allerdings, dass er, anders als diese, die Gegner dieser Vision als zu akzeptierende Beigabe in seiner Salatschüssel betrachtet. Ungeachtet der Frage, ob die Gleichsetzung des Grundgesetzes mit einer Salatschüssel dem Charakter unserer Verfassung wirklich gerecht wird, gehen die verschiedenen Zutaten eines Salats keinerlei gegenseitige Verbindungen miteinander ein, sondern werden mit Essig und Öl, Salz und Pfeffer sowie Kräutern übergossen und dann kräftig durchgemischt. Ob mit diesem Modell, wie von Kretschmann gefordert, die Herzen der Muslime für Deutschland gewonnen werden können, sollte sich der baden-württembergische Ministerpräsident vielleicht noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Die Herzen der Einheimischen wird er damit wohl eher nicht entflammen.
Roland Springer arbeitete als Führungskraft in der Autoindustrie. Er gründete im Jahr 2000 das von ihm geleitete Institut für Innovation und Management. Sein Buch Spurwechsel – Wie Flüchtlingspolitik wirklich gelingt erhalten Sie in unserem Shop www.tichyseinblick.shop