Ende Februar 2021 wurde eine 120 Seiten starke „Vorstudie“ über die pädosexuellen Netzwerke Berlins bekannt. Diese Studie, die im Auftrag der „Unabhängigen Kommission für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs“ erstellt wurde, förderte unfassbare Abgründe zutage (siehe hier).
Die beiden Autoren Iris Hax (Historikerin) und Sven Reiß (Kulturwissenschaftler) hatten die Klein- und Kleinstarchive der Schwulen-, Lesben- und Alternativszene durchforstet und zahlreiche Zeitzeugen und Betroffene befragt. Die „Pädo“-Szene, so ein Ergebnis, hatte sich nicht nur im Fahrwasser der Homosexuellenbewegung, sondern auch im Umfeld der Alternativkultur sowie der alternativen Pädagogik und der Autonomenszene entfalten können. „Gleichwohl stand ein Großteil der linksalternativen bzw. autonomen Szene dem Missbrauch – insbesondere von Jungen – eher gleichgültig gegenüber, hat weggesehen und missbrauchende Lebensweisen in den eigenen Reihen geduldet, wenn nicht sogar unterstützt“, heißt es in der Vorstudie. West-Berlin wurde jedenfalls zu einer „Metropole der Päderastie“. Der Kinderstrich um den Bahnhof Zoo war als pädosexuelles Eldorado allgemein bekannt und wurde sogar in Reiseführern propagiert.
Heike Schmoll (FAZ) hat sich die Studien sehr genau angesehen und sich nicht gescheut, das zeitgeschichtliche Umfeld dieser erschreckenden Entwicklung vor allem in den 1970 und 1980er Jahren auszuleuchten. Das Ganze stand nämlich im Zeichen der sexuellen Revolution und der endgültigen Abschaffung des Homosexuellen-Paragraphen 175 im Jahr 1994. Eine Rolle spielten dabei auch Bestrebungen, den sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen und kinderpornographische Abbildungen (Paragraphen 174 und 176 des Strafgesetzbuchs) zu entkriminalisieren und dabei sogar „Kinderrechte“ zu bemühen.
Interessant ist, dass sich sogar die „tageszeitung“ mit der aktuellen Studie ziemlich objektiv auseinandersetzt. So prangert die „taz“ etwa an, dass Berlins Jugendämter von Ende der 1960er Jahre bis 2001 Pflegekinder in die Obhut vorbestrafter Sexualstraftäter gaben. Eine entsprechende Studie vom Juni 2020 hatte aufgezeigt, dass das pädosexuelle Netzwerk also in die Behörden hineinreichte. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei der 2008 verstorbene Pädagogikprofessor Helmut Kentler. Er setzte sich für die Legalisierung von Sex mit Minderjährigen ein und war als Gutachter für den Berliner Senat sowie verschiedene Jugendämter tätig.
Die grün-alternativen Hintergründe
Als „zentral“ nennt die „taz“ die Frage nach der Verantwortung namentlich einer Pädagogik und Sexualforschung, die Räume schufen, in denen Kinder sexuelle Gewalt erlitten. Allerdings darf man bei der „taz“ auch anfügen, dass sie bis vor kurzem selbst beteiligt war, Pädosexualität zu bagatellisieren oder gar zu vertuschen. Als der „taz“-Journalist Christian Füller im August 2013 einen Bericht über die pädosexuelle Vergangenheit des „grünen“ Politikers „Dany“ Cohn-Bendit veröffentlichen wollte, wurde dieser Bericht von der damaligen “taz“-Chefredakteurin Ines Pohl gestoppt. In der Langfassung erschien Füllers Artikel dann am 14. September 2013 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).
Wenig später kündigte Indes Pohl Christian Füller wegen seiner grünenkritischen Berichterstattung. Am Rande: Indes Pohl ist seit 2017 Chefredakteurin der staatlichen Deutschen Welle.
Konkreter Anlass für Füllers damalige Reportage war die Verleihung des Theodor-Heuß-Preises an Cohn-Bendit. Der vorgesehene Laudator Andreas Voßkuhle, damals Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hatte sich kurzfristig geweigert, die Laudatio zu halten. Der junge Cohn-Bendit hatte Mitte der 1970er Jahre im Frankfurter Kinderladen gearbeitet und laut eigenem Bericht sich von Kindern den Hosenlatz öffnen und streicheln lassen. Er distanziert sich immer wieder davon, bagatellisiert seinen Bericht aber noch 2010: „Das war kein Tatsachenbericht, sondern schlechte Literatur“.
In der Debatte um den Missbrauch vertrat Füller die These, dass Pädosexualität bei den Grünen „keine Nebensache“ gewesen, sondern „in der grünen Ideologie angelegt“ sei. 2015 hat sich dies massiv bestätigt. Der Göttinger Parteienforscher Franz Walter erinnerte die „Grünen“, dass sie sich in ihrem ersten Grundsatzprogramm aus dem Jahr 1980 für eine weitgehende Legalisierung sexueller Beziehungen von Erwachsenen mit Kindern und Schutzbefohlenen ausgesprochen hatten. Einen Sinneswandel gab es bei den Grünen erst später. Formell aufgehoben wurde deren Forderung nach einer Legalisierung der Pädosexualität erst 1993 während des Zusammenschlusses der Grünen mit dem ostdeutschen Bündnis 90.
Zweierlei Maß?
Eine Anmerkung noch: Während ARD und ZDF zu Recht nicht müde werden, den Missbrauch von Kindern anzuprangern, der in den Kirchen stattgefunden hat, vernimmt man zur jüngsten Studie über Pädosexualität in Berlin und deren grün-alternatives Umfeld nichts. Man beschäftigt zwar „Faktenfinder“ en masse, aber über die „Vorstudie“ der Aufarbeitungskommission ist nichts zu finden. Ebenso nicht über die Tatsache, dass die Kirchen – wenn auch spät und nicht gerade üppig – Entschädigungen zahlen, der Berliner Senat die Opfer aber noch immer warten lässt.