Tichys Einblick: Heinrich Heine wünschte sich als kritischer Zeitgeist aus dem Exil ein besseres Deutschland. In seinen Nachtgedanken vor 180 Jahren drückte er seine Besorgnis aus: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.“ Was würde wohl der Nationaldichter heute über die Politik mit ihren freiheitsfeindlichen Beschlüssen denken, Herr Papke?
Gerhard Papke: Er würde vermutlich mit all seiner Sprachgewalt vor einem gefährlichen zivilisatorischen Rückschritt warnen, der sich als Fortschritt tarnt. Dass im Jahr 2023 eine Regierung in Deutschland die Menschen zwingen will, biologische Männer als Frauen anzureden, hätte sich wahrscheinlich selbst Heine in seinen schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können.
Heine glaubte damals noch fest: „Deutschland hat ewigen Bestand. Es ist ein kerngesundes Land!“ Können wir darauf noch hoffen?
Das Grundproblem ist, dass Teile der aktuellen Regierung wie Robert Habeck nach eigenem Bekunden mit Deutschland gar nichts anfangen können. Unsere nationale Identität, unsere Kultur, unsere Sprache, die Interessen der Deutschen sind ihnen egal. Nur so lässt sich beispielsweise eine Migrationspolitik erklären, die Millionen Menschen aus vormodernen, islamisch geprägten Gesellschaften nach Deutschland lässt. Die allermeisten von ihnen werden sich nicht integrieren, sondern lebenslang aus Steuermitteln alimentiert werden. Das ist schlichtweg selbstzerstörerisch für unser Land.
Liberale Politik ist vernunftbasiert und der Freiheit verpflichtet. Wir erleben in Deutschland aber gerade ganz im Gegenteil den Großversuch eines ideologiegesteuerten Dirigismus, der in immer mehr Lebensbereiche der Menschen eingreift. Die Regierung will jedem vorschreiben, wie er seine Wohnung zu heizen hat, womit er sich bewegt, was er essen soll und wie er zu denken hat, wenn er nicht als „Klimaleugner“ oder „Rechtspopulist“ auffallen will. Was hat das mit freiheitlicher Politik zu tun?
Kritiker sehen in den Ampelbeschlüssen die Fortsetzung der grünen Merkel-Politik mit anderen Mitteln…
Merkel hat mit ihrer Politik der Beliebigkeit nicht nur die CDU ihrer konservativen Identität beraubt, sondern auch das eigentlich selbstverständliche Bekenntnis zu den Werten und Interessen des eigenen Landes aus der deutschen Politik verdrängt. Genau dort setzen die Grünen an und füllen das Vakuum mit ihrem bizarren eigenen Ideologiegebilde. Die SPD applaudiert. Die FDP macht mit. Allerdings wird es bald, um noch einmal auf Heine zurückzukommen, ein böses Erwachen geben. So langsam dämmert es den Deutschen, was da gerade mit ihnen veranstaltet wird.
Warum macht die FDP-Spitze diesen Amoklauf der Grünen mit?
Es ist ja kein Amoklauf, sondern ein ideologiegetriebener Generalangriff der Grünen, um eine andere Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu erzwingen. Umso mehr stellt sich natürlich die Frage, warum die FDP dabei mitmacht. Leider hat sie sich in den vergangenen Jahren den Grünen auch programmatisch angenähert. Denken Sie nur an das Staatsbürgerschaftsrecht, die Migrationspolitik oder das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz. Statt als Voraussetzung einer Koalition mit SPD und Grünen feste Brandmauern einzuziehen – etwa bei der Nutzung der Kernenergie –, hat sich die FDP auf eine linksgrüne Umgestaltungsagenda eingelassen. Viele FDP-Wähler fühlen sich massiv getäuscht. Für die FDP geht es jetzt nur noch um die nackte Existenz. Nur eine massive und glaubwürdige Distanzierung von den Grünen könnte die Wende bringen. Leider kann ich das momentan nicht erkennen.
Die FDP muss in diesem Jahr gleich drei Landtagswahlen in Bremen, Bayern und Hessen fürchten. Nimmt die Parteiführung das erneute Scheitern wie jüngst in Niedersachsen an der Fünf-Prozent-Hürde in Kauf?
Christian Lindner regiert intern mit Durchhalteparolen. Das wird auch bei weiteren Wahlniederlagen so bleiben. Er hat gezielt dafür gesorgt, dass er mit Ausnahme von Wolfgang Kubicki nur von Jungs umgeben ist, die seine Vorgaben nachbeten. Früher hatte die FDP unterschiedliche Persönlichkeiten, denken Sie nur an Genscher und Lambsdorff. Heute gibt es nur noch Lindner. Scheitert er, wird er in der FDP ein Trümmerfeld hinterlassen. Aber vielleicht wird sie sich im Moment des Scheiterns auch wieder ihrer Grundsätze besinnen. Man sollte die Hoffnung ja nie aufgeben.
Sicher gibt es grüne Fanatiker, aber viele Regierungsmitglieder müssten doch wissen, wie sie mit ihrer Politik – Abschaltung von Kohle- und Kernkraftwerken, Importstopp von Öl, Gas und Kohle aus Russland, Öl- und Gasheizungsverbot ab 2024, Benzin- und Dieselautoverbot ab 2035 usw. – einen nachhaltigen Schaden für die deutsche Gesellschaft anrichten. Wie kann man so etwas guten Gewissens tun?
Ich glaube, diese Frage stellen sich täglich mehr Bürger in Deutschland, die bislang immer ein Grundvertrauen in die Rationalität des Regierungshandelns hatten. Nicht ohne Grund ist unser Parteiensystem im Gegensatz zu vielen anderen Ländern Europas seit 1949 bemerkenswert stabil geblieben. Doch jetzt rumort es. Wenn die Menschen erkennen, dass die Politik sogar die Sicherheit ihres eigenen Zuhauses untergräbt, werden sogar staatsfromme Deutsche unruhig.
Bewahrheitet sich womöglich die These frei nach Karl Marx – revolutionäre Situationen entstehen dann, wenn die Bürger nichts zu verlieren haben als ihre Ketten?
So weit sind wir Gott sei Dank noch nicht.
Zu Beginn der Ampel-Koalition haben viele Wähler noch gehofft, die FDP werde das Prinzip der wirtschaftlichen Vernunft in der neuen Regierung verteidigen. Doch Habeck macht, was er will und hat das Bundesministerium für Wirtschaft mit seinen Spezis vollgestopft, um daraus eine Kampagne-Zentrale der Grünen zu machen. Ludwig Erhard und Otto Graf Lambsdorff drehen sich in ihren Gräbern um. Der FDP fehlt entweder der Wille oder der Schneid, um dem geradezu aberwitzigen Treiben von Habeck endlich Einhalt zu gebieten. Von ihrem früheren Markenkern Wirtschaft ist nichts mehr erkennbar. Gerade deshalb kommt die FDP immer weiter unter die Räder.
Journalisten fallen mehrheitlich als Korrektiv zur Regierung aus. Sie verbreiten lieber gründominierte Politik und verharmlosen die Konsequenzen für die Bürger. Haben Sie in Ihrer langen Zeit als Politiker jemals so viel regierungsfreundliche Medien erlebt?
Nein, das habe ich nicht, und ich hätte es mir auch niemals vorstellen können. Ich bin seit einigen Jahren ehrenamtlicher Präsident der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft in Deutschland und werde in Budapest häufig gefragt, warum ausgerechnet ARD und ZDF die angeblich einseitig regierungsfreundliche Berichterstattung in Ungarn kritisieren. In der Tat: Wenn man in Deutschland Fernsehen oder Radio einschaltet, erlebt man häufig eine Art Regierungsfunk. Aber auch viele Printmedien kommen ihrer journalistischen Wächterrolle kaum mehr nach. Das ist wirklich erschreckend, und es sollte uns alle alarmieren.