Das aktuelle Motto „Die Welt für die Zeit nach der Krise gestalten“ aber stellt Fragen. Und ruft Kritik hervor. Starinvestor George Soros, bekannt für seine Volten und deutlichen Ansagen, wirft den WEF-Machern vor, mit ihrem Motto so zu tun, als wäre „die Krise“ bereits vorbei. In das gleiche Horn stößt der für seinen Optimismus bekannte, frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan. Er fabuliert von „aufregenden und schwierigen Zeiten“. Doch wo noch vor wenigen Jahren die Zeichen auf Beruhigung oder Normalität standen, brechen neue Krisenherde auf. So stand zu erwarten, dass es spannend werde.
America first?
Die USA sind und bleiben wichtig – überall auf der Welt. Aber was die Trump-Administration mit ihren Milliardären will, stößt nirgendwo auf Gegenliebe. Mit einer Ausnahme vielleicht – doch dazu später. Trumps einstündige Rede hat genau das gebracht, was von ihr erwartet worden war. Der Egomane hat vor allem sich selbst gelobt. Und geworben – um Investitionen im vielleicht immer noch freiesten Land der Welt. Vor allem aber für sich. Als er dann noch begann, von Fake News zu reden, wurde er von anwesenden Journalisten ausgebuht. Doch er fährt ungerührt fort. Globale Abneigung stählt.
Wenn nicht Trump, dann Trump
In Davos gibt es fast nur Trump. Und wenn nicht Trump, dann Trump. Und nochmal Trump. Doch eigentlich sagt er nichts. Wesentliches schon gar nicht. Die Manager tun, was sie immer tun, wenn sie scheinbar oder tatsächlich Wichtige vor sich wähnen: Sie applaudieren. Allesamt.
„America first, but not alone!“ variiert Trump sein Motto. Es bedeutet immer noch Amerika. Aber nicht Amerika allein. Oder doch?
Die Wirtschaft läuft gut derzeit in den USA. Das Bruttoinlandsprodukt, die Summe aller im Inland erzeugten Waren und Dienstleistungen, ist im vergangenen Jahr und dem ersten Jahr Trump um fast eine Billion USD auf über 19 Billionen USD geklettert. Trump reklamiert das für sich. Die Experten aber wissen: Wunder kann kein Präsident erwirken. Dieser Trend läuft kontinuierlich seit 2009. Es ist der späte Triumph von Bush und Obama, den ihnen niemand zugesteht. Trumps Steuerreform wird ein Strohfeuer entfachen – und den Haushalt der USA weiter in den Abgrund führen.
Nichts Neues
Nichts Neues. Die Wirtschaftsnationen, die für Trump der alte Westen sind, müssen besser sein. Moderner und stärker bewaffnet, findet der US-Torero. Die NRA-Philosophie der US-Waffenlobby ist nicht neu. Es ist die Urlegende des europäischen Amerika. Trump wird nicht müde, die amerikanische Legende Europa und der NATO vorzuhalten. Am Ende aber bedeutet es nur eines: Kauft Waffen. Kauft mehr Waffen. Kauft amerikanische Waffen!
Nichts Neues. Trump wirbt für bilaterale Abkommen. Er will nicht begreifen, dass so etwas mit EU-Staaten nicht geht. Doch die scheinbare Einfältigkeit kann Kalkül sein, um die EU weiter in die Spaltung zu treiben. Länder wie Polen und Tschechien sind nach ihren Erfahrungen mit dem „großen Bruder“ Russland auf die USA fixiert. Nicht auf Brüssel. Tschechiens Präsident Milos Zeman wirbt für ein EU-Austrittsreferendum. Das ist Harfenmusik in Trumps Ohren.
Nichts Neues. Der Trump’sche Protektionismus mit Handelshemmnissen wie Strafzöllen und Einfuhrsteuern bringt vielleicht Scheinerfolge. Doch Merkantilismus war vorgestern. Die US-Wirtschaft war auch ohne Trump auf dem Weg der Erholung. Der Selbstvermarkter verkauft alte Rezepte als neue Allheilmittel. Auf mittlere Sicht von bis zu zehn Jahren wird diese Politik, die amerikanische Produkte schützen soll, die Wirtschafts- und Sozialstruktur stark belasten und nachhaltig beschädigen. Frankreich ist damit einst in die Revolution gegangen.
Trumps Handelskrieg
Nichts Neues. Zankapfel sind die deutschen Exportüberschüsse. Trump spricht von einem „Handelskrieg“. Auch in Davos. Er fordert, Deutschland möge seine Lohnzurückhaltung aufgeben. Er fordert Exportbeschränkungen. Spricht davon „seine Truppen aufmarschieren“ zu lassen, sollte sich Deutschland nicht bewegen. Das ist so unrealistisch wie Obamas Versuch, die Türkei in die EU zu drücken. So produziert man tatsächlich Handelskriege.
Was man hat, das hat man. Das Interesse der Industrie liegt immer noch mehr in Billiglohnländern als in amerikanischen Binneninvestitionen. Auch wenn einige Großunternehmen mit den in Europa gestohlenen Steuervorteilen nun zurückkehren. Derweil wächst das amerikanische Handelsdefizit ohne Aussicht auf Änderung weiter und der Kongress streitet darum, nicht den Öffentlichen Dienst abwickeln zu müssen.
Die taumelnde Primeuse
Das Tuscheln und Kuscheln zwischen Trump und Theresa May ist nicht verwunderlich. Die Briten hatten Jahrzehnte als vorgelagerter US-Flugzeugträger in der EU fungiert und gerieten in Panik, als die pfiffigen Iren sagten: „Das können wir auch!“ Multinationale Spitzenkonzerne landeten auf der Grünen Insel an. Die EU-Insel lockte mit Billigsteuern und Binnenmarkt.
May schlug in Davos trotz mildem Winter ein eisiger Wind entgegen. Ihr verzweifeltes Werben um ihren Standort Großbritannien wirkte lächerlich. Wer schon wollte mit ihr reden? Zu unprofessionell, zu konzeptionslos, zu wenig lernfähig. Die taumelnde Primeuse der Insel ist ein Leichtgewicht. Nicht nur in den EU-Verhandlungen, sondern auch in ihrem Land. Selbst bei ihren Tories in Partei und Unterhaus. In Davos wusste jeder: Die Optionen der Tories sind mehr als ausgeschöpft. Die Kraft für einen Befreiungsschlag, gleich in welche Richtung – entschwunden. Die Erzählungen der studierten Geographin von der „neuen Freiheit“ wirken nur noch peinlich. Nichts hat sie den umworbenen Unternehmen anzubieten, während die Inselflucht von Unternehmen, Institutionen und Fachleuten nicht aufzuhalten ist. Der Brexit wird zu Britanniens Exit.
Was die Premiumfrau des noch zuckenden Britannien in Davos wirklich will? Sie versucht für die „Zeit danach“ zu werben. Aber nach was?
Nichts Neues: „Das Vereinigte Königreich ist der Anwalt des freien Welthandels“. Legenden von vorgestern, als die Briten noch Weltmacht waren. Erbarmungslos festgehakt in 1850.
Das Interesse der Weltwirtschaftslenker ist bescheiden. Doch der Herr aus den USA macht May kokette Avancen. Da ihr das Wasser bis zum Halse steht, greift sie in Davos nach jedem Strohhalm. Wie im vergangenen Jahrhundert sonnt sie sich im Schein der früheren Kolonialisten. Der US-Präsident wird es richten. Oder vielleicht doch nicht?
Trump will seinen Flugzeugträger vor den Gestaden des Alten Kontinents zurück. Anno 1944. Nach dem Brexit die einzige Chance der Insel, noch ein wenig zu sein. Schafswolle und U-Boote allein reichen nicht, um die Wirtschaft der Insel zu retten. Trump will May. Sie ist billig zu haben. Doch GB wird nicht die verlängerte Werkbank der USA werden, wenn sich Britanniens Türen zu Europa schließen. Doch noch der Exit vom Brexit? Diese Option ist verspielt.
Trumps Waffenbrüder
Trump braucht die Briten als Waffenbrüder. Oder besser als Auxiliari – Hilfstruppen ohne Mitspracherecht. Doch sie sind ihm zu teuer. Noch. Während seine Flugzeugträger der Carrier-Strike-Groups in den US-Stützpunkten vor sich hin rosten und im Mittelmehr und vor Nordkorea fehlen, scheint GB eine preiswerte Alternative.
Trump wird die Insel instrumentalisieren. So wie er immer alles instrumentalisiert, was ihm nützlich scheint. Den Briten fehlt die Vorstellungskraft zu verstehen, wie Deals in Trumps Welt funktionieren. Bei Trump gibt es nur Gewinner und Verlierer. Die Briten erwarten sich von den USA Unterstützung. Wobei, weshalb und für was? Weil die Amis dereinst die Briten in einem harten Unabhängigkeitskrieg vor die Tür gesetzt hatten? Weil die Amis die Briten mehr als einmal vor den Krauts retten mussten? Weil die Amis den Briten mit immensen Krediten über die harte Zeit des Niedergangs halfen – und mit den Rückzahlungen das Empire abschließend überforderten?
Dankbarkeit gehört ohnehin nicht zu Trump Tugenden – es sei denn, er hätte sie einzufordern. Und er wird es tun. Der postkoloniale Schmerz der Briten ist bis heute nicht überwunden. Irgendwann werden sie lernen müssen: Das Empire ist Geschichte. Trump ist Gegenwart.
Wir erinnern uns: Als Trump nach dem verheerenden Hurrikane Maria im November 2017 die verwüstete Enklave Puerto Rico besuchte, gefielen ihm die Strände. Aber Puerto Rico ist für ihn eines dieser „shithole countries“. Sollen sie selbst sehen, wie sie ihren Dreck beseitigen. Er ist wie ein Lionel Messi, der einen Spitzenmaler bezahlt, um an die Wand seiner alten Schule ein Bild von sich malen zu lassen und dann überall erzählt, das würde die Schüler fördern.
Welthandel – auch ohne USA
Während Trump mit dem Präsidialdiktat der presidential order das Freihandelsabkommen NAFTA zwischen den USA, Canada und Mexico canceln will und hofft, dass „Mexico der Verlierer wird“, entwickeln die zehn Asean-Staaten ein eigenes Freihandelsabkommen. RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) wird auch ohne USA mit 18 Billionen USD vierzig Prozent des Welthandels umfassen.
Weltakteur Indien
Indiens Staatschef Narendra Modi verteidigte in Davos mit deutlichen Worten die Globalisierung. Er kritisierte protektionistische Zölle und machte, ohne sie beim Namen zu nennen, die USA dafür verantwortlich, den Welthandel und das wirtschaftliche Wachstum der Schwellenländer zu behindern. America first aus Opferperspektive. Und er verzichtet nicht auf den Seitenhieb auf Dauer-Konkurrent und Nachbar Chinas: „In Indien sorgt die Demokratie für hohen Respekt der Diversität!“ Planwirtschaft? Für Indien ein Auslaufmodell von vorgestern.
Dabei war der 67-jährige Modi als Premier der größten Demokratie der Erde und einer im Westen kaum wahrgenommenen wirtschaftlichen Supermacht selbst vor einigen Jahren noch kurz davor, den RCEP-Pakt platzen zu lassen. Er liebäugelte als ein früher Trump mit Steuerhürden. Heute ist er weiter. Er spricht davon, dass die Schwellenländer besseren Zugang zu Technologie und freien Märkten brauchen. Dabei spricht er nicht mehr von seinem Subkontinent, der gerade in der Spitze ankommt – er spricht von den Entwicklungsländern, in denen er seine Märkte der Zukunft sieht
Der einstige Teehändler und spätere Politikwissenschaftler aus dem Bundesstaat Gurjat fordert nichts. Er erklärt den entwickelten Ländern und Multis ihre Chancen und beschreibt die Notwendigkeiten des Umwelt- und Klimaschutzes. Er zielt auf den Westen, wenn er davon spricht, „dass sich Horizonte auch schnell einmal verändern können.“ Die USA? Für ihn nicht mehr der ultimative Handelspartner. Alternativlos war gestern.
Das sind neue Töne in dem noblen Kurort der Schweizer Hochalpen. Indiens Premier Modi wird zum Champion der Tage – und darüber hinaus.
Das Scheitern des Abbas
Auch die Verlierer der Welt dürfen in Davos aufs Gruppenfoto. Der sogenannte Palästinenserpräsident hatte in Davos einen 20-minütigen Auftritt. Ideenlos und ohne jedes Konzept rekapitulierte er die eingeübte Opferrolle. Die Welt trägt die Schuld an seinem Dilemma. Sie soll es heilen. Doch sie hat dazu keine Lust mehr. Niemand will ihm zuhören.
Abbas greift Trump mit Worten wie „Schande über dich“ an – und hängt doch hilflos am Tropf der USA. Diese Zeit könnte bald vorbei sein. „Statt zu investieren versuchen alle nur noch, ihr Geld aus diesem Gefängnisstaat herauszubringen“, erklärt uns ein Beobachter. Er fragt: „Warum sollten das nun auch noch die westlichen Staaten finanzieren?“
Israel, Iran und mehr
Der Kontrahent steht schon bereit. Der Premier von Medinat Israel weiß: Die Wirtschaft in Israel läuft gut und seine Handelsbeziehungen und Kooperationen funktionieren optimal. Israel exportiert nicht nur Granatäpfel und Avocados – es ist seit Jahrzehnten eine Technologieschmiede mit weltweitem Ruf.
Benjamin Netanyahu lobt den amerikanischen Präsidenten. Vor allem dessen harte Linie gegen Erzfeind Iran. Töne, die Unmut bei der islam-versonnenen, deutschen Wirtschaft auslösen. Sie steht seit dem Atomvertrag von 2015 in den Startlöchern – doch sie schwankt. Deutschland hätte vor allen andern Ländern die besten Chancen auf einen erfolgreichen Superdeal beim wirtschaftlichen Start im ehemaligen Persien. Die gescheiterte Versuche, den iranischen Mörderrichter Shahroudi still und heimlich, gedeckt durch den Tross des umstrittenen Außenministers Sigmar Gabriel, in Deutschland behandeln zu lassen, zielten genau in diese Richtung, meint Deutschlands Kurdenvize Mehmet Tanriverdi.
Selbstverständlich: Das geht auf Kosten von Freiheit und westlichen Werte. Aber wen stört es, wenn der Rubel lockt? Deutschland hat eine selektive Wahrnehmung, aber auch ein umtriebiges Handlungsmuster entwickelt.
„Pragmatismus“ nennt das die Kanzlerin. „Westliche Werte, was war das eigentlich noch?“ fragt der Politikwissenschaftler Tomas Spahn und ist überzeugt, dass der Iran aus der Mittelschicht heraus vor großen Veränderungen steht. „Die Jugend im Iran will einfach nur alles, was andere Jugendliche auf der ganzen Welt auch wollen: Leben.“
Die verschwundene Supermacht
Russland ist immer noch ein bisschen da. Putin gibt sich moderat. Er will seine Machtpolitik legitimieren und mitspielen. Nun spricht er wieder von Energiesicherheit. Scheinbar vorbei das Säbelrasseln gegen EU und NATO. Das scheint nicht unvernünftig, dient aber vor allem dem Ziel, Russlands Rohstoffe an den Mann zu bringen. Gut geht es dem Land seit der mafiösen Gleichschaltung unter einer korrupten Oligarchie nicht. Verstaatlichung der großen russischen Unternehmen, die Verhaftung unbilliger Wirtschaftsbosse und das Embargo blieben nicht ohne Folgen. Hoffnung? Nicht in Sicht.
Ausgerechnet der Kremldiktator war es, der vor Jahren in Davos in edlem Ambiente vor Staatseingriffen warnte: „Ausuferndes Eingreifen in die wirtschaftliche Tätigkeit und das blinde Vertrauen in die Allmacht des Staates wären weitere mögliche Fehler“. Da waren damals nicht nur im Auditorium einige wenig amüsiert. Hätte er doch seine Worte ernst genommen.
Wirtschaftliche Impulse kommen aus Russland keine. Politische auch nicht. Woher auch?
China lächelt und ist überbewertet
Das Reich der Mitte lächelt still, während es weltweit strategisch agiert, um seine Interessen auszubauen. Vor einem Jahr hielt Präsident Xi Jinping in Davos eine beachtete Eröffnungsrede. Nur: Wie kann ein autoritär-nationalistischer Führer für Freiheit eintreten, während sein Land von Tag zu Tag unfreier wird? Doch Xi gibt sich partnerschaftlich. Die Granden der Weltwirtschaft, die Davosianer und Bilderberger haben begriffen: Es ist leichter, mit China zu agieren als gegen China. Hauptsache, die Bilanzen stimmen.
Immer noch wollen die Chinesen zur Überwindung der Annan‘schen Krise beitragen. Konkret? Die Abkehr vom Dollar und den Yuan auf allen internationalen Märkten als maßgebliche Währung durchsetzen. China ist auf dem Weg. Schon seit zwei Jahren ist der Yuan nach IWF Beschluss eine der fünf globalen Leitwährungen.
Doch der eloquente und nachdenkliche Professor und Vizedirektor der „National Development and Reform Commission“ (NDRC) ist im Westen beliebt und geschätzt.
Er gilt als überlegter und aufrichtiger Gesprächspartner. Er gilt als Chinas Pforte für den Westen – das „Brain behind China’s Economic Transformation“. So ist von China in Davos wenig zu hören. Auch die offenen Angriffe Trumps gegen China werden nicht kommentiert – warum auch? China arbeitet an seinen Plänen, langsam aber stetig. Doch als Hoffnung für ein internationales Gegengewicht gegenüber den USA ist China nicht mehr präsent. Es ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
In 50 Jahren will China die Weltmacht sein. Der Weg ist lang, der Wille groß, die Ressourcen mächtig – die Fähigkeiten aber nur begrenzt. Es ist Pekings kommfuzionistische Strategie, deren Ergebnis offen ist.
China hat heute mit enormen Problemen zu kämpfen. Das wird in Davos in ungewöhnlicher Offenheit deutlich. Seit der Wirtschaftskrise verzeichnet China einen stetigen Rückgang der Nachfrage. Die früheren Wachstumszahlen von bis zu zehn Prozent hören sich heute an wie ein Märchen aus uralten Zeiten. Die Umweltproblematik ist dabei, China an sich selbst ersticken zu lassen – und wie soll das bevölkerungsreichste Land der Welt nach 60 Jahren Ein-Kind-Ehe die älteren Generationen durchfüttern?
In Sachen Schutz des geistigen Eigentums hat sich in China bislang nichts bewegt – für die westlichen Investoren nach katastrophalen Erfahrungen in der Vergangenheit eine Schlüsselfrage. Während die „Volksrepublik“ der Han mit eigenen Nationalitäten-Problemen kämpft und voller Unruhe auf die Entwicklungen in Kurdistan, Katalonien und Schottland schaut, spielt es global player. China ist nicht der Partner der Zukunft. So meinte das der Inder Modi – die globale Wirtschaft denkt darüber nach. Und doch: Während bei Trump, der langweilt und nur von sich selbst schwadroniert, die Leute schwatzen und rausgehen oder sich mit Buhrufen die Zeit vertreiben, spitzen sie doch die Ohren, wenn der ergraute Fuchs aus China mit ruhiger Überlegung vorträgt. Sicher – der Chinese sagt nicht alles, nie etwas Unwahres und lässt vieles im Vermutlichen. Doch der Westen weiß, mit wem er reden kann.
Lagarde on tour
Raus aus den Federn und rein ins Vergnügen. So könnte man das Verhältnis von IWF-Chefin Christine Lagarde zu den PIIGS Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien) beschreiben. Doch eigentlich meint sie nur Griechenland und vielleicht ein wenig Italien. Irland ist wieder bestens drauf. Spanien auf bestem Weg. Selbst in Portugal haben die Reformen gewirkt.
Die beiden Damen Lagarde und Merkel stehen sich in ihren Ansichten diametral gegenüber. Das alte, liberalistische Frankreich gegen das alte, sozialistische Deutschland. Lagard denkt offen über Entschuldung nach, damit die europäische Peripherie wieder Bewegungsfreiheit bekommt. Merkel denkt nicht einmal im Traum daran. Nachvollziehbar – Deutschland wäre wieder einmal Zahlmeister.
Konkret liest sich das dann so: „Nach dem Treffen beim Weltwirtschaftsforum in Davos sagte Lagarde, jetzt müsse die griechische Reformagenda zügig umgesetzt werden. Die europäischen Geldgeber Griechenlands müssten zu Erleichterungen bereit sein – nur so könne nachhaltiges Wachstum erzielt werden.“
Auch nichts Neues.
Ohne Programm programmatisch
Es gibt einen umworbenen Europäer, der genug von allem hat, um an jedem Tisch zu sitzen. Und doch ist Daniel Macrons Programm genauso – nein, eigentlich noch unschärfer als das Merkels. Aber Macron ist morgen. Merkel ist gestern. Oder vielleicht schon vorgestern.
Der Franzose sitzt ebenso gern bei den Traditionalisten der alten Republicans wie bei den Bilderbergern der europäischen Transatlantiker und den Democrats – oder auch bei den opportunistischen Davosianern als europäisch orientierter Gegenpol zu den Traditionalisten. Wie es eben gerade passt. Hauptsache, man ist überall dabei, wenn es um die Pfründe der Zukunft geht.
Macron verkörpert alles, was Merkel nicht mehr ist. Und was sie auch nicht will, weil sie es niemals gewesen ist. Während Macron begriffen hat, dass er zügig Reformen durchsetzen muss, um sein erstarrtes Land aus der Agonie zu führen, will Merkel nur am Ruder eines schrottreifen Kahns stehen bleiben, dessen Ruder ihr schon längst nicht mehr gehorcht.
Macron will einen modernen Lean-State, für den es kein Vorbild gibt und der sich doch an sehr alten, amerikanischen Vorstellungen orientiert. Er ist der Liberalist, in den man alles hinein projizieren kann. Er wird umworben und gehätschelt. Von allen Seiten, auch wenn man sich gegenseitig nicht ausstehen kann.
Und wo ist Deutschland?
Die Frage, die zumindest wir uns stellen: Wo eigentlich ist Deutschland?
Bei Merkel geht gar nichts. Ihr sind die Davosianer ebenso suspekt wie die Bilderberger. Und umgekehrt. Sie zeigt Präsenz – aber ohne Elan und Verve und ohne Fortune. Ihre Ziele sind ja auch nicht die eines Macron, der jenseits alter Schlachtlinien in jeder Partei sein könnte – Hauptsache es ist seine eigene. Er will Handel, Geschäft und Bewegung. Dynamik als Selbstzweck. Soziale Fragen spielen für Macron nur eine untergeordnete Rolle – die Plicht sozusagen, die am besten andere erfüllen, während er sich auf der Kür der Gipfel wohl fühlt.
Merkel denkt da anders. Mit den alten amerikanischen Traditionalisten aus GOP und Democrats kommt sie klar. Da weiß sie, woran sie ist. Vice versa läuft das bei allen Ressentiments ähnlich. So wundert es nicht, dass von Deutschland auf dem diesjährigen Abfahrtshügel wenig bis nichts zu sehen und zu hören war.
Niemand weiß, was Merkel will oder nicht will, tun oder lassen wird. Das entscheidet sie selbst spontan aus dem Bauch und eingeweiht ist höchstens ihr allerengster Zirkel. Wenn sie in Davos auftaucht, ist das in etwa so, wie wenn sie sich für den Grünen Hügel in Gala wirft. Dabeisein ist alles. Kunst oder Kür? Egal. Doch auch in Bayreuth werden die Inszenierungen der Werke des Altmeisters durch ihre Anwesenheit nicht besser. Das ist in Davos ähnlich.
Wenn Soros der CSU wie jetzt in Davos eine Maulschelle nach der anderen verpasst und die Auflösung der institutionalisierten Listenverbindung zur christsozialen Fraktionsbildung kritisiert, hat die Kanzlerin dafür nur ein müdes Lächeln übrig.
In der 2015 für die ARD produzierten Soldatenkomödie „Sedwitz“ lässt man einen fiktiven russischen General in herrlichem Akzent sagen: „Ich war nie für zweigeteilte Deutschland, ich hätte lieber gefunden ein in vier, fünf ganz kleine geteilte Deutschland“. Das ist beste Trump-Agenda oder die der Mergers & Acquisition Experts und der von Soros & Co: „Wir arbeiten daran.“ Dabei ist das alte Deutschland, das immer noch durch die Köpfe der Konkurrenten und Gegner spukt, längst auf sieben und mehr Länder aufgeteilt.
Die Abfahrt
In Davos sehen wir alles. Glamour und Glanz, Geld und Gier, Selbstverliebtheit und Hybris, Macht und Machenschaften. Das Motto „Geld regiert die Welt“ – nie war es so real wie heute. Keine Verantwortung für niemanden außer für sich selbst. Das ist die Welt der Wirtschaftsakteure. Global Players, die meinen, sie spielen Sid Sacksons „Acquire“ auf dem Pappbrett.
Deshalb auch ist der Veranstaltungstitel „World Economic Forum“ falsch. Das Forum reduziert Economics auf Kapital und Kapitaltransfer. Noch sind da auch die anderen. Die Modis, die Macrons und die Figueres. Sie haben trotz allem etwas Politik im Gepäck, erden die Finanzwirtschaftler mit realen Problemen.
Die Kraftmeierei von den selbstgedachten Größen, den Trumps, Putins und Erdogans, ist nichts anderes als ein neoimperiales Gehabe. Tummelt sich die Wirtschaft bei „Acquire“, sitzen die anderen beim „Stratego“. Mehr ist da nicht. Wenn Trump seinen Handelspartnern droht, sie beschimpft und mit alternativen Fakten überschüttet, dann zeugt das von einer Logik, die sich und ihre Umwelt, die diese Welt nicht mehr erkennt. Die Entfremdung des Menschen in Systemen, die mit ihnen selbst nichts zu tun haben.
Trump fordert Fairness von seinen Partnern, dabei ist er es, der mit diesem Begriff nicht das Geringste anfangen kann. Er will anders behandelt werden als alle anderen. Gleicher sein als die Gleichen. „Ich bin besser als alle! Ich bin der einzige, der Respekt verdient! Deshalb will ich ihn haben, denn nur mir steht er zu!“
Das ist nicht die Forderung nach Fairness, sondern nach Asynchronität im besonderen Falle. Hätte Trump nicht schon im Geld einen Gott – er würde sich selbst dafür halten. Und vielleicht tut er es auch schon.
Die Lehre von Davos
Davos lehrt uns deshalb auch etwas ganz Besonderes. Davos lehrt uns, dass die Politik niemals so unerheblich war wie heute. Ein wenig deja vu an die Zeit der 50er und 60er, als die USA sich nicht zu schade waren, jeden auch noch so widerlichen Diktator zu hofieren, wenn es nur gegen die Russen ging. Die Politik wird wieder zur Staffage, da die Wirtschaft jederzeit umziehen kann oder als solche nur noch virtuell vorhanden ist.
Ist Bitcoin Geld? Definitionssache. Und eine der Nachfrage. Aber das ist beim Greenback, von dem mindestens jeder dritte im Umlauf falsch ist, nicht anders. Früher waren es Muscheln oder Bernstein oder sonst was. Da kann Spekulationsmilliardär Soros in Davos zetern, so viel er will, weil diese modernen Quasigeldkreationen seiner Geschäftsgrundlage das Fundament entziehen. Vertrauen ist nicht Akzeptanz und Akzeptanz bedeutet nicht Vertrauen.
Eine andere Lehre ist, dass die USA in ihrer neuen Rolle nicht bestehen können. Da mögen die Manager aus USA und Europa Trump noch so beklatschen. Mit Macht versucht die alte Macht ihre imperiale Hegemonie zu verteidigen. Großmannsgetue – wer ist der mächtigste Schimpanse im Urwald?
Die Russen sagen: „Na gut – schaffen wir Euch wirtschaftlich nicht, dann bewaffnen wir uns eben.“ Das ist die neue Realität. China dreht sich um sich selbst und seine Achsen in alle Welt. Indien sieht eine neue Ära nach dem Monsun. Europa dümpelt vor sich hin und kann sich noch nicht entscheiden, wer ihr Amerika ersetzen soll.
Die noch bestehende Dominanz der USA wird in spätestens 30 Jahren Vergangenheit sein. „Ob die USA dabei sind oder nicht, ist doch egal“ sagt der mit 38 Jahren junge Patrique de Lamartine. Er ist Presse-Attaché in der Delegation Kanadas. „Dann gibt es eben neue Märkte, und die sind noch schneller und klüger als früher“, meint der Pragmatiker, der für die frühere Hegemonialmacht nördlich des Panama-Kanals nur noch ein Achselzucken übrig hat.
War da sonst noch etwas? Achja: Die 61-jährige Christiana Figueres aus Costa Rica. Sie ist eines der neuen Gesichter neben Macron, die bestechen. Die Diplomatin war als Generalsekretärin des Sekretariats der Klimarahmenkonvention Kopf hinter dem Pariser Klimaabkommen vom Dezember 2015. Sie schaffte es, der vereinigten Weltpolitik ein gemeinsames Abkommen abzuringen – eine Meisterleistung, auch wenn mancher dessen Zweck nicht nachvollziehen mag.
Das aprés ski in Davos hätte vielleicht noch etwas Sinn, wenn es solche Perspektiven des Gemeinsamen hätte. Gegenwärtig erinnert es eher an den Neujahrsemfang einer Kleinstadt. Man trifft sich zum Schaulaufen und Plauschen. Und fährt mit dem guten Gefühl nach Haus, der wichtigen Gesellschaft anzugehören. Man trifft sich halt, weil man sich gelegentlich treffen will. Auch wenn nichts dabei herauskommt in diesen „aufregenden und schwierigen Zeiten“, wie Kofi Annan sie nannte.
Torsten Kurschus ist freier Publizist.