Das Frühjahr beginnt, das bedeutet auch Flugzeit für Insekten. Für 3.600 Tonnen von ihnen werden diese Flüge kein glückliches Ende nehmen. Sie klatschen an die langen Flügelkanten der Windräder, werden zerteilt und weggeschleudert. Das Ausmaß ist offenbar für Insektenpopulationen bedrohlich geworden. Das ergibt eine Studie, die die Auswirkungen der Windparks auf die Insektenwelt untersucht hat.
In Bayern haben zwar gerade 1,7 Millionen Bürger ein Begehren unterschrieben, das die Bienen retten soll. Die Bienenretter hatten dabei vor allem die »industrielle Landwirtschaft« im Blick. Mehr Ökolandbau, so ihre Vorstellung, bringe mehr Bienen. Doch sie vergaßen eine gewichtige Ursache für den Insektentod: Windräder. Offenbar spielen die gewaltigen Anlagen der Windindustrie bei der Vernichtung von Insekten eine wesentlich größere Rolle als bisher angenommen. Diese Industrieanlagen zerstören bereits weite Landschaften in Deutschland und dezimieren kräftig Insekten.
Während des jüngsten Berliner Industriegesprächs der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Berlin am vergangenen Mittwoch referierte Dr. rer. nat. Dipl.-Ing. Franz Trieb, vom deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Technische Thermodynamik, Abteilung Energiesystemanalyse, Stuttgart über die »Wechselwirkungen von Fluginsekten und Windparks«.
Franz Trieb untersuchte von Oktober 2017 bis Oktober 2018 Zusammenhänge zwischen dem Rückgang von Insekten und den Effizienzverlusten von Windanlagen aufgrund von Verschmutzungen der Rotorblätter mit Überresten von Fluginsekten. Er stellte fest, dass Insekten entgegen bisheriger Annahmen ähnliche Lufträume wie die Windräder nutzen. Daher könnte ein Zusammenhang zwischen Insektensterben und dem Ausbau der Windkraft bestehen.
Erste Hinweise liefert das Aufblühen eines neuen Gewerkes: das der Windradreiniger. Sie säubern die Vorderkanten der Flügel. Bekannt ist das Phänomen schon lange. Bei Autos sieht man Insektenreste an Karosserie und Windschutzscheiben. Segelflieger säubern penibel nach jedem Flug die Tragflächen ihrer leichten Flieger. Sie wissen: Die Insektenleichen beeinträchtigen ebenso wie Schmutz die Strömungsverhältnisse um die Flächen.
Dasselbe geschieht auch an den Vorderkanten der Flügel. Bereits 2001 berichteten Gustave Corten und Herman Veldkamp von ihrem Forschungsprojekt für einen kalifornischen Windradbetreiber. Der stellte immer wieder Leistungsverluste seiner Windräder fest. Sie rauhten Rotorblätter künstlich auf und verglichen die Leistung mit glatten Rotorflächen. Das Ergebnis sah aus, wie es Segelflieger erwartet hätten: An den aufgerauhten Flächen strömte die Luft nicht mehr laminar, sondern turbulent vorbei – mit entsprechenden Leistungsverlusten. Sie können sogar die Leistung um die Hälfte reduzieren.
Viel Arbeit für Windradreiniger, die hängen für ihren gefährlichen Job an Seilen und putzen die Flügelblätter. Es gibt auch Versuche, diese Arbeit Robotern zu übertragen.
Ebenso wissen Insektenkundler, dass Insekten kurz vor der Eiablage in großen Schwärmen hohe, schnelle Luftströmungen aufsuchen und sich zu Brutplätzen tragen lassen. Das sind Jahrmillionen alte Pfade, die sie dabei nutzen. Die werden ihnen jetzt durch die Windräder zerschnitten.
Gefährlich auch deswegen, weil die Rotorblätter der Windräder immer länger werden. An den Enden erreichen die Blätter sogar Geschwindigkeiten bis zu 300 km/h, das sind ungefähr 80 Meter in der Sekunde. Ziemlich schnell, keine Zeit mehr für fliegende Tiere auszuweichen.
Das trifft erst einmal Vögel. Immer mehr spricht sich herum, dass sich Windradparks als wahre Monster im Ausrotten von Vögeln und Fledermäusen erweisen. Sie dezimieren den Bestand an Raubvögeln in dramatischen Ausmaßen.
Mäusebussarde, Rotmilan und Seeadler werden von den Flügeln erschlagen. Jetzt machen sich wieder gewaltige Vogelschwärme auf ihre Reise und geraten in die Windparks, werden dort zerschreddert. Vor allem norddeutsche Flachlandschaften sind mit Windrädern praktisch dicht zugestellt und lassen kaum noch Flugräume zu. Besonders erschreckend: Die scheinbaren »Naturschützer« in den großen Verbänden wie NABU und BUND akzeptieren den millionenfachen Vogeltod und sehen der drohenden Vernichtung ganzer Arten bedenkenlos zu.
Als sehr kritisch erweisen sich auch die Windradanlagen, mit denen derzeit die deutschen Mittelgebirge zerstört werden. Für ein einzelnes Windrad werden dabei rund ein Hektar Wald abgeholzt. Doch es bleibt nicht allein bei erheblichen Waldschäden. »Bekannt ist, dass besonders Vögel und Fledermäuse sowie zahlreiche Insektenarten diese Lufträume nutzen. Die zeitlichen und räumlichen Nutzungsmuster sind für die meisten Tierarten nach wie vor unbekannt und ständige neue Forschungen belegen gerade diesen Wert des Kronen- und darüber liegenden Luftraumes.«
Das sagt der 1943 in Jena geborene studierte Forstingenieur Martin Görner. Er arbeitete schon zu DDR-Zeiten als Naturschutzbeauftragter und Leiter einer überregionalen Arbeitsgruppe Artenschutz. In einem Zeitungsbeitrag befasste er sich bereits vor einiger Zeit mit den überaus besorgniserregenden Schäden, die Windkraftanlagen in den Wäldern anrichten: »In Wäldern errichtete Windkraftanlagen schaden auf mehreren Ebenen den komplizierten im Wald stattfindenden biologischen Abläufen und bewirken tiefgreifende Beeinträchtigungen der Waldökologie.«
»Nicht zu vergessen ist, dass durch die Windkraftanlagen eine hohe Verwirbelung der Insektenfauna stattfindet. Wenn Millionen von Insekten an den Rotoren durch kleine Blutströpfchen nachgewiesen werden können, wird lediglich dieser Tatbestand belegt. Was die Reduzierung der Insektenfauna in den Waldbereichen bedeutet, ist für von Insekten lebende Tiere keineswegs ausreichend aufgehellt.«
Görner weiter: »Selbst jüngste Forschungen belegen, dass nicht nur Schwarzstörche, sondern auch Weißstörche täglich mehrmals 3 bis 4 Kilometer große Waldgebiete überfliegen. Selbst für die fluggewandten Waldschnepfen stellen offensichtlich – wie Untersuchungen belegen – Windkraftanlagen ein Problem dar.«
»Im Falle der Fledermäuse ist hinreichend bekannt, dass jedes Jahr zehntausende Fledermäuse an Windkraftanlagen sterben. Diese Tiere – unabhängig um welche Arten es sich handelt – sterben in den Turbulenzen der Rotoren. Neuere Untersuchungen belegen das Zerplatzen von Lungen und inneren Organen bei den fliegenden Säugetieren.«
Martin Görners Fazit in seinem Beitrag für die Ostthüringer Zeitung: »Die Situation konsequent weitergedacht, bedeutet, dass die Populationen der betreffenden Tierarten immer weiter ausdünnen und diese Entwicklung den Zielen der Erhaltung der Biodiversität entgegensteht.«
Jetzt liefern Forschungsarbeiten neue Informationen zu den Auswirkungen der Windräder auf die Insektenwelt. Sie wurde in einer Kooperation des DLR-Institutes für Technische Thermodynamik, dem DLR-Institut für Physik der Atmosphäre, DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik, Institut für Zoologie der Universität Hohenheim, Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik, Entomologischer Verein Krefeld e.V., zoologisches Institut der Universität Kiel, und dem zoologischen Forschungsmuseum Alexander König erstellt.
Dabei benutzten die Forscher auch Radar und Lidar-Technologien, um Insektenschwärme zu beobachten. Sie räumen auch mit der Annahme auf, dass Insekten nur in relativ niedrigen Höhen bis zu 30 Metern über dem Boden fliegen würden. Sie verweisen auf die umfangreiche Literatur über Insektenschwärme, die es seit längerem gibt. Nachgewiesen sind Insektenmassenbewegungen in mehreren hundert Meter Höhe.
Die Insekten benutzen auch starke, gleichmäßige Lufströmungen in bis zu 2.000 Meter Höhe über Grund gewissermaßen als Fahrstuhl. So kommen sie schneller zur Eiablage in ihre Brutgebiete.
Die Wissenschaftler bezeichnen diese Schicht bis zu 2.000 Meter auch als »Insektenmigrationsschicht«. Dieser wichtige Lebensraum wird auch von Vögeln und Fledermäusen benutzt. Die folgen bei ihrer Jagd nach Nahrung wiederum teilweise den Insekten.
Die Wissenschaftler versuchten auch, überschlägige Mengenberechnung anzustellen und kamen auf eine potentiell gefährdete Insektenmasse von 24.000 Tonnen. Sie bezifferten die Verluste an Insekten, die durch die Rotoren fliegen, auf mindestens 1.200 Tonnen im Jahr. Das entspricht etwa fünf bis sechs Milliarden Insekten pro Tag während der warmen Saison.
In Höhen bis zu 200, 300 Meter reichen mittlerweile die Rotoren der Windanlagen. Die wurden immer höher gebaut, damit sie noch ein bisschen mehr und vor allem gleichmäßigeren Wind als in den unteren turbulenteren Schichten abbekommen.
Das bedeutet auch, dass die Insekten zweimal durch diese Windradschichten fliegen müssen, einmal beim Aufstieg in ihre »Reiseflughöhe« und dann wieder beim Abstieg vor der Landung in ihrem Zielgebiet, dem Brutgebiet. Bisher ging man davon aus, dass Insekten bei größeren Windgeschwindigkeiten nicht fliegen würden. Das stimmt ebenfalls nicht, wie die Forscher herausfanden.
Auf den Windradtürmen blinken rote Warnleuchten für den Luftverkehr. Die Rotorblätter erwärmen sich aufgrund der Luftreibung, strahlen Reibungswärme ab. Beides, Lichter und Wärme, locken Insekten scharenweise an.
Die Folgen dieses gigantischen Insektentodes auf die Population können kaum abgeschätzt werden. Besonders kritisch, dass die meisten Verluste gerade in der Phase der Hauptflugbewegungen auftreten. Dann nämlich, wenn sich die Insekten kurz vor ihrer Eiablage zu ihrem Migrationsflug aufmachen. Damit verstärken sich die Verluste auch in den nachfolgenden Generationen. Diese Vernichtung ist so massenhaft, dass sie sich durchaus auf die gesamte Insektenpopulation auswirken kann. Die Forscher beklagen, dass es keinen Verträglichkeitsnachweis von Windanlagen gegenüber Fluginsekten gibt.
»Wir wollen, dass in diesen vier Jahren jede Biene und jeder Schmetterling und jeder Vogel in diesem Land weiß: Wir werden uns weiter für sie einsetzen!«
Das posaunte die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt einst auf dem Bundesparteitag in Berlin – vielleicht noch mit einem Tränlein in den Augen. Doch bevor die Insekten das wissen könnten, heißt es für sie: Endstation an den Blättern der Windradrotoren. Daran zerklatschen die Insekten.