Tichys Einblick
"Initiative GG 5.3 Weltoffenheit"

Deutsche Künstler und Wissenschaftler nehmen Anti-Israel-Kampagne in Schutz

Eine deutsche Initiative nimmt die gegen Israel gerichtete Kampagne "Boycott, Divestment and Sanctions" in Schutz. Im Zentrum der Bemühungen steht der in Kamerun geborene Historiker und Israel-Gegner Achille Mbembe.

imago images / snapshot

Vor kurzem hat sich in Deutschland eine neue Initiative an die Öffentlichkeit gewagt, die Initiative GG 5.3 Weltoffenheit, sie wird getragen von namhaften Institutionen des Kulturlebens, wie dem Deutschen Theater Berlin und dem „Bündnis Internationaler Produktionshäuser“, aber auch von wichtigen Einrichtungen des Wissenschaftslebens wie dem Wissenschaftskolleg in Berlin oder dem Einstein-Forum in Potsdam. Unter den Unterzeichnern des vor kurzem publizierten Aufrufes der Initiative finden sich aber auch die Direktorin der Kulturstiftung des Bundes und der Generalsekretär des Goethe Institutes. Worum geht es in diesem Aufruf? Zunächst einmal wirklich nur um „Weltoffenheit“. Nun gut. Wer könnte gegen Weltoffenheit sein? Sind nicht alle anständigen Menschen weltoffen? Aber das Anliegen der Initiative ist doch deutlich konkreter. Ihr geht es um den Umgang mit Israelkritik, vor allem um jene radikale Israelkritik, die im Gewande des Postkolonialismus oder der generellen Kritik am Erbe des europäischen Imperialismus auftritt. 

Wir erinnern uns, Anfang dieses Jahres gab es eine heftige Debatte anlässlich der Einladung des in Kamerun geborenen Historikers und Politikwissenschaftlers Achille Mbembe als Festredner zur Ruhrtriennale. Mbembe hat sich durch seine leidenschaftliche Anklage gegen die westlichen Demokratien, denen er eine gewaltsame systemische Ausgrenzung von Menschen aus Afrika und generell des globalen Südens vorwirft, einen Namen gemacht. Verbale Mäßigung ist eine Eigenschaft, die Mbembe vollständig fremd ist, für ihn ist die Politik des Westens eine „Nekropolitik“, eine Politik, die zumindest implizit auf die physische Vernichtung des Anderen und der Anderen ausgerichtet ist. Dabei vermischen sich in Mbembes Schriften die ideologischen Exzesse der wildesten postkolonialen Theorien mit spätfreudianischen Politikdeutungen. Ob das alles noch wirklich Wissenschaft ist oder nicht eher reine Polemik, darüber ließe sich durchaus streiten. Aber weil er als leidenschaftlicher Ankläger des Westens auftritt, und seine hyperbolischen Tiraden einen gewissen stilistischen Glanz besitzen, hat er unter westlichen Intellektuellen viele Bewunderer und Freunde; wen würde das wundern. 

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Allerdings richtet Mbembe seine Kritik eben nicht nur gegen Europa und die USA, sondern auch und in ganz besonders scharfer Form gegen Israel, in dem er die letzte westliche Kolonialmacht sieht. All das kann man noch durchaus für diskussionswürdig halten, aber in Mbembes Schriften findet sich darüberhinaus Tendenzen zu einer grundsätzlichen Dämonisierung Israels, die faktisch die Besatzungspolitik Israels auf dem Gebiet der sog. Westbank (die man in der Tat kritisch sehen kann, namentlich mit Blick auf die unselige Siedlungspolitik) in die Nähe des Holocaust rückt. Bei Gelegenheit verweist er dann auch schon einmal darauf, dass das brutale Verhalten Israels durch das Gottesbild des Alten Testamentes, den „rachsüchtigen“ Jehowa, geprägt sei. Solche freilich recht grenzwertigen Äußerungen, die unangenehme Assoziationen hervorrufen, haben Anfang dieses Jahres dazu geführt, dass von unterschiedlicher Seite seine Ausladung als Festredner auf der Ruhrtriennale gefordert wurde. Wegen Corona fiel die Veranstaltung ohnehin aus, so blieb den Veranstaltern der große Konflikt erspart.

Die Initiative „Weltoffenheit“ wendet sich nun explizit gegen Maßnahmen, mit denen Personen wie Mbembe ein öffentlicher Auftritt an prominenter Stelle verwehrt werden soll. In der Tat, wenn man gegen „cancel-culture“ ist, dann, so ließe sich argumentieren, müssen auch Publizisten oder Autoren, die mehr oder weniger extreme Positionen vertreten – dazu gehört Mbembe sicherlich, wenn man normale Maßstäbe anlegt – ihre Meinung auf öffentlichen Foren verbreiten können. Allerdings sieht man sich die Unterzeichner des Aufrufs im Einzelnen an, sind Zweifel berechtigt, ob sie z. B. mehrheitlich einem prononcierten Kritiker der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin oder gar – horribile dictu-  einem bösen Rechtsintellektuellen dieselben Rechte einräumen würden wie Herrn Mbembe, und das wirft eben Fragen auf, ob hier nicht mit zweierlei Maß gemessen wird. Es liegt ein wenig der Geruch von Unaufrichtigkeit in der Luft. Der Aufruf warnt explizit vor „Rechtsextremismus“. Da stellt sich freilich die Frage, gibt es vielleicht auch andere Formen des Extremismus, etwa von links? Manche Beobachter würden das bejahen, die Verfasser des Plädoyers anscheinend eher nicht.

Kulturinstitutionen verharmlosen einen Einladungsboykott für israelische Künstler und Wissenschaftler

Nun mag man dennoch darüber streiten, ob die Forderung, Herrn Mbembe bei der Ruhrtriennale wieder auszuladen, richtig war. Bedenklicher ist aber ein anderer Punkt des Manifestes. Es gibt international die Kampagne BDS (Boycott, Divestment and Sanctions), die durch radikale Boykottmaßnahmen Israel unter Druck setzen will. Man soll keine Waren mehr aus Israel kaufen und auch die Einladung von Wissenschaftlern oder Künstlern aus Israel soll, egal um wen es sich handelt, unterbunden werden. Ziel von BDS ist nicht einfach, Israel zu mehr Kompromissen gegenüber den Palästinensern zu zwingen, sondern offenbar in letzter Instanz, auch wenn das von offiziellen Vertretern von BDS nicht unbedingt immer offen ausgesprochen wird, die Beseitigung des Staates Israel, so dass die Nachkommen der 1948 geflohenen Araber in die Heimat ihrer Eltern und Großeltern zurückkehren können. Letzteres ist ein explizites Ziel von BDS, das auch als nicht verhandelbar gilt. Dass dies in der Praxis auf die Zerstörung Israels als Staat und die Vertreibung oder eventuell sogar, im Konfliktfall, die physische Vernichtung der jetzt in Israel lebenden Juden, von denen im übrigen nicht wenige aus arabischen Ländern, aus denen sie ihrerseits vertrieben wurden, stammen, hinauslaufen würde, kann man sich leicht ausrechnen.

Der wahre Dammbruch
Jusos erklären antisemitische Fatah-Jugend zur Schwesterorganisation - Parteielite schweigt
Die Unterzeichner der Initiative „Weltoffenheit“ distanzieren sich nun zwar einerseits ausdrücklich von den konkreten Forderungen der BDS-Kampagne, gleichzeitig lehnen sie aber die entsprechende Bundestagsresolution vom April 2019 explizit ab. Der Bundestag hatte damals mehrheitlich empfohlen, dem BDS von Seiten des Staates keine Räume für Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen oder mit den Vertretern dieser Organisation in irgendeiner Form zusammenzuarbeiten, geschweige denn, sie zu unterstützen. Übrigens entspricht diese Resolution in ihrer Stoßrichtung einem in den USA unter Obama 2015 verabschiedeten, allerdings sehr viel weiter reichenden Gesetz, das die Boykott-Aufrufe von BDS durch handelspolitische Maßnahmen und Sanktionen, die sich auch gegen die EU richten können, bewusst konterkarieren soll.

Den Kampf gegen BDS im Sinne der Resolution des Bundestages halten unsere dialog-begeisterten Wissenschaftlerinnen, Schauspieler, Künstlerinnen und öffentlichen Intellektuellen freilich ausdrücklich für falsch, denn das sei ja nicht weltoffen und damit würde man sich ja den „gesellschaftlichen Visionen“ der nicht-europäischen Welt verschließen und mache so einen Dialog mit postkolonialen Stimmen aus Afrika oder der arabischen Welt unmöglich. Auf den ersten Blick könnte man meinen, hier gehe es wirklich nur um Liberalität und Redefreiheit –und das sind Werte, zu denen wir uns in der Tat alle bekennen sollten – , aber würden Kolleginnen wie die Leiterin des Wissenschaftskollegs, Barbara Stollberg-Rilinger, eine weithin anerkannte Autorin geistreicher historischer Darstellungen, die Anglisten Aleida Assmann (die als Ratgeberin der Initiative erscheint)  oder der Generalsekretär des Goethe-Institut, Johannes Ebert, auch einem Romancier wie Renaud Camus, einen der Stichwortgeber der identitären Bewegung, oder auch nur einem prononcierten Kritiker des Kultes der „Wokeness“ wie Jordan Peterson einen Auftritt ermöglichen? Im ersten Fall kann man das mit hoher Sicherheit verneinen, im zweiten Fall sind zumindest gewisse Zweifel angebracht.

Wer in Israel das Böse schlechthin sieht oder solche Positionen aus Naivität hoffähig macht, öffnet eine Büchse der Pandora

Von daher liegt der Verdacht nahe, dass es eben nicht um Weltoffenheit an sich geht, sondern darum, dass selbst gegenüber extremen Positionen des Postkolonialismus oder des vermeintlichen Antirassismus grundsätzlich keine Grenzen gezogen werden sollen, während die Grenzen gegen alles, was irgendwie als „rechts“ erscheint, natürlich verteidigt werden sollen. Dabei muss auch daran erinnert werden, dass die BDS-Bewegung ja ihrerseits durch den Boykott auch liberale, dialogbereite israelische Wissenschaftler zu absoluten Feinden erklärt, mit denen es kein Gespräch geben dürfe. Setzt nicht, wenn wir in Deutschland nun unsererseits mit Vertretern von BDS umgehen, Weltoffenheit voraus, dass auch die Gegenseite, zumindest ansatzweise offen und gesprächsbereit ist, und dies nicht nur in selektiver Weise? 

Noch problematischer ist ein anderer Aspekt. Jeder konnte in den letzten Jahren beobachten, wie in Großbritannien die Labour Party unter der Führung von Jeremy Corbyn immer mehr in Richtung Antisemitismus abdriftete; eine Entwicklung, die jetzt unter Keir Starmer glücklicherweise einstweilen gestoppt worden ist. Wie konnte es so weit kommen? Es begann alles damit, dass, auch mit Rücksicht auf ein bestimmtes Wählermilieu, das solche Äußerungen erwartete, extreme Formen der Israelkritik, die Israel zum Bösen schlechthin in der Welt erklärten, legitimiert wurden. Es sind exakt diese Positionen, die ein Mann wie Mbembe mindestens ansatzweise von Zeit zu Zeit und die Vertreter der Bewegung BDS nicht selten durchgehend und in vollem Umfang vertreten. Verharmlost man solche Stimmen, stellt man sie einfach nur als legitimen Ausdruck der Unterdrückungs- und Diskriminierungserfahrungen von Menschen aus den früheren Kolonien Europas dar, und das tut das Plädoyer der Initiative Weltoffenheit eben doch, dann betritt man eine sehr abschüssige Bahn.

Graue Wölfe-Verbot:
CDU und CSU arbeiten mit Grauen Wölfen zusammen
Wer Israel vollständig dämonisiert, für den ist der nächste Schritt – die Dämonisierung aller Juden, die sich nicht jede Minute ihres Lebens beständig von Israel distanzieren, um zu zeigen, dass sie keine bösen Zionisten sind – sehr naheliegend (auch wenn es nicht logisch zwingend sein mag), und damit ist man dann von einem generellen Antisemitismus nicht mehr sehr weit entfernt, wie man in Großbritannien im Fall der Labour Party ja sehr deutlich gesehen hat. 

Das mögen die Unterzeichner der Resolution nicht, oder nicht alle realisiert haben, rein persönlich liegt den allermeisten sicher jede antisemitische Gesinnung ganz fern, einige würden sich selber vermutlich sogar als kritische jüdische oder zumindest philosemitische Links-Intellektuelle sehen. Aber auch bloße Naivität ist in politisch heiklen Angelegenheiten problematisch. 

Überdies wundert einen, das muss noch einmal betont werden, etwas anderes: Wenn es darum geht, Positionen abzuwehren, die in irgendeiner Weise als „rechts“ gelten könnten, und das ist heute natürlich schon die bloße Verteidigung des Nationalstaates mit festen Grenzen als Gehäuse der Demokratie an sich, dann wird ja hierzulande nur allzu gern die Erinnerung an den Holocaust beschworen. Es wird argumentiert, dass gerade in Deutschland eine Rückbesinnung auf den Nationalstaat und dessen Geschichte als Identifikationsangebot für immer ein Tabu bleiben müssen, weil diese Geschichte in den Holocaust geführt habe. Hier wird also sehr dezidiert auf die Erinnerung an den Genozid als sinnstiftendes Narrativ der Bundesrepublik verwiesen. Wenn man dieses Narrativ als das zentrale Leitmotiv unserer politischen Kultur aber akzeptiert – und viele Unterstützer der Initiative Weltoffenheit, wenn nicht gar die meisten tun das mutmaßlich – wie will man es dann rechtfertigen, eine Bewegung, deren radikale Kampagne sich faktisch gegen die Existenz Israels an sich richtet, als ganz normalen Dialogpartner zu behandeln? Hier tut sich ein Widerspruch auf, der den Verdacht nahelegt, dass im linken und linksliberalen Milieu der Holocaust oft nur aus taktischen Gründen instrumentalisiert wird, um den politischen Gegner zum Schweigen zu bringen. 

Aber das war vielen von uns ja schon immer klar. Manch ein Kritiker würde sogar sagen, dass gerade manche deutsche Linksintellektuelle den Juden den Holocaust nie verziehen haben, aber solche Urteil sind natürlich ein wenig gemein und sicher ganz unsachlich. Dennoch, moralisch erhebend sind solche taktischen Spielchen mit der historischen Erinnerung nicht, und wenn man den Umwertungen bislang anerkannter Verhaltensnormen, wie sie im Plädoyer der Initiative Weltoffenheit eben doch am Horizont recht deutlich sichtbar werden, nicht energisch entgegentritt, dann können sie verheerende Folgen haben. Das hat man in Großbritannien zu Genüge gesehen. 

Ein letzte Bemerkung zum Format der Initiative Weltoffenheit. Die Unterzeichner treten hier ja nicht auf als Privatpersonen – da gilt auch in solchen Dingen vollständige Meinungsfreiheit – , sondern explizit als Vertreter staatlicher oder vom Staat geförderter Institutionen, also kraft Amtes. Wie würden die Medien wohl reagieren, wenn der Präsident einer Universität oder der Leiter eines Kulturinstitutes in seiner amtlichen Eigenschaft z. B. dazu aufrufen würde, gegenüber der AfD unverkrampfter aufzutreten und stärker den Dialog zu suchen, das sei einfach ein Gebot der Weltoffenheit? Ist nicht in Hessen der Leiter der staatlichen Filmförderung sogar zum Rücktritt genötigt worden, weil er einmal beim Mittagessen (!) mit einem Herrn Meuthen erwischt wurde? Jedenfalls haben sich die betreffenden Institutsleiter, Intendantinnen und Direktorinnen doch auf recht glattes Eis begeben, indem sie versuchen, die Debatte über eine in jedem Fall hochbrisante Materie kraft der Autorität ihres öffentlichen Amtes in eine neue Richtung zu lenken. Ob das gut geht? Nun gut, die Initiative ging offenbar von Berlin aus, und in Berlin das wissen wir alle, gelten andere Regeln als im übrigen Bundesgebiet, also wird sich wohl niemand Sorgen machen müssen.

Anzeige
Die mobile Version verlassen