Wenn ein Arzt eine Krankheit falsch diagnostiziert, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass seine Behandlung die Lage des Patienten nicht verbessern wird. Aber Fehldiagnosen führen nicht nur in der Medizin zu Fehlbehandlungen.
In Europa explodiert die Geldentwertung. Die Inflation erreicht eine Höhe, die bald auch dem Mittelstand die Finanzierung des täglichen Lebens verunmöglichen wird. Also wird die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzinssatz erhöhen, um die Inflation in den Griff zu kriegen. Ich glaube, damit gießt die EZB Benzin ins Feuer.
Die EZB geht davon aus, dass nach klassischer Lehre die Verteuerung der Ware Geld zu einem Einbremsen des Wachstums und damit der Inflation führen wird. Sie geht auch davon aus, dass die Inflation großteils auf einem Überangebot an Kapital basiert. Immerhin hat die EZB ihre Bilanzsumme von 1,5 Billionen Euro im Dezember 2007 (vor der „Bankenrettung” des Jahres 2008) auf 8,78 Billionen im April 2022 aufgeblasen. Diese Geldschwemme hat in der Tat auch schon bisher zu einer Inflation geführt, nur nannte sich das bis jetzt „steigende Aktien und Immobilienwerte“, war unter sehr Vermögenden gern gesehen und hatte (bis auf die Immobilienpreise) keinen Einfluss auf das Leben normaler Menschen oder Firmen. Denn bei denen kam die Geldflut ja nie an. Oder kennen Sie einen Angestellten oder einen Tischler, dessen Schuldverschreibungen von der EZB angekauft wurden? Oder einen Installateur, der zinsfrei Kapital abrufen konnte?
Das hat meiner Meinung nach zwei Gründe: die Corona-„Maßnahmen“. Und die „Energiewende“, also die Verknappung und Verteuerung von Energie.
Die Corona-Lockdowns haben die weltweiten Lieferketten nachhaltig zerstört. Wer in letzter Zeit versucht hat, etwas zu kaufen, irgendetwas, sei es eine Playstation 5, ein Auto oder gar ein Fahrrad, wird wissen, wovon ich rede. Auch Häuslbauer haben festgestellt, es fehlt einfach an allem. Die Weltwirtschaft ist ein hochkomplexes und vernetztes System, das nicht einfach nach Belieben ein- oder ausgeschaltet werden kann. Wie offensichtlich unsere Politiker und „Experten“ glaubten. Die Behebung des durch die Corona-„Maßnahmen“ angerichteten Schadens wird Jahre dauern. Aber nur, wenn dieser Irrsinn nicht weiter fortgesetzt wird und die Lieferketten sich wieder einspielen können.
Die „Energiewende“ hingegen hat zu einem sprunghaften Anstieg vor allem der Gaspreise geführt. Ab der Jahresmitte 2021 ist der Dutch TTF-Gaspreis (ein Referenzpreis in Europa) angestiegen. Mit einem schönen Peak nach dem 26. September. Was ist 2021 passiert? Im Juni wurde das Europäische Klimagesetz von den EU-Ministern angenommen. Und am 26. September war die deutsche Bundestagswahl. Es war also für Gasversorger anzunehmen, dass die Erreichung der „Klimaziele“ und der Ausstieg der größten europäischen Wirtschaft aus Atom und Kohle zu einer erhöhten Nachfrage führen wird. Die Gaspreise stiegen schon lange vor Putins Einmarsch in die Ukraine. Übrigens wurden die Gaslieferungen seitens Russlands und die Durchleitung seitens der Ukraine bis vor Kurzem unterbrechungsfrei durchgeführt (seit dem 27. April werden Polen und Bulgarien nicht mehr beliefert), der Gaspreisanstieg ist also eher der Spekulation als der Verknappung zuzurechnen.
Unsere Regierungen hätten sich eventuell vor dem Beschluss diverser Energiewenden und Steuern ein Satellitenbild von Afrika bei Nacht ansehen sollen. Da sieht man, was Energiearmut und eine „angebotsorientierte Energieversorgung“ bedeuten. Armut. Mangel. Was übrigens auch ein Grund für die Migration von Afrika nach Europa ist. Polemisch betrachtet wird dann zumindest die Migration aufhören, wenn Europa auf dem wirtschaftlichen Niveau Afrikas angekommen ist.
Die im täglichen Leben spürbare Inflation hat ihren Grund also in der mangelnden und gewollt verteuerten Produktion der Wirtschaft. Jetzt erhöht die EZB den Leitzins, um das Wirtschaftswachstum einzubremsen, wirft der Produktion also einen zusätzlichen Knüppel zwischen die Beine, was die Versorgung noch einmal mehr erschwert. Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, dass das eine gute Idee ist. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen sind durch die Corona-„Maßnahmen“ schon angeschlagen, eine Zinserhöhung könnte für viele der letzte Stoß in den Abgrund sein. Und die Verteuerung der Ware Geld, die wie Energie in allen Produkten enthalten ist, würde natürlich auch an die Konsumenten weitergereicht.
Was die Preissteigerungen wirklich bekämpfen würde, wäre ein sicheres Ende aller Corona-„Maßnahmen“, die Rücknahme von Steuererhöhungen auf Energie und das Eingestehen der Tatsache, dass ein industrialisierter Kontinent nicht mit Wind und Sonne betrieben werden kann.
Im Übrigen wird auf den Finanzmärkten großes Jammern und Wehklagen einsetzen, sollte die EZB ihre Anleihekäufe zurückfahren und die Bilanzsumme verkleinern. Aber Dividenden werden ja weiterhin gezahlt und fallende Wohnungspreise sollten nicht das größte aller Probleme sein.
Chris Veber ist Ex-Philosoph, Ex-Grüner, Unternehmer und freier Journalist.
Er bloggt auf https://chrisveber.blogspot.com/