„Die Pandemie ist leider noch nicht vorbei und wir brauchen weitere Schutzmaßnahmen.“ Karl Lauterbach, längst zum Gesicht der Corona-Maßnahmen in Deutschland geworden, beginnt die Debatte zum Infektionsschutzgesetz so, wie er die Debatte zur Impfpflicht beendet hatte. „Wir sind noch nicht an den Punkt gekommen, an dem wir einen Freedom Day haben könnten“, erklärt der SPD-Politiker.
Während selbst Italien, das in der Vergangenheit ein nicht minder rigides Corona-Regime führte, gestern ein Ende fast aller Maßnahmen bis zum 1. Mai angekündigt hat – 2G, 3G und Maskenpflicht inklusive –, schiebt Lauterbach den Termin auf den Sankt-Nimmerleinstag. Die Uhren und Viren ticken offenbar in den jeweiligen europäischen Ländern anders.
Die Debatte um das Infektionsschutzgesetz beginnt so, wie die Debatte um die Impfpflicht geendet hatte
Noch mehr: Lauterbach sagt, man sei „nicht zusammengekommen, um über den Freedom Day zu sprechen“, und auch ein solcher Freedom Day sei „nicht das Ende der Schutzmaßnahmen“. Der Freedom Day wäre „das Ende der Pandemie“. Und Deutschland ist unter diesem Gesundheitsminister offenbar bereit, als einziges Land auf dem Globus auf diesen unbekannten Tag zu warten. Lauterbach saugt dem „Freedom Day“ neuerlich das „Freedom“ aus.
Nur so viel macht Lauterbach klar: Die Pandemie sei nur zu beenden, wenn man eine Impfpflicht beschließe. Dass mittlerweile auch Impfbefürworter müde werden, weil doppelt Geimpfte, Genesene wie Geboosterte gleichermaßen erkranken oder im Krankenhaus liegen, scheint am Gesundheitsminister vorbeigegangen sein.
Mit den Corona-Maßnahmen schafft die Bundesregierung Ungleichheit; aber Corona ist längst zum „Kleinen Gleichmacher“ geworden. Egal welchen Status man hat, man wird unweigerlich von der Krankheit erwischt. Zumindest das erinnert an den „Großen Gleichmacher“ und die Pest. Warum eine Impfpflicht die Pandemie beenden sollte, und warum andere Länder geöffnet haben bei vergleichbarer Impfquote, bleibt ein Mysterium des Düreners.
Die unvernünftigen Ungeimpften und die AfD als politischer Arm sind das Problem
Allein Lauterbachs Rede könnte einen Artikel füllen, aber nahezu jeder Satzbaustein ist in irgendeiner Form des professoralen Panoptikums bereits aufgetaucht. Wie fruchtbar ist es noch, den Gestus des mit weit aufgerissenen Augen dozierenden Lauterbach zu beschreiben, der neuerlich vor der hohen Zahl der Ungeimpften und der sich anbahnenden Katastrophe warnt – wenn das RKI bereits morgen wieder den Impfstatus von Millionen für nichtig erklären, und nur die Viertimpfung als gültig anerkennen kann?
Lauterbach jongliert neuerlich mit den hohen „Fallzahlen“, geht aber nicht darauf ein, warum in anderen Ländern mit geringerer Impfquote nicht nur die Zahlen niedriger sind, sondern die Normalität dort längst zurückgekehrt ist. Das Paniknarrativ spinnt sich auch an diesem Morgen durch ein Labyrinth, aus dem es keinen Ausgang zu geben scheint. Letzteres bedeutete schlicht Lauterbachs mediales Ende. Als der Professor sich von den AfD-Studenten durch „niederträchtige Zwischenrufe“ gestört sieht, gibt es heftige Gegenwehr. Lauterbachs Erwiderung („Unglaubliche Verhöhnung der Opfer“) beklatscht das Parlament, das Plenum akzeptiert seine Rolle als Wilhelm-Busch-Figur.
Die AfD und die Ungeimpften sind damit das unvernünftige Übel im großen Plan, das es zu separieren gilt; es könnte alles so schön sein, existierten diese nicht. Das erinnert erstaunlich an jede andere Ideologie seit der Französischen Revolution, die das Himmelreich auf Erden verspricht, wenn nur bestimmte Gruppen nicht mehr länger das Land belasten.
Wo ist eigentlich Jens Spahn?
In derselben etatistischen Art ist auch das Infektionsschutzgesetz geschaffen: Es kann jederzeit flächendeckend wieder zu (fast) allen Maßnahmen führen, die wir zwei Jahre lang erlebt haben; die Möglichkeiten, die Lauterbach dafür aufstellt, rufen die Frage wach, was eigentlich passieren muss, damit man nicht in einem Hotspot lebt.
Am Ende werden 364 Abgeordnete für, 277 Abgeordnete gegen das Gesetz stimmen. Alle anwesenden Ampel-Abgeordneten unterstützen das Gesetz, es gibt nur eine Enthaltung. Die Opposition aus Union, AfD und Linken lehnt es einstimmig ab. Dass die Union sich dem Antrag widersetzt, bildet sich auf der Bundesratsebene kaum ab; dort gibt es nur aus der Ministerpräsidentenkonferenz eine kleine Note.
Die Aufgabe, diese vorzulegen, hat der CDU-Mann Tino Sorge, den die größte Oppositionspartei ins Rennen schickt. Auch das ist ein Zeichen: Üblicherweise folgt auf den Vortrag eines Mitglieds der Bundesregierung ein Oppositionsführer. Dass die Union ihren Fraktionschef Friedrich Merz nicht verheizt, ist nachvollziehbar; das aber nicht einmal ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender ans Pult tritt, zeigt, dass es CDU/CSU wohl auch nicht so wichtig ist, wenn Grundrechte weiterhin eingeschränkt bleiben. Ein Fraktions-Vize ist übrigens Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn.
Beim Infektionsschutzgesetz gibt es keinen überparteilichen Konsens mehr
Zumindest der „Corona-Konsens“, der früher überparteilich jede Abstimmung über das Infektionsschutzgesetz von Grün bis Schwarz verband – wenn die Opposition nicht zustimmte, so enthielt sie sich –, gehört der Vergangenheit an. Wenn man auch so ganz seinen Ohren nicht trauen will, wenn man die Begründung der Linkspartei für ihre Ablehnung anhört. Lauterbach habe sich der „Freedom-Partei“ FDP gebeugt. Die Maskenpflicht abzuschaffen, sei keine Freiheit für alle, sondern nur eine „Freiheit von Solidarität und Rücksicht“. Spätestens bei solchen Phrasen kann man erahnen, wie tief der Bruch mit dem einstigen Linken-Idol Sahra Wagenknecht innerhalb der Partei ist.
In ein ähnliches Rohr tönen die Grünen, die dem Entwurf murrend zustimmen, aber ebenfalls darauf verweisen, dass man sich eine umfangreiche Beibehaltung der Maskenpflicht gewünscht hätte. Schlimmer als Lauterbach geht wohl immer – und man will im Grunde nicht die Extremforderungen lesen, die es intern gab, wenn es sich bei der neuen Regelung zum Infektionsschutzgesetz um einen „Kompromiss“ handelt, wie Lauterbach betonte.
Bleibt noch die AfD, deren Vertreter Stephan Brandner Lauterbach mit harten Worten angeht. Er nennt ihn einen „Impflamisten“, der Schreckensszenarien verbreite. „Sie sind ein Lügner hier vorne gewesen, immer schon, und sie werden es auch bleiben“, resümiert Brandner. Von der Warnung, im März 2022 sei jeder entweder „geimpft, genesen oder leider gestorben“, sei nichts übriggeblieben, er sei ein lebendes Beispiel dafür. Lauterbach habe „Unsinn“ erzählt und müsse sich jetzt „bei den vielen Millionen Menschen, die Sie mit dieser Aussage in Angst und Panik versetzt haben, mindestens entschuldigen“.
Lauterbach wehrt sich gegen den Vorwurf der Lüge – hat aber eine besondere Beziehung zu ihr
Ein Statement, das den Tag überleben könnte. Nicht nur gestern und heute, sondern über Monate, wenn nicht Jahre, hat die Bundesregierung ihre Aussagen immer wieder „korrigiert“ oder „neue Erkenntnisse“ vorgeschoben, wenn sie sich offenbar – wir bleiben vorsichtig – irrte. Die Frequenz, mit der sich immer wieder solche „Ungenauigkeiten“ häuften, ist verblüffend, und der Fall, den Brandner angesprochen hat, ist dabei nur die Spitze des Eisberges. Warum es Politikern so schwer fällt, die Wahrheit zu sagen? Da gibt es ein bekanntes Zitat: „Die Wahrheit führt in sehr vielen Fällen zum politischen Tod.“ Urheber? Karl Lauterbach. Es könnte sein, dass derlei nicht nur ihm noch auf die Füße fallen könnte. Die Wahrheit hat die unangenehme Art, dass sie selbst entscheidet, wann sie ans Licht kommt.