Tichys Einblick
Heißer Sommer

In diesem Sommer gibt es kein Nachrichten-Loch, sondern Politik-Stress

Journalisten beginnen im Juni, Geschichten zu horten. Für die nachrichtenarme Zeit, die spätestens im August ausbricht. Doch nicht dieses Mal. Dieser August wird ein heißer sein – nachrichtentechnisch.

IMAGO

Der Sommer ist die hohe Zeit der öden Geschichten. Wenn’s gut läuft, büchst ein Kaiman namens Sammy am Baggersee aus. Doch meist quälen Journalisten ihre Leser und Zuschauer mit Serien über Museen oder Wanderwege. Bis zu seinem Tod 2019 war auch Rudi Gutendorf beliebt als Thema, um die Saure-Gurken-Zeit zu füllen. Die Storys darüber, wie er als Fußball-Trainer an abwegigen Orten wie Nepal, Botswana, Fidschi oder Berlin gearbeitet hat, füllten so manches redaktionelle Loch.

Diesen Sommer müssen sich die Redaktionen keine Geschichten auf Halde legen. Der Nachrichtenstrom wird nicht abreißen. Dafür sorgen nicht wie sonst die Interviews, in denen ARD und ZDF versuchen, 20 Minuten Nachrichtenwert aus Frank-Walter Steinmeier oder Olaf Scholz (beide SPD) zu quälen. Auch nicht die Ortstermine, die sich alle inhaltlich korrekt unter der Überschrift zusammenfassen lassen: Politiker gucken auf Dinge.

Heißer Sommer
Die Nachrichten des Sommers 2023 werden echt sein. Denn die Bundesregierung hat keine Baustelle beendet. Selbst nicht in den Fragen, die sie als beantwortet verkauft hat. Etwa der Finanzierung der Krankenhäuser. Allein in den vergangenen Wochen haben die Hofberichterstatter-Medien zweimal treu die Schlagzeile bedient – Bund und Länder hätten sich auf eine Krankenhausreform geeinigt. Das haben sie aber nicht. Es gibt keinen Entwurf und die wichtigste Frage ist offen: Inwiefern darf der Bund entscheiden oder beeinflussen, welches Krankenhaus künftig welche Leistung anbieten darf? Ebenso offen ist die Frage, woher das Geld kommen soll, um ein baldiges Kliniksterben zu verhindern.

Parallel dazu etabliert Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Kampf gegen den Hitzetod. Wie in besten Zeiten kann der Erfinder der absoluten Killervariante empfindliche Menschen in die Depression ängstigen. Die Psychotherapeuten würde es freuen, wenn sie nicht noch mehr als genug mit den Opfern seiner letzten Panikhetze zu tun hätten. Und obendrein bekommt Lauterbach das, was er sich am Sehnlichsten wünscht: Liebe. Von den Fernsehkameras, den Hofberichterstatter-Medien und den Teilen der Bevölkerung, für die Panik zur Ersatzreligion geworden ist.

Entscheidend aber wird der Haushalt sein. Der umfasst 445,7 Milliarden Euro. Das sind nicht einmal zweieinviertel Doppelwummse. Trotzdem braucht Finanzminister Christian Lindner (FDP) schon dafür 16 Milliarden Euro offizielle Neuverschuldung. Viele politische Projekte lassen sich mit dem Etat aber nicht umsetzen. Damit ist noch nicht einmal die Debatte um das „Elterngeld“ gemeint. In der geht es vergleichsweise um Krümel. Die Ampel will mit dieser Debatte Handlungsfähigkeit beweisen, indem sie sich am Ende darauf einigt, dass es die Erziehungshilfe nur für Familien mit weniger als 200.000 oder 250.000 Jahreseinkommen gibt.

Überhaupt nicht im Haushalt berücksichtigt ist Habecks Heizhammer. Den will die Ampel nach der Sommerpause unberührt wieder einbringen. Das Verfassungsgericht hatte die Koalition zu mehr Zeit verurteilt, damit sich Abgeordnete und Experten beraten können. Doch Kanzler Scholz und sein Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wollen offenbar in die Geschichte eingehen als die Männer, die unberaten mit dem Kopf gegen die Wand rennen.

Bis zu 30.000 Euro an Hilfen will die Bundesregierung den Opfern des Heizungshammers auszahlen. Nähme eine Million Haushalte das in Anspruch, entstünden schon Kosten von 30 Milliarden Euro. Bekommen die anderen 39 Millionen Haushalte im Schnitt 2000 Euro, dann macht das zusammen nochmal 78 Milliarden Euro. Je nachdem wie ernst die Bundesregierung es mit ihren Hilfen meint, entstehen also Kosten irgendwo zwischen 50 und über 100 Milliarden Euro. Das sind zwischen zehn und 25 Prozent des aktuellen Haushalts. Nur für die Heizungsfrage.

Lindners Haushalt versagt nicht nur darin, alle anstehenden Aufgaben abzubilden. Er geht in seinem mittelfristigen Ansatz auch davon aus, dass sich die deutsche Wirtschaft im nächsten Jahr spürbar erholt. Das wäre schön. Nur: Derzeit zeigen alle Indices in die andere Richtung. Zumal die aktuelle Krise keine ist, wie sie in gewissen zeitlichen Abständen immer mal wieder auftaucht, um den Markt zu bereinigen. Diese Krise ist substanziell: Demografie, Arbeitskräftemangel trotz Einwanderung, ausufernde Sozialkosten, Abzug von Kapital und eine verlotterte Struktur in Sachen Straßen, Brücken, Schienen und Internetempfang. Die schlechten Nachrichten aus der Wirtschaft werden der Regierung über den Sommer keine Ruhe lassen.

Ebenfalls offen ist, wie das Selbstbestimmungsgesetz aussehen wird. Einerseits wollen grün-rote Extremisten und der FDP-Justizminister Marco Buschmann unter Strafe stellen, wenn sich Andreas künftig Andrea nennt und sich als Frau definiert, jemand aber diese sexuelle Identität anzweifelt. Bricht andererseits der Krieg aus, will sich der Staat selbst genau jenes Recht rausnehmen, Andreas Identität anzweifeln und ihn/sie trotzdem an die Front schicken. Vorm Sommer hat Innenministerin Nancy Faeser das Selbstbestimmungsgesetz abgebügelt, weil es Straftätern geholfen hätte, Vorstrafen abzustreifen und offene Haftbefehle zu umgehen. Kurzum: Das Ding ist so vermurkst, dass es sich kaum reparieren lässt – behandelt aber ein Kernanliegen der rot-grünen Gefolgschaft.

Dass der Kriegsfall überhaupt eine entscheidende Rolle spielt, ist einer der nächsten Gründe, warum dieser Sommer kein ruhiger wird. An diesem Mittwoch haben sich mit Roderich Kiesewetter (CDU) und Gerhart Baum (FDP) gleich zwei Politiker an einem Tag im Staatsfunk für einen Kriegseintritt Deutschlands in der Ukraine ausgesprochen. Nun ließe sich das relativieren: ein Hinterbänkler von der Opposition und ein Ehemaliger, der schon seit rund 15.000 Tagen keine nennenswerte Funktion mehr ausfüllt.

Doch gerade, dass Baum damit gehört wird, lässt aufhorchen. Es gäbe gute Gründe, ihn zu ignorieren. Gerade mal vier Jahre lang war er Minister unter Helmut Schmidt. Bei weitem nicht der wichtigste. Auf jedes Jahr, das er in Verantwortung war, kommen zehn Jahre, in denen er nicht mehr in Verantwortung ist. Trotzdem wird er eingeladen. Warum? Die Antwort drängt sich auf: Weil er eine Forderung vertritt, die im Staatsfunk gewollt ist. Die im Raum steht, aber kein Mensch mit einer potenziellen Zukunft aussprechen will. Ein Testballon. Aber einer, der ernst zu nehmen ist.

Für die Jüngeren: Einmal hat Deutschland versucht, Russland zu erobern. Einmal Frankreich. Es endete jeweils tendenziell schlecht. Wenn in die Bresche, die Baum geöffnet hat, ernster zu nehmende Politiker nachstoßen, dann wird dieser Sommer nicht wie der wunderbare Sommer 1994, in dem uns Geschichten von Kaiman Sammy erfreut haben. Sondern eher wie der August 80 Jahre davor – der allerdings nachrichtentechnisch ein guter war.

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