Tichys Einblick
Das Trikot schwitzt nicht von alleine

Immigranten fordern

Viele der schon Jahre oder Jahrzehnte im Land lebenden Immigranten führen ein Doppelleben: Als Arbeitskräfte haben sie sich assimiliert, als Bürger sind sie Fremde geblieben, obwohl sie häufig über einen deutschen Pass verfügen.

Employees of German carmaker Porsche AG work on sports cars on the production line at the company's factory site in Stuttgart, southwestern Germany

© Thomas Kienzle/AFP/Getty Images

Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates und Aufsichtsratsvizechef der Porsche AG, Uwe Hück, ist einer der entschiedensten Verfechter einer unbegrenzten Zuwanderung von „Flüchtlingen“ in den deutschen Arbeitsmarkt. Im September 2015 erklärte er in einem Interview der Stuttgarter Zeitung: „Wer gegen Flüchtlinge ist, ist gegen Wohlstand“. Derlei Unsinn erspart uns der wortgewaltige Arbeiterführer aus Zuffenhausen zwar inzwischen, dafür setzt er sich im Rahmen der Unternehmensinitiative „Wir zusammen“ bei Porsche aber mit Nachdruck dafür ein, jungen „Flüchtlingen“ einen Zugang zur dualen Ausbildung zu verschaffen. Er nutzt dabei Erfahrungen, die er in den letzten Jahren unter anderem mit der von ihm gegründeten Lernstiftung für benachteiligte Jugendliche sammeln konnte. Für diese und ähnliche Initiativen ist er Anfang 2017 vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten, Winfried Kretschmann, mit dem Bundesverdienstkreuz ausgestattet worden.

Als Waisenkind, das in schwierigen sozialen Verhältnissen aufgewachsen ist und sich im wahrsten Sinne des Wortes über das Thaiboxen, die Ausbildung zum Maler und Lackierer sowie die Arbeit als Lackierer und Betriebsrat bei Porsche die berufliche Karriereleiter noch oben geboxt hat, ist er indes kein typischer Vertreter der meist bildungsbürgerlich geprägten, grün-linksliberalen „Gutmenschen“. Deren Credo einer „Willkommenkultur“ orientiert sich in erster Linie an den gängigen, überwiegend antiautoritär bis permissiv geprägten Vorstellungen und Konzepten der „modernen“ Kultur-und Erziehungswissenschaften. Die „Flüchtlinge“ werden in erster Linie als zu fördernde „arme Opfer“ betrachtet und behandelt, an die man keine allzu hohen Anforderungen stellen dürfe. Demgegenüber will Hück sie zwar auch fördern, ganz „unmodern“ vor allem aber mit konservativen Werten wie Fleiß, Disziplin, Leistung, Verbindlichkeit, Ehrlichkeit, Genauigkeit, Gehorsam fordern. Dies seien, wie er immer wieder betont, die Verhaltensmaximen, mit deren Hilfe er es von ganz unten nach ziemlich weit oben, zunächst zum Europameister im Thaiboxen und dann zum Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrates der Porsche AG  geschafft hat.

Hücks an die „Flüchtlinge“ gerichtetes, „preußische Tugenden“ betonendes Credo lautet daher: „In Deutschland schwitzt das Trikot nicht von alleine – du musst schon schaffen“. Zweierlei ist an dieser Aussage  bemerkenswert. Zum einen geht er als Betriebsratsvorsitzender und IG-Metall-Mitglied davon aus, dass es keineswegs selbstverständlich ist, dass „Flüchtlinge“ arbeiten wollen; und zum anderen propagiert er das Konzept einer verbindlichen betrieblichen Leitkultur, der sich die „Flüchtlinge“ anzupassen haben, sofern sie die Chance erhalten, in einem deutschen Unternehmen zu lernen und zu arbeiten.

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Damit rekurriert er keineswegs nur auf Erfahrungen seines persönlichen beruflichen Aufstiegs, sondern erweist sich auch als Anhänger moderner Managementlehren wie dem Total Quality Management und dem Lean Management. Beide spielen heute nicht nur bei Porsche, sondern unternehmens- und branchenübergreifend eine herausragende Rolle bei der Herstellung und Verteidigung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit im nationalen wie im internationalen Konkurrenzkampf. Ihre Kernziele sind fehler- und verschwendungsfreie Arbeitsprozesse, welche die Unternehmen zu „operativer Exzellenz“ befähigen.

Vorbild ist unter anderem der Hochleistungssport, wo die Sportler täglich dafür trainieren (und schwitzen), um bestimmte Techniken und Abläufe schnell, fehlerlos und flexibel zu beherrschen. So können sie auch in nicht vorhersehbaren Situationen immer komplexere und schwerer beherrschbare Prozesse noch unter Kontrolle halten. Das ist es jedoch nicht alleine. Die Unternehmen setzen zudem auf die Vermittlung einer auf „operative Exzellenz“ ausgerichteten Unternehmenskultur. Hierfür beschreiben sie Leitbilder, die als verbindliche  Handlungsmaximen die tägliche Arbeit von Führungskräften und Mitarbeitern anleiten. Damit dies gelingt, werden detaillierte Arbeitsstandards entwickelt, an die sich die Mitarbeiter zu halten haben. Die Einhaltung der Standards wird mit Hilfe eines ausgeklügelten „Shop Floor Management“ laufend überwacht. Zuwiderhandlungen werden allenfalls toleriert, sofern sie zu einer Weiterentwicklung und Verbesserung der Standards beitragen.

Maßgeblich entwickelt und perfektioniert hat dieses Vorgehen der Automobilhersteller Toyota. Dieser hat es damit nicht nur zum Weltmarktführer seiner Branche, sondern auch zum bislang unerreichten Pionier und Lehrmeister für „operative Exzellenz“ in- und außerhalb der Automobilindustrie gebracht. Grundlage des „Toyota Produktionssystems“ sind unter anderem die „5 S-Prinzipien“. Sie dienen der nachhaltigen Herstellung und Gewährleistung von Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit in Büros, Werkhallen und Werkstätten. Sie lauten:

Aufbauend auf diesen Basics analysieren Führungskräfte zusammen mit ihren Mitarbeitern laufend die Qualität und Effizienz der Arbeitsprozesse, entwickeln Verbesserungsmaßnahmen mit entsprechend angepassten (optimierten) Arbeitsstandards und betreiben auf diese Weise „Kaizen“, zu deutsch Kontinuierliche Verbesserung (KVP).

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Ein solches Vorgehen ist ohne eine entsprechend ausgeprägte, betriebliche Leitkultur, darin ist sich die Fachwelt heute einig, nicht machbar. Der amerikanische Arbeitswissenschaftler und Toyota-Kenner Mike Rother schreibt zum Beispiel von der „Kata des Weltmarktführers“, dem es gelungen sei, das Prinzip der Kontinuierlichen Verbesserung so tief in seiner Unternehmenskultur zu verankern, dass es zu einem festen Bestandteil der täglichen Arbeit aller Führungskräfte und Mitarbeiter geworden ist.

Diesem Ideal folgen heute viele deutsche Unternehmen, nicht zuletzt auch die Porsche AG. Sie haben Anfang der neunziger Jahre damit begonnen, die japanischen Produktions- und Arbeitsmethoden zu übernehmen und versuchen seither, den „Spirit of Excellence“ in der Kultur ihrer Unternehmen nachhaltig zu verankern. Sie orientieren sich dabei unter anderem an dem Kulturebenen-Modell des amerikanischen Organisationspsychologen Edgar Schein. Er definiert Unternehmenskultur, etwas kryptisch, als „das Muster von Grundannahmen, die eine ausgewählte Gruppe erfunden, entdeckt, oder entwickelt hat, um zu lernen, mit Problemen externer Anpassung und interner Integration umzugehen, und die gut genug funktioniert haben, um als gültig betrachtet zu werden.“

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Unterschieden wird in einem Drei-Ebenen-Ansatz zwischen dem, was ein Neuer, ein Besucher, ein Fremder in Gestalt von äußeren Merkmalen als „Artefakte“ wahrnimmt, wenn er zum  ersten Mal ein Unternehmen betritt. Darunter liegen die offiziellen „Normen und Werte“ eines Unternehmens, die einem von Führungskräften und Mitarbeitern erzählt werden, wenn man sie nach den Gründen fragt, warum die Dinge so sind, wie sie sind. Darunter wiederum liegen die meist unbewussten, als selbstverständlich angenommenen Überzeugungen und Verhaltensmaximen, die Schein als „Grundannahmen“ bezeichnet. Sie entstehen im Laufe der Zeit durch praktisches Tun, haben eher informellen Charakter, prägen die Unternehmenskultur aber stärker als Artefakte, Normen und Werte und lassen sich nur schwer verändern. Haben sich bestimmte Grundannahmen zum Zwecke „externer Anpassung“ und „interner Integration“ erst einmal bewährt, werden sie gewissermaßen zur DNA der jeweiligen Unternehmenskultur.

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Die von Gottlieb Daimler stammende Devise „Das Beste oder nichts“ oder die von Robert Bosch stammende Devise „Lieber Geld als Vertrauen verlieren“ sind nur die bekanntesten Bespiele dafür. Neue Führungskräfte und Mitarbeiter müssen sich der jeweiligen Kultur-DNA anpassen, wollen sie nicht Gefahr laufen, von ihren Kollegen als „Fremde“ wahrgenommen und behandelt zu werden, die nicht zu ihrem Unternehmen passen. Die Unternehmen bewahren sich so ihre Identität und Stärke. Sie verlangen deswegen von allen ihren Führungskräften und Mitarbeitern unabhängig von deren Nationalität, Sprache, Ausbildung, Geschlecht oder Religion, die eigenen Artefakte, Werte, Normen und Grundannahmen nicht nur zu akzeptieren, sondern auch nach ihnen zu handeln. In großen, global tätigen Unternehmen mit Standorten im In- und Ausland kann es dabei sehr wohl zu standortspezifischen Ausprägungen der jeweiligen Unternehmenskultur kommen. Außer Frage steht aber immer, dass die jeweils lokal geltenden kulturellen Regeln auch für diejenigen Führungskräfte und Mitarbeiter verbindlich sind, die möglicherweise aus einem anderen „Kulturkreis“ neu hinzukommen.

Dies hat offenbar auch Uwe Hück vor Augen, wenn er an die „Flüchtlinge“ appelliert, sich den Artefakten, Normen, Werten und Grundannahmen „operativer Exzellenz“ anzupassen, die heute nicht nur den Arbeitsalltag von Porsche prägen. Ihm geht es dabei keineswegs nur um ihre Integration in Arbeit, sondern um ihre Assimilation an die kulturellen Regeln von Hochleistungsorganisationen, die es sich offenbar weder leisten können noch leisten wollen, dass sich in ihrem Innern  „Parallelgesellschaften“ mit einer je eigenen Kultur etablieren. Wer als „Flüchtling“ (oder normaler Arbeitsmigrant) Zugang zu Arbeit erhält, muss normalerweise die geltenden Arbeits- und Verhaltensstandards des jeweiligen Unternehmens übernehmen. Tut er dies nicht, muss er das Unternehmen wieder verlassen. Die meisten Unternehmen testen daher in (häufig unentgeltlichen) Praktika nicht nur  das fachliche Potential der neuen Arbeitskräfte, sondern auch deren Bereitschaft und Fähigkeit, sich unternehmenskulturell zu assimilieren. Das fängt mit Fragen der Pünktlichkeit an und geht mit Fragen zu Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit sowie zu Fragen der Leistungsbereitschaft, der Fehlertoleranz und der Teamfähigkeit weiter.

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Kein Unternehmen käme dabei auf die Idee, dieses leitkulturelle Vorgehen in Frage zu stellen und durch ein multikulturelles Vorgehen zu ersetzen, beim dem man es den Mitarbeitern selbst überließe, nach welchen Regeln sie arbeiten. Die Unternehmen wären auf diesem Weg weder in der Lage, angemessen auf Herausforderungen „externer Anpassung“ noch auf Herausforderungen „interner Integration“ zu reagieren. Vielmehr liefen sie Gefahr, sich selbst zu schwächen und so ihren eigenen Bestand zu gefährden. Sie unterlassen es daher tunlichst, in die multikulturelle Falle zu tappen. Umso erstaunlicher ist es, dass dieser mikroökonomisch rationalen, selbsterhaltenden Praxis keine analoge Praxis auf der makroökonomischen Ebene entspricht. Dort wird ein leitkulturelles Vorgehen bei der Integration von den meisten Verantwortlichen in Politik, Behörden und Verbänden entweder gar nicht praktiziert oder zumindest in weiten Teilen abgelehnt. Hinzu kommt eine kosmopolitisch und multikulturell orientierte Zivilgesellschaft, die im Bündnis mit den meisten meinungsbildenden Medien wenig Interesse an der Erhaltung der eigenen national-kulturellen Werte, Normen und Bräuche zeigt, diese unter Berufung auf einen abstrakten Universalismus zum Teil sogar ablehnt und bekämpft.

Nicht zuletzt deswegen führen heute viele der schon Jahre oder gar Jahrzehnte im Land lebenden Immigranten gewissermaßen ein Doppelleben: Als Arbeitskräfte haben sie sich assimiliert, als Bürger sind sie Fremde geblieben, obwohl sie häufig über einen deutschen Pass verfügen. Das wird sich nur dann ändern, wenn nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Unternehmen das von dem Staatsrechtler und Literaten Bernhard Schlink in der FAZ vom 28. September formulierte Prinzip gilt: „ Vom Fremden erwarten wir nicht, dass er die Alltags- und Leitkultur beherrscht, sondern lediglich, dass er sie achtet. Vom Migranten und Flüchtling, der hierbleiben will, erwarten wir, dass er sie einübt.“ Dem wird auch der „unmoderne“ Arbeiterführer aus Zuffenhausen sicher zustimmen.

Quellenangaben

Mike Rother: Die Kata des Weltmarktführers. Toyotas Erfolgsmethoden. Frankfurt 2013

https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturebenen-Modell

Bernhard Schlink: Alltagskultur als Leitkultur. Polizei und Schule – für die Integration entscheidend ist, wie Migranten unsere Verfassungsidentität und unsere nationale Identität erleben; FAZ vom 28.09.2017


Roland Springer arbeitete als Führungskraft in der Autoindustrie. Er gründete im Jahr 2000 das von ihm geleitete Institut für Innovation und Management. Sein Buch Spurwechsel – Wie Flüchtlingspolitik wirklich gelingt erhalten Sie in unserem Shop www.tichyseinblick.shop

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