Tichys Einblick
Das Desaster ist abzusehen

An einer längeren Lebensarbeitszeit führt kein Weg vorbei

Das Ifo-Institut geht davon aus, dass nicht einmal eine Ausweitung der Beitragspflichten ausreichen werde, um die Sozialversicherungssysteme langfristig zu finanzieren. An einer Erhöhung der Lebensarbeitszeit führt wohl kein Weg vorbei: also früher anfangen und später aufhören. Ob die Ampel das kapiert?

IMAGO / Andreas Prost

Während klimabewegte Alte und Junge ein Ende der Welt in Hitze, Dürre und Fluten herbeiphantasieren, brauen sich im deutschen Sozialsystem weitaus realere Katastrophen zusammen. Und zwar sehr nah!

Erstens wird die im Moment noch jüngere Generation mit Billionen öffentlicher Schulden belastet sein. Derzeit steht das öffentliche Deutschland mit 2,3 Billionen Euro (pro Kopf 28.000) in der Kreide; 67 Prozent entfallen auf den Bund, 27 Prozent auf die Länder und 6 Prozent auf die Kommunen. Im Jahr 2000 betrug die Schuldenlast mit 1,2 Billionen übrigens noch in etwa die Hälfte. Und ein Ende des Schuldenmachens ist nicht in Sicht, wie man die „Ampel“ kennt. Zweitens wird der Sozialstaat vor allem zulasten der älteren Generation (die allerdings mit ihrem eingeschränkt „generativen Verhalten“ nicht für genug Nachwuchs gesorgt hat) an die Wand fahren.

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Das Ifo-Institut (Institut für Wirtschaftsforschung) geht für Deutschland aktuell davon aus, dass nicht einmal eine Ausweitung der Beitragspflichten ausreichen werde, um die Sozialversicherungssysteme langfristig zu finanzieren. Wörtlich heißt es bei Ifo: „Aktuell wird eine Ausweitung der Beitragspflicht auf alle Einkunftsarten diskutiert, also auch auf Zins-, Gewinn- und Mieteinnahmen, die dadurch erzielbaren Mehreinnahmen wären jedoch verschwindend gering“, sagte Joachim Ragnitz von der Niederlassung des Ifo-Instituts in Dresden.

Bei der Gesetzlichen Rentenversicherung würden die Mehreinnahmen laut Ifo lediglich 5,6 Milliarden Euro ausmachen, bei Gesamtausgaben von 341 Milliarden Euro. Auch in der Gesetzlichen Krankenversicherung seien die erzielbaren Mehreinnahmen mit 5,3 Milliarden Euro angesichts der Gesamtausgaben von 275 Milliarden Euro zu vernachlässigen. Grund hierfür sei, dass sozialversicherungspflichtig Beschäftigte typischerweise nur geringe zusätzliche Einnahmen aufwiesen, so die Forscher.

Das Ifo weiter: „Höhere Einnahmen ließen sich erzielen, wenn auch die Beitragsbemessungsgrenze abgeschafft würde oder weitere Personengruppen in die Sozialversicherungspflicht einbezogen würden, allerdings steigen dann zumindest in der Rentenversicherung mittelfristig auch die Zahlungsansprüche. Ein Beitrag zur Erhöhung der Nachhaltigkeit der Rentenversicherung ist das also nicht“, sagte Ragnitz. Marcel Thum, Leiter der Ifo-Niederlassung Dresden, ergänzte: „Um die Sozialversicherungssysteme demografiefest zu machen, führt kein Weg an Anpassungen auf der Ausgabenseite vorbei. Dazu gehört in der Rentenversicherung auch eine längere Lebensarbeitszeit.“

Drei Gründe werden in der Diskussion umschifft

Der eine Grund für das bevorstehende Desaster in den Sozialkassen ist der ausgebliebene Nachwuchs. Gab es in den beiden Staaten in Deutschland im Jahr 1965 (also vor der „Pille“) fast 1,4 Millionen Geburten, so ist diese Zahl im Jahr 1975 (nach Zulassung der „Pille“) auf rund 800.000 und 2011 auf 662.685 gefallen. Zuletzt gab es eine vorübergehende Erholung mit 738.819 Geburten im Jahr 2022. Dieser Trend ist kaum umzukehren, zumal ja auch die Zahl der Geburten je Frau der Frauenkohorte der „ausgedünnten“ Geburtsjahrgänge 1980 bis 1990 auf 1,46 (2020) bzw. 1,58 (2021) gefallen war und für eine ausgewogene Bevölkerungsstruktur 2,1 Kinder pro Frau – und damit spätere Beitragszahler – notwendig wären.

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Der zweite Grund für die Ebbe in den Sozialkassen ist die steigende Lebenserwartung der 65-Jährigen. Diese betrug im Jahr 1970 noch 15 Jahre bei Frauen und 12,5 Jahre bei Männern dieses Alters. Das heißt: Frauen am Beginn der Rente hatten eine Lebenserwartung bis 80 Jahre, Männer bis 77,5 Jahre. Im Jahr 2022 stellt sich das anders dar. Ein 65-jähriger Bundesbürger hat derzeit eine „Restlaufzeit“ von 18,4 Jahren (Männer) bzw. 20,9 Jahre (Frauen). Das wiederum heißt durchaus erfreulicherweise: Männer und Frauen, die bereits 65 Jahre alt geworden sind, können statistisch damit rechnen, 83,4 bzw. 85,9 Jahre alt zu werden. Das ist ein Plus an Lebenserwartung binnen eines halben Jahrhunderts von fast 6 Jahren. Bei zumal zum Teil abgesenktem Renteneintrittsalter. Siehe die zwar persönliche Annehmlichkeit, aber den volkswirtschaftlichen Flop der Rente mit 63! (hier und hier).

Und der dritte Grund ist die millionenfache Zuwanderung in den deutschen Sozialstaat. Aber darüber wird nicht offen gesprochen. Nicht einmal ein Friedrich Merz (CDU) wagt es. Spricht er einmal und durchaus realistisch von „Sozialstaatstourismus“, nimmt er diese Aussage binnen 24 Stunden reumütig zurück. Dass Leute wie ein ständig durch die Öffentlich-Rechtlichen gereichter und betont „ampel“-naher Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hier immer schon danebenlag, scheint nicht zu stören: Der Mann meinte schon auch mal, Deutschland hätte auch ohne Zuwanderung erhebliche „stille Reserven“. „Experten“-Träumereien! Am 12. März 2016 hatte der DIW-Chef übrigens gesagt: „Ein Flüchtling erwirtschaftet spätestens nach sieben Jahren mehr, als er den Staat kostet. Viele der Geflüchteten werden die Renten der Babyboomer zahlen.“ Jetzt sind übrigens diese „sieben Jahre“ vergangen.

Ergo: An einer Erhöhung der Lebensarbeitszeit führt wohl kein Weg vorbei. Das heißt: Die Leute müssen erstens früher in den Beruf kommen; sie sollten nicht endlos lange Bildungsschleifen fahren, und das oft ohne Abschluss. Und zweitens führt kein Weg an einem höheren Renten- und Pensionseintrittsalter vorbei. In differenzierter Regelung! Das heißt: Ein Bauarbeiter oder ein Dachdecker soll nicht mit 68 oder 70 Jahren noch auf das Gerüst klettern müssen.

Ob die „Ampel“ all das kapiert? Rhetorische Frage! Nein, sie will es nicht kapieren, denn es übersteigt ihren intellektuellen Horizont, der vernebelt ist von Minderheitenthemen wie der Freigabe von Cannabis und einem Selbstbestimmungsgesetz, demzufolge bereits 14-Jährige ihr Geschlecht im Standesamt jährlich wechseln bzw. neu eintragen können.

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