Es gibt eine Anekdote, die sich nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche 2017 verbreitete. Ihr Wahrheitsgehalt ist umstritten. Sie lautete etwa so: Bei den Verhandlungsrunden kam FDP-Chef Christian Lindner dazu und merkte, dass Union und Grüne sich in allen Punkten verständigt hatten. CDU/CSU waren dem grünen Partner weit entgegengekommen. Lindner soll sich jedoch insbesondere am Tempolimit gestört haben, das die Grünen durchsetzen wollten: nicht 130, sondern 100, mit der Möglichkeit, dieses auf 80 herunterzusetzen.
Lindner soll Anton Hofreiter vorgeworfen haben, dass dies das Ende des Individualverkehrs in Deutschland bedeutete. Hofreiter habe darauf entgegnet: Genau das sei das Ziel seiner Partei. Darauf habe Lindner die Koalitionsverhandlungen beendet.
Der grüne Plan zur Verkehrswende liegt nicht auf Eis
Die Entwarnung gegenüber den FDP-Wählern am Anfang der Koalition lautete: „Freie Fahrt für freie Bürger! Das Tempolimit kommt nicht.“ Das war angesichts der sonst mauen Koalitionsrunden ein Teilerfolg der Liberalen und genug Provokation für die Massenmedien, den üblichen Geifer zu spucken. Dass einer der neuen Parlamentarischen Staatssekretäre im Verkehrsministerium, Michael Theurer, jahrelang Mitglied im Rat der Agora Energiewende war, ging dagegen unter. U-Boot? Konzession? Wie auch immer: So sicher, wie sich die FDP in der Verkehrspolitik zeigte, konnte sie von Anfang an nicht sein.
„Teller statt Tank“ ist reiner Hohn nach Jahren ideologischer Politik
Jetzt die Nachricht: Die Umweltminister der Bundesländer sprechen sich einstimmig für ein Tempolimit auf Autobahnen aus. „Wir müssen Klimaschutz auch durch ein Tempolimit mit voranbringen“, sagte der Vorsitzende der Konferenz, Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies. Bayern und Nordrhein-Westfalen hätten zwar im Protokoll vermerkt, dass sie die Maßnahme nicht für verhältnismäßig hielten und nicht mittrügen. Dennoch sei der Beschluss einstimmig gefasst worden. Die Höhe des Limits ist nicht bekannt, Lies favorisiert Tempo 130.
Auffällig, wenn nicht heuchlerisch ist die Argumentation dahinter. Sie ist einzigartig. Denn weil die Welt auf eine Nahrungsmittelkrise zusteuert, müsse man nun Biosprit bzw. Bioethanol einsparen. „Teller statt Tank“ lautet das Motto. Für jeden, der die ideologische Energie- und Verkehrspolitik der letzten Jahre beobachtet hat, ist das reiner Hohn. Dieselben Politiker, die in Deutschland den Teller in den Tank gesteckt, E10 favorisiert und die „Agrarwende“ vorangetrieben haben, nutzen die mitverursachten Probleme dafür, um andere Wunschvorstellungen durchzusetzen.
TE hat im Vorfeld umfassend über die bevorstehende Knappheit berichtet. Frei nach dem Merkel’schen „Nun sind sie halt da“ kümmert sich die Politik nicht um die Lösung der Kernprobleme, sondern schlachtet den angerichteten Schaden hämisch aus.
Der Vorstoß enttarnt die Elektromobilität als faule Ausrede
Dass es in anderen Ländern Tempolimits gibt, rüttelt daran nichts. Denn deren Einführung fand unter anderen Umständen statt. Die Debatte in Deutschland hat einen anderen Ursprung. Spezifisch deutsch ist auch eine einzelne grüne Partei, die es in dieser Form und mit diesem Erfolg in keinem der europäischen Vergleichsländer gibt – weder im Vereinigten Königreich, noch in Frankreich, noch in Italien. Die Lobbystrukturen der Öko-Verbände verfolgen ganz andere Ziele als eine bloße Beschränkung der verhassten „Raserei“ auf der Autobahn.
Denn mit ihrem neuesten ideologischen Wurf zeigen die Verantwortlichen, dass die ganze Debatte um die vielgepriesene Elektromobilität eine Farce ist. Immer wieder verkaufen die ökologisch bewegten das Elektro-Auto als Möglichkeit, nicht auf den Individualverkehr verzichten zu müssen. Doch die Debatte um das Tempolimit zeigt, dass die Politik diese Option gar nicht auf dem Schirm hat, außer als Ausrede. Denn nach der Logik der Minister müssten Autos, die mit Wasserstoff, Methan oder Strom angetrieben werden, vom Tempolimit ausgenommen sein.
Dass die Umweltminister ihre eigene Propaganda nicht glauben, zeigt die Einstimmigkeit. Sie entzaubern alle Beschwichtigungen, dass sich nichts änderte, so wir denn auf E-Autos setzten. In Wirklichkeit, so zeigt es sich, hängt die überwältigende Mehrheit der Transformationsbewegten dem Traum an, den Anton Hofreiter pflegt. Überparteilich.