Tichys Einblick
Ein Reisebericht in Corona-Zeiten

Ich war im Urlaub – und das ist auch gut so!

Wer zu Corona-Zeiten verreist, gilt als potentielle Gefahr für die Allgemeinheit. Unsere Autorin hat es trotzdem gemacht - und bereut nichts. Aber zwischen Beach-Life und Corona-Polizei hat sie surreale Dinge erlebt.

Eigentlich wollten wir ja nach Thailand. Da waren wir schon letzte Weihnachten. Jeden Tag Sonne, türkises Wasser, Thaicurry – all das wollten wir gerne wieder haben. Daraus wurde natürlich nichts. Schon im August legte uns unser Reisebüro zerknirscht nahe, dass die Chancen, dass die Thailänder in diesem Corona-Jahr noch irgendwelche Touristen hineinlassen, sehr schlecht stehen. Die Stimmung meiner kleinen Reisegruppe war im Keller. Doch Weihnachten im regnerischen Berlin zu verbringen, kam auch nicht in Frage – also buchten wir schließlich einen Ferienort auf den Kanaren.

Dann wurde es November und Dezember, einem Lockdown light folgte ein Lockdown heavy, und plötzlich hatte ich ganz andere Probleme, als dass ich dieses Weihnachten kein Thaicurry essen kann. Immer häufiger las ich die behördliche Warnung „vor nicht notwendigen, touristischen Reisen ins Ausland“ und ich sah mich schon, von der Corona-Leine angebunden, Weihnachten allein mit meiner Mutter zuhause verbringen (was natürlich auch ganz toll gewesen wäre! Meine Mutter liest ja mit…). Gleichzeitig mit den Deutschen drehten dann noch die Spanier durch. Plötzlich brauchte man einen PCR-Test, um als Deutscher einreisen zu dürfen. Dieser durfte bei Einreise nicht älter als 72 Stunden sein. Das war der Witz des Tages, als wir das zum ersten Mal lasen – Anfang Dezember wartete man in Berlin immerhin bis zu sechs Tage auf sein PCR-Ergebnis. „Alles Irre“, schimpften meine Freunde und ich – und bissen die Zähne zusammen, während wir täglich checkten, ob nicht unser Flug storniert wurde, wir nach wie vor nach Spanien einreisen dürfen und ob das mit dem Test klappt. Als ich wenige Tage vor Weihnachten völlig entnervt am funkelnagelneuen Flughafen BER (ja, den gibt es jetzt wirklich! Ganz schick mit Holzvertäfelungen und so) tatsächlich meinen Koffer abgab, kurz darauf ins Flugzeug stieg und dann in Spanien tatsächlich ohne Probleme einreisen durfte, fiel mir ein Felsbrocken vom Herzen. Ich war da, im Urlaub, die Sonne schien, es war warm – meine Freunde und ich hatten es tatsächlich geschafft! 

Heft 02-2021
Tichys Einblick 02-2021: 2021 - Endlich wieder leben
Die erste Ernüchterung kam schnell. In Spanien gilt überall in der Öffentlichkeit Maskenpflicht. „Vergiss nicht dein Gesichtskondom!“, wurde in den folgenden Tagen der Lieblingssatz meiner Freundin. Zum Glück fanden wir schnell heraus, dass zumindest in unserem Ort sehr lax mit dieser Regel umgegangen wird. Wir gewöhnten uns daher an, unseren Mundschutz unter dem Kinn zu tragen – was zwar selten dämlich aussah, uns aber zumindest eine gewisse Mimik erlaubte. 

Gleich am ersten Abend warfen meine Freundin und ich uns in Schale, um die Bars des Ortes auszuchecken. Oh, hatte ich das vermisst! Ein Kleid anziehen, Lippenstift auftragen, ein Ausgeh-Täschchen packen. Und wir wurden nicht enttäuscht. Im Ort gab es einen großen Platz mit Live-Musik und mehreren Bars, die voller junger Leute waren. Zwar saßen alle brav an ihren Tischen – doch von dort schnatterten sie munter, tranken Cocktails und wippten im Takt der Musik. Etwas reizüberflutet, aber glücklich, setzten wir uns dazu und beobachteten das Treiben. Ab und zu stand ein betrunkener Tourist auf, um zu tanzen. Das war jedes Mal ein Schauspiel, weil dann nach kurzer Zeit die Band ihre Musik unterbrach, um in Supermarkt-Ansager-Stimme zu verkünden, dass Tanzen verboten sei. Das ist ja wie bei „Footloose“, sagte meine Freundin, die gerade dabei war, herauszufinden, wo man denn hier rauchen durfte. Am Tisch augenscheinlich nicht, da standen keine Aschenbecher, aber da drüben neben der Bühne, da standen ein paar einsame Männer mit einer Zigarette im Mund. „Na wollen wir mal eine rauchen?“, fragte meine Freundin zwinkernd und so stolzierten wir über den Platz zur Raucherecke – es dauerte nicht lange, da waren wir im Gespräch mit einem Iren. 

Als er uns gerade seine Freunde drüben im Nachbarlokal gezeigt hatte und diese freudig winkten, änderte sich plötzlich die Stimmung auf dem Platz. Der Kellner legte uns ungefragt die Rechnung hin und begann hektisch unbesetzte Tisch wegzuräumen. Wir fragten ihn, was los sei, und er erklärte uns, dass sie nun sofort schließen müssten. Er sei informiert worden, dass die Polizei gleich vorbeikomme, um zu kontrollieren, dass alle Bars und Lokale um Mitternacht zu sind – und sie hätten ja erst neulich eine Verwarnung bekommen. Kurz nach zwölf standen wir also ein bisschen wie bestellt und nicht abgeholt auf dem Platz. Alle Bars waren zu, es gab keinen Ort mehr, zu dem man gehen konnte. Und ab eins, das wussten wir schon, war eh Ausgangsperre. Also trippelten wir um halb eins, einer Zeit, zu der in Spanien normalerweise noch nicht mal die Tanzclubs geöffnet haben, nach Hause.

Europa vereint in der Lockdown-Flucht

Wir trafen in den folgenden drei Wochen viele junge Leute aus allen möglichen europäischen Ländern. Viele Belgier, ein paar Franzosen, Italiener, Deutsche und „Festland“-Spanier. Engländer gab es am Anfang auch noch viele, doch dann durften sie ja wegen der Virus-Mutation nicht mehr einreisen. Ein Belgier erzählte mir, dass sein halber Ort hier über Silvester in den Urlaub gefahren war. Da drüben stünde sein Hockey-Lehrer und den Mann da mit der Gel-Frisur kenne er aus seinem Lieblingsclub zuhause. Einmal unterhielt ich mich auch mit einem Pariser, der in London studierte. Er war schon etwas angetrunken und dadurch vermutlich redseliger als sonst. „In London the Lockdown is even worse than in Paris“, murmelte er mir zu und sein Blick war so leer, dass ich vermutete, dass er in der letzten Zeit ziemlich depressiv gewesen sein musste. Er erzählte, dass es in Paris zwar auch schlimm gewesen wäre, als man sich nur einen Kilometer von seinem Zuhause entfernen durfte. Aber in London sei Weltuntergangsstimmung, da wäre überhaupt nichts mehr los auf den Straßen. Er trank weiter, grinste aufgesetzt, er sah wirklich fertig aus. 

Auch mit einer Gruppe Italienern scherzten wir mal über Corona. „Kommt ihr aus Bergamo?“, fragte eine von uns, als klar war, dass sie aus Norditalien stammten. „Nein, aber aus der Nähe“, sagte einer der Männer schmunzelnd, „wir sind den Lockdown leid. Da wir eh im Homeoffice sind, haben wir uns entschieden, von hier zu arbeiten.“ Es erzählten uns viele, dass sie eine Zeit von den Kanaren aus arbeiten wollten. Das konnte ich gut verstehen. Meine Freundinnen und ich mussten uns ja auch immer mal wieder in ein Online-Seminar der Uni einwählen. Wie viel besser war es, das vom Strand oder vom Pool aus zu tun, als vom Sofa zuhause! 

Der Höhepunkt unserer Reise war dann der Silvesterabend. Am 31. Dezember fragte ich einen Kellner in einer Strandbar, ob es denn heute Abend irgendwo Feuerwerk oder einer Party oder so was geben würde. Traurig sagte er: „I don’t think so“. Er sei nämlich eigentlich Rapper und DJ und wisse normalerweise, wenn es irgendwo eine Party gebe. Die Polizei wolle nicht, dass sich viele Menschen versammeln, deswegen gebe es keine Partys. Na, was waren wir da baff, als wir gegen elf auf unseren bekannten Platz liefen. Da standen vielleicht 200 junge Leute, dicht gedrängt, manche mit Mundschutz, manche ohne. Und alle sehr ausgelassen. Meine Freundinnen und ich wussten nicht so recht, ob wir lachen oder weinen sollten. Einerseits freuten wir uns über die vielen jungen Leute, andererseits hatten wir nach wie vor keine Lust, uns mit Corona zu infizieren. Auch die Kanaren waren ja nicht virenfrei. Doch neben der Angst kribbelte mein Körper vor Glück. Da war Leben, da war Trubel, das hatte ich wirklich vermisst. Um Punkt zwölf wurden meine Freundin und ich dann mit einer Sektflasche übergossen und rochen ab sofort nach Alkohol, später bekam meine Freundin einen Böller an’s Bein. „Na is ja fast wie in Berlin“, sagten wir uns und hatten schon wieder genug vom alkoholisierten Treiben. Von der angeblich so strengen Polizei war den ganzen Abend nichts zu sehen. Erst als wir uns kurz nach eins pflichtbewusst zur Ausgangsperre nach Hause bewegten, kamen wir an ein paar Polizisten vorbei, die uns mit einer Handbewegung kurz darauf hinwiesen, doch den Mundschutz über die Nase zu ziehen. Das war aber schon alles.

Vor dem CDU-Bundesparteitag
Merkels große Jagd auf Merz
Der ausgelassene Silvesterabend hatte Folgen für die Insel. Als wir am nächsten Abend wie üblich kurz nach zwölf auf dem Platz standen, den Mundschutz nur halb aufgesetzt und eine Zigarette in der Hand, rief plötzlich jemand „Polizei“ und die ungefähr 30 jungen Menschen, die auf dem Platz versammelt gewesen waren, strömten davon. Wir aber nicht. Reflexartig schnippte ich die Zigarette weg und setzte meinen Mundschutz auf. Zum Glück waren wir für die Polizei nicht von Interesse. Die acht Polizisten, die in voller Montur mit Schlagstock, Waffe und strenger Miene über den Platz schritten, hatten sich bereits ein paar junge Männern geschnappt, ließen sie ihren Ausweis vorzeigen und ermahnten sie, weil sie keine Maske getragen, im Gehen Alkohol getrunken oder geraucht hatten.

Am Tag darauf gab es dann auch keine Live-Musik mehr auf dem Platz. Wir fragten einen Kellner, was los sei, und er erzählte uns, dass es in Folge der Silvesternacht einen riesigen medialen Aufschrei gegeben habe. Irgendwer hatte die feiernde Menge gefilmt und im Internet verbreitet – das wiederum hatte zu viel Kritik an den „unverantwortlichen jungen Leuten“, aber auch an der örtlichen Polizei geführt. Jetzt müsse die Polizei ihren Ruf wieder herstellen – deswegen sei nun die Musik verboten worden und Kontrollen verschärft. In den nächsten Tagen erlebten wir fast jeden zweiten Abend eine Polizeikontrolle und trugen abends unseren Mundschutz immer brav über der Nase. Kurz vor unserer Rückreise erzählte uns ein Ortseinwohner, dass nun ab nächster Woche die Ausgangssperre eine Stunde früher starten würde – seit Silvester habe es so viele neue Corona-Fälle gegeben, dass die Regierung nun strengere Maßnahmen für nötig hielt. Ein Egoist könnte denken: Wir hatten also genau die richtige Urlaubszeit abgepasst. 

Als wir uns an unserem letzten Abend noch einmal auf den Platz setzten, der nun von Stimmengewirr statt von Live-Musik erfüllt war, wurden meine Freundin und ich ein bisschen traurig. Wir hatten überhaupt keine Lust, zurück ins triste Berlin zu fahren. Die Leute, das Meer, das Ausgehen, das Flirten, das Bewegen, das Essen im Restaurant hatten uns belebt. Ich vermisse mein altes Leben, dachte ich da und denke es immer noch, seit ich wieder auf meinem Sofa in Berlin sitze. 

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